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Oh Boy

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Oh ja!, denkt sich Spider-Man und schwingt beim Einsatz gegen eine wilde Diebesbande besonders fröhlich durch die Hochhausschluchten von Manhattan – zu Beginn des Films, noch ganz eins mit seinem Superheldendasein. Oh nein!, denkt sich der superheldenmüde Zuschauer – bitte nicht schon wieder. Beziehungsweise: nicht schon wieder, wieder, wieder. Ist doch dieser „Spider-Man“ schon die zweite Folge der zweiten Filmstaffel um den Spinnenmann – und das innerhalb von nur zwölf Jahren.




Viele kleine Spider-Mans bei der Premiere in Rom

Erstaunlicherweise ist aber ausgerechnet „The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro“ ein ziemlich bezaubernder Film geworden, der zeigt, wie das Superheldengenre jenseits des Hypes der letzten Jahre auf Dauer funktionieren könnte, ohne dass die Zuschauer das große Gähnen packt. Denn diese Angst ist da. Obwohl Comic-Verfilmungen ökonomisch noch immer bestens funktionieren, fragen sich zahlreiche Superhelden-Produzenten in Hollywood natürlich längst, welche ihrer exorbitant teuren Produktionen der erste Superflop sein könnte – und damit der Anfang vom Ende der großen Fortsetzungsparty.

Beim Sony-Studio setzt man deshalb jetzt auf die Macher, die das serielle Erzählen in den letzten Jahren neu definiert haben – und zwar im Fernsehen. „Rise of Electro“ wurde geschrieben vom Drehbuchtrio Alex Kurtzman, Roberto Orci und Jeff Pinkner, den Schreibstars aus der elitären Kreativwerkstatt des Regisseurs und Produzenten J.J. Abrams. Für ihn haben sie die Serien „Lost“ und „Alias“ ausgetüftelt und das leicht vergilbte „Star Trek“-Universum für das Kino wiederbelebt, auch bei der Arbeit am „Star Wars“-Revival dürfte ihr Rat sehr gefragt sein. Mittlerweile sind sie als Kollektiv für die Filmbranche so offensichtlich unverzichtbar wie Pharrell Williams und die Neptunes für die Musikindustrie. Ihr ziemlich unverkennbarer Erzählbeat gilt als Erfolgsgarant und findet auch schon so viele Nachahmer, dass er nun fast überall zu finden ist.

Mit einem so etablierten Schreibteam erspart sich ein Filmstudio das große Gezeter, das oft beim Entwickeln eines Blockbuster-Drehbuchs entsteht. Fast immer sind dabei mehrere Autoren und noch mehr Script-Doktoren im Spiel, wo jeder sein Spezialgebiet hat, von Action- über Kussszenen bis zu den Dialogen. Nur schreiben diese Autoren traditionell nicht mit-, sondern nacheinander und gegeneinander, während Hassgefühle blühen, Egos verrückt spielen und Anwälte eingeschaltet werden müssen.

Im Abspann erkennt man diese eher kontraproduktive Arbeitsteilung an einer „and“-Nennung, wohingegen Autoren, die mit einem „&“-Zeichen in den Credits verbunden sind, tatsächlich gemeinsam in der Schreibwerkstatt geschwitzt haben. Dieses „&“ ist der Kern des Erfolgs der aktuellen US-Serien und taucht nun auch in Kinoabspannen immer häufiger auf. Weil Leute wie Kurtzman, Orci und Pinkner längst wissen, wo ihre jeweiligen Stärken liegen, vieles gleichzeitig schreiben – und hinterher trotzdem ein Drehbuch aus einem Guss vorliegt.

Vor allem aber haben die drei im Fall von „Spider-Man 2“ dafür gesorgt, dass der Erfolgsdruck, der den meisten Superheldenmachern bei diesen Projekten im Nacken sitzt und der sich in letzter Zeit in hysterischer Gigantomanie geäußert hat, einem sehr entspannten Erzählrhythmus gewichen ist – ähnlich einer guten Serienfolge, in der man nicht gleich sein ganzes Pulver verschießen muss und die trotzdem für sich alleine stehen kann.

Man kommt in „Spider-Man 2“ also auch ohne Vorkenntnisse aus. Erstens, weil die Vorgeschichte noch einmal resümiert wird, und zweitens, weil die Rettung der Welt hier ohnehin nicht das Element ist, das den Film trägt. Der Student Peter Parker (Andrew Garfield), der kostümiert auf Verbrecherjagd geht, ist ja eher ein Spider-Boy als ein Spider-Man – darum geht es hier vor allem. Weshalb die Diskrepanz zwischen seinen beiden Persönlichkeiten durch seine adoleszente Sturm- und Drang-Phase noch schlimmer ausfällt als bei anderen Superhelden. Deshalb gibt es zwar auch hier ein paar ziemlich fiese Bösewichte, die Spider-Man das Stimmungshoch des Filmanfangs bald verleiden und die sehr bunt besetzt sind: Jamie Foxx als stromgieriger Mutant Electro, der das glitzernde New York lahmlegt; Dane DeHaan als Harry Osborn, der weniger mit Spider-Man als mit dem Kostüminhaber Peter Parker eine Rechnung zu begleichen hat; und Paul Giamatti als polternder, ähem, Rhino.

Das größte Monster aber, das Kurtzman, Orci und Pinkner kreieren, ist weder größenwahnsinnig noch mutiert, sondern ein hübsches blondes Mädchen mit blauen Augen, das sich, wenn es verlegen ist, ganz sensationell verliebenswert mit den Fingern über die niedliche Nase streicht – und das die Unverfrorenheit besitzt, ein Auslandsjahr im fernen England einlegen zu wollen.

Gwen Stacy (Emma Stone), Peter Parkers Freundin, mit der er aufgrund seines Doppellebens, von dem sie auch noch weiß, eine ziemliche Borderline-Beziehung führt, versetzt den sonst so selbstironischen Helden immer wieder in Blues-Stimmung. Seine Existenzkrisen spiegeln sich sehr schön in seiner Sehnsucht nach tröstender Kunst: In Peter Parkers Zimmer, das eine eigene Jungsuperhelden-Analyse verdient hätte, hängt zum Beispiel ein Poster von Antonionis „Blow Up“ und ein Poster der englischen Ausgabe von Borges „Labyrinthe“. Außerdem findet sich zwischen den Schulbüchern ein Exemplar von David Foster Wallace’ Weltgeneralabrechnung „Unendlicher Spaß“.

Solche Grüblereien passen dem Regisseur Marc Webb, hier bereits zum zweiten Mal im Spidey-Einsatz, sehr gut ins Konzept: Mit neurotischen Beziehungen und Mädchenkrisen hatte er 2009 seinen großen Durchbruch, mit der wunderbaren Indie-Comedy „(500) Days of Summer“.

Die Amour fou und die daraus folgende Resignation, die sich seine Drehbuchautoren erdacht haben, sind für ihn also weniger Pflicht als gleichberechtigtes Element neben dem großen Actionspektakel. Ein Spagat, den der popbesessene Webb auch im Soundtrack erprobt: Hierfür haben sich Musiksoßenspezialist Hans Zimmer, Pharell Williams und Ex-Smiths-Gitarrist Johnny Marr zur experimentellen Supergroup geformt. Was, erstaunlicherweise, gut funktioniert – und allemal besser ist als der orchestrale Ernst manch anderer Blockbuster-Soundtracks.

Selbstverständlich kennen Web und seine Autoren dann auch beim großen Finale kein Pardon und beschließen das zweite Kapitel ihrer Saga so, wie es die anarchischen Erzählformen des US-Fernsehens vorgeben und wie es sich Sam Raimi in seiner ersten Spider-Reihe noch nicht getraut hatte: mit einer sich gnadenlos selbst erfüllenden Prophezeiung. Oh ja!



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