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Ich sehe was, was du nicht siehst

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Vor ein paar Tagen hat das Auswärtige Amt auf Twitter ein Foto von Frank-Walter Steinmeier veröffentlicht. Auf dem Foto sieht man den deutschen Außenminister auf einer Gangway kurz vor einem Flug nach Japan. Er hält ein Smartphone in der Hand, sein Mantel liegt auf dem Unterarm. Am interessantesten ist aber der Gesichtsausdruck: Steinmeier schaut direkt in die Kamera und er sieht nicht nur gut gelaunt aus – er sieht aus, als könne er sein Glück kaum fassen. Die Szene wirkt ein bisschen so, als hätte der Außenminister den Flug nach Tokio in einem Preisausschreiben gewonnen.




Symbolisiert Steinmeier Macht oder bloß noch Verwaltung?

Das Foto wurde nicht von einem Paparazzo geschossen. Das Auswärtige Amt hat es in Umlauf gebracht. Es handelt sich nicht um einen Betriebsunfall, sondern um offizielle Regierungsästhetik. Mag sein, dass Steinmeiers Social-Media-Team hier von Obama lernen wollte, der sich auf Bildern bemerkenswert nahbar macht.

Statt sich als Ikonen der Macht zu inszenieren, wirken vor allem westliche Regierungspolitiker zusehends wie, sagen wir, Manager. Damit aber vermitteln sie den Eindruck, als seien sie lediglich Sachwalter einer höheren Weltordnung, auf deren Verlauf sie selbst keinen Einfluss haben. Für Manager ist das zulässig, schließlich bewegen sie sich innerhalb der Gesetze der Marktwirtschaft. Wenn sich aber auch Politiker zu ausführenden Kräften reduzieren, sind nicht nur nahbare Kollegen zu sehen. Zu sehen ist auch: die Kapitulation politischer Gestaltungsmacht.

Die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk und der Kommunikationswissenschaftler Jens Eder haben in Berlin die Konferenz „Image Operations“ veranstaltet, die auch der Frage nachgegangen ist, mit welchen Bildern heute Politik gemacht wird. Dabei muss man oft auf das schauen, was auf diesen Bilder eben nicht zu sehen ist. „Wie ein Krimineller hinterlässt auch ein Künstler niemals absichtlich Spuren“, sagte der amerikanische Kunsthistoriker W.J.T. Mitchell in Berlin. Wer Bilder verstehen wolle, müsse das Sichtbare ignorieren.

Fotografien tragen immer auch eine immanente Wahrheit in sich, die freilegt, unter welchen Bedingungen sie entstanden sind. Als die Anthropologin Zeynep Gürsel herausfinden wollte, welche Bilder es in die wichtigen Nachrichtenkanäle schaffen, hat sie sich deshalb wie eine Feldforscherin in Redaktionen und Agenturen aufgehalten und die Konferenzen belauscht. In Berlin führte sie nun das herrschende Prinzip am Beispiel einer Reportage über Iran vor: Weil die Redaktion möglichst ausgeglichen berichten wollte, stellte sie neben das Bild eines jungen Paares, das sich im gebrochenen Sonnenlicht küsst, ein Bild betender „Fanatiker“. Im Sinne einer journalistischen Ausgewogenheit etablierte die Redaktion auf diese Weise einen westlichen Moderne-Begriff, der sich gegen praktizierende Muslime richtet.

Oder diese Geschichte aus Istanbul: Im Auftrag der niederländischen Organisation „World Press Photo“ bildeten erfahrene Fotografen in einem Praxisseminar junge, türkische Nachwuchsfotografen aus. Als die Ausbilder einen pittoresk-orientalischen Straßenhändler fotografieren wollten, warteten sie, bis eine vollverschleierte Frau an dem Händler vorbeilief – obwohl die meisten Frauen in diesem Viertel überhaupt keinen Schleier trugen. Auf diese Weise lernten die türkischen Nachwuchsfotografen, dass sie ihre eigene Kultur durch den Filter westlicher Stereotype würden sehen müssen, wenn sie für ihre Bilder Abnehmer finden wollten. Die imaginierte Weltöffentlichkeit fotografiert und selektiert immer mit.

