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Daumen rauf, Daumen runter

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Es ist schon ein spezielles Unternehmen, das da in Wiesbaden sitzt. Während die meisten Firmen auf sich aufmerksam machen, um bekannt zu werden, hat man bei der Kreditauskunftei Schufa das Gefühl, sie strebe das Gegenteil an: möglichst nicht wahrgenommen zu werden. Exakt einmal im Jahr tritt Deutschlands größte Wirtschaftsauskunftei in Erscheinung, nämlich dann, wenn sie – wie an diesem Dienstag – ihren Kompass zum Kreditverhalten der Bürger vorstellt. Danach wird es regelmäßig wieder still um die Schufa, und das scheint ihr recht zu sein. Denn je mehr Augen auf sie gerichtet sind, umso größer ist die Gefahr, dass jemand Fragen stellt – hartnäckige und unbequeme. Ebendas aber sollte dringend geschehen. Das Unternehmen hat mittlerweile eine Macht, die vielen Menschen überhaupt noch nicht bewusst ist.



Welche Daten sie erhebt, muss die Schufa offenlegen. Die Rechenformel, durch die sie auf die Bewertung der Kreditwürdigkeit einer Person kommt, darf das Unternehmen geheim halten.

Egal ob man einen Kredit aufnehmen, einen Handy-Vertrag abschließen, eine Wohnung mieten oder bei einem Versandhändler bestellen will – so gut wie immer erkundigen sich die Anbieter zunächst bei einer Auskunftei über den Interessenten. Meist bei der Schufa, bei der die Daten von mehr als 66 Millionen Personen gespeichert sind. Begehrt sind aber gar nicht mal diese Daten, sondern vielmehr das, was die Schufa daraus errechnet: den Score-Wert. Er soll Auskunft darüber geben, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Kunde seinen Vertrag erfüllt, also beispielsweise ob er seine Handyrechnung monatlich begleichen wird. In der Regel bekommen die Kunden nicht mit, dass sie „gescort“ werden. Sie erfahren nur das Ergebnis, das meist lautet: Ja, du bekommst den Vertrag. Das ist die positive Seite des Scorings: Es erspart den Unternehmen aufwendige Recherchen über die Einkommen ihrer Kunden, stattdessