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Dauerfrost im arabischen Frühling

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Ach Algier! – seufzt im neuen Roman von Yasmina Khadra der von einem Spanien-Aufenthalt zurückkehrende Medienboss Ed Dayem im Fond seines Taxis: Algier, die weiße Stadt, die in ihrer geistigen Leere versinkt und auch allen Lebensstil verloren hat – man legt den Gebetsrock von einem Freitag zum nächsten gar nicht mehr ab, geht aber im Jogging-Anzug zur Beerdigung.



Wenn Mohammed Moulessehoul, der seit zehn Jahren in Frankreich lebt, nach Algier kommt, fühlt er sich befangen.

Der 1955 geborene Yasmina Khadra, mit zivilem Namen Mohammed Moulessehoul, der mit der Romantrilogie "Die Schwalben von Kabul", "Die Attentäterin", "Die Sirenen von Bagdad" bekannt wurde und von dem auf Französisch gerade der neue Roman "Qu’attendent les singes" (Worauf die Affen warten) erschienen ist, fiel in den vergangenen Monaten selbst manchmal in die Stimmung seiner Romanfigur. Er lebt seit über zehn Jahren in Frankreich, ist gegenwärtig Leiter des algerischen Kulturzentrums in Paris, kehrte aber als Kandidat für die algerischen Präsidentschaftswahlen wiederholt in sein Land zurück. Seine Kandidatur musste er schließlich zurückziehen, weil er die erforderliche Zahl von Unterschriften nicht erreicht hat.

In seinem von Büchern verstellten Büro des Pariser Kulturzentrums ereifert Yasmina Khadra sich, sobald von den Wahlen des 17. April die Rede ist. Jedes Mal, wenn er in sein Land komme, erfasse ihn eine Depression, sagt er. Was andere Länder gerade im "arabischen Frühling" ausprobierten, habe Algerien schon beim Aufstand von 1988 getan, doch sei der Frühling verfrostet und dem ewigen Winter eines Regimes gewichen, das kein anderes Ziel mehr vor Augen habe als sein eigenes Überleben. Dank dem üppig fließenden Geld aus dem Erdöl habe man in Algerien das Volk sanft in seine Resignation einlullen können, klagt der Schriftsteller: "Die politische Phantasie hat sich verflüchtigt, die Leute richten sich im bescheidenen Komfort ihres Privatglücks ein, während ein Kartell von Gaunern aus Wirtschaft, Verwaltung und Militär sich skrupellos an den Schalthebeln von Macht und Reichtum bedient". Fünfzig Jahre nach der Unabhängigkeit sei alle Freiheit in einem kalten inneren Frieden erstarrt – lautet Khadras bitteres Fazit.

Das zeigt auf beklemmende Weise auch sein neuer Roman, einer Kriminalgeschichte. Eine Studentin wird tot in einem Wald bei Algier aufgefunden und die mit dem Fall betraute Polizeikommissarin Nora Bilal gerät bei der Fahndung in einen Abgrund mafiöser Verstrickungen. Jeder benützt in diesem System seine Macht nur dazu, die von oben erhaltenen Schläge nach unten weiterzugeben. Diese Dynamik hat der Romanautor in seinem eigenen Leben allerdings gleichsam umgekehrt, er schlägt nach oben zurück. Seine persönliche Lage könnte paradoxer kaum sein.

Er, der während den Terrorjahren in seinem Land als Armeeoffizier tätig war, dann ins Exil ging und als Autor unter dem Pseudonym bekannt wurde, kritisiert in schärfsten Worten das Regime, in dessen Dienst er als Direktor des algerischen Kulturzentrums heute dennoch wieder steht. "Man hat mich in eine Falle gelockt", erklärt er dazu. Als der Staatspräsident Bouteflika vor ein paar Jahren in einer Fernsehansprache seinen Wunsch ausgesprochen habe, ihn auf diesem Posten zu sehen, habe er das als Aufforderung und Herausforderung verstanden – "nun hat man mich fest im Auge und, da man im Land meine Bücher nicht mehr verbieten kann, beschmutzt man mich mit Verleumdungskampagnen". Der Schriftsteller stelle seine eigenen Landsleute als "Affen" dar und schreibe seine Bücher überdies bei anderen Autoren ab, war in diesen Tagen in algerischen Medien zu hören.