Stilisierte Machtikonen im Stile Napoleons oder Putins sind heute weitgehend Märtyrern und Diktatoren vorbehalten, im Westen findet man sie fast nur noch in Zeiten des Wahlkampfes. Sie implizieren immer einen potenziellen Konflikt. In der Investment-Globalisierung gibt es aber keine Konflikte mehr, nur noch Unregelmäßigkeiten im Betriebsablauf. „Die Unvermeidbarkeit von Konflikten ist im Westen lediglich tragisch“, sagte der britische Politologe Ben O’Loughlin in Berlin.

Gleichzeitig finden heute auch Bilder, die keinem kommerziellen Zusammenhang unterliegen, ein weltweites Publikum. Im Netz sind alle Bilder gleichrangig. Das führt dazu, dass der Einzelne mit der Aufgabe, die Bilder zu interpretieren, allein gelassen wird. Ständig wird die Glaubwürdigkeit von Bildern von verschiedenen Gegenerzählungen herausgefordert. Dieser freie Kommunikationsraum, in dem spezialisierte Medienapparate von Regierungen, Konfliktparteien und NGOs ständig ihre Sicht der Dinge verbreiten, bringt eine ungeheure Informationsflut hervor: Manipulative Kampagnen sind von redlichen Dokumentationen, die auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen, kaum mehr zu unterscheiden.

Mitchell verglich den Medienrezipienten der Gegenwart deshalb mit dem deutschen Kunsthistoriker Aby Warburg: In seinen letzten Lebensjahren hatte Warburg versucht, die Ästhetik der Antike neu zu katalogisieren, indem er Abbildungen aus Kunst und Architektur in einer assoziativen Ordnung an eine schwarze Wand pinnte. Das Ergebnis ist als „Aby Warburgs Bilderatlas“ in die Kunstgeschichte eingegangen. Das ist eine Darstellung der Wirklichkeit, die so radikal subjektiv ist, dass sie fast nur noch derjenige nachvollziehen kann, der sie erstellt hat.

Aby Warburg litt unter einem chronischen Nervenleiden, heute würde man sagen, er war psychisch labil. Bevor er seinen Bilderatlas kompiliert hat, wurde bei ihm Schizophrenie diagnostiziert. Heute ist die chaotische Zettelwand zu einem filmischen Standardmotiv avanciert. Sobald eine Zettelwand im Bild ist, ist ein labiler Charakter mit verschobener Wahrnehmung nicht weit: Russell Crowe verliert sich als schizophrener Mathematiker John Nash in „A Beautiful Mind“ in seinen Zetteln, Claire Danes geht es als bipolare CIA-Agentin Carrie Mathison in „Homeland“ ähnlich. In der Google-Bildsuche sieht Mitchell nun die digitale Fortsetzung der Zettelwand: Eine endlose Zusammenstellung ohne logische oder historische Ordnung, in der man gleichzeitig alles und nichts vor Augen hat. Ob das alles Sinn ergibt, hängt weitgehend von einem selbst ab.

Vielleicht verzichten westliche Machthaber heute auch deshalb auf starke bildliche Statements: Sie wollen das Risiko der Interpretation nicht eingehen und zu keinen Missverständnissen mehr Anlass geben. Der Satz „Hier gibt es nichts zu sehen“ wird heute gleich mitfotografiert: Es gibt nun tatsächlich nichts mehr zu sehen. Statt Ideale zu repräsentieren, hinter denen sich Menschen gerne versammeln würden, erzählen diese Bilder den Alltag von Familienmenschen. Dadurch stigmatisieren sie jeden, der diese Idylle durch eine alternative Weltanschauung herausfordern könnte, zu einem rückständigen Fanatiker. Menschliche Nähe und persönliches Glück, so die Botschaft, gibt es nur im Paket mit freien Märkten.

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