Khadras Kandidatur für die Präsidentenwahl dürfte auch ein verzweifelter Ausbruchsversuch gewesen sein aus dieser unmöglichen Situation, die manche Intellektuellenkollegen ihm als Doppelspiel vorhalten. Vor allem aber war sie wohl ein Ausdruck von Ratlosigkeit.

Auf die Präsidentschaftswahl dieser Woche in Algerien angesprochen, antworten die meisten Intellektuellen abwinkend. Weder dem schwer kranken Präsidenten und Kandidaten für eine vierte Amtszeit, Abdelaziz Bouteflika, noch einem der fünf Gegenkandidaten trauen sie eine Verbesserung der Lage zu. Für den hartnäckig in seinem Land ausharrenden Schriftsteller Boualem Sansal ist die Entscheidung klar. Wahlenthaltung hält er für die einzig mögliche Antwort. "Algerien riecht nach Tod und Traurigkeit", sagt Sansal. Das Regime befinde sich in der seltsamen Lage, einen Halbtoten als Kandidaten aufpäppeln zu müssen, der nicht mehr präsentabel, aber auch nicht einfach absetzbar sei.

Das Grauen des Terrors der neunziger Jahre sitzt dem Land noch tief in den Knochen und die gegenwärtigen Ereignisse in Ägypten, Libyen oder Syrien ermutigen auch nicht zu politischen Experimenten. So schicken manche Intellektuelle sich in den Status quo einer "Diktatur mit dem Geldhahn" und sehen auch weniger in Bouteflika selbst als im undurchschaubaren Machtklüngel um ihn das wahre Übel.

Er habe den kranken Präsidenten öffentlich aufgerufen, sich den Fängen seines Clans zu entwinden und seine Kandidatur zurückzuziehen, sagt Yasmina Khadra, denn damit mache der Staatsmann seine historische Leistung zunichte, nach dem Krieg zwischen Islamischer Heilsfront und Armee das Land versöhnt zu haben. Boualem Sansal sieht die Gründe für die algerische Eiszeit aber auch noch anderswo. Mit seiner Unterstützung des Regimes in Algier im Namen von Stabilität und soliden Wirtschaftsbeziehungen trage Europa Mitverantwortung an der Unmöglichkeit eines demokratischen Wechsels. Dem Teufelskreis zwischen Chaos, Diktatur, Hoffnungslosigkeit und kenternden Flüchtlingsbooten ist nach Ansicht Sansals nur mit einer funktionierenden Mittelmeerunion zwischen Europa und Nordafrika zu entkommen.

Bis vor kurzem waren im Maghreb wie einst in den Ländern des Ostblocks Humor und Witz noch zuverlässige Druckventile für Frustration, was sich auch in der Literatur niederschlug. Damit ist es im Zeitalter von Facebook und Twitter vorbei. Die Reaktionen führen heute übers Netz direkt zu den Protestaufrufen oder aber auf Umwegen in die Moschee. Mit den ersteren hat das Regime gelernt umzugehen: Es lässt die Dinge geschehen und wird nachträglich aktiv mit Verhaftungen, Propaganda und organisierten Gegendemonstrationen. Die Stimmung in den Frustrations-Moscheen hingegen, so warnen manche, könnte den Staaten Nordafrikas wie Europas bald über den Kopf wachsen. Denn Humor und Witz, diese veredelte Form von Unzufriedenheit, werden dort systematisch zu Explosionsstoff verarbeitet. Und der gäbe literarisch auch für Krimis nichts mehr her.

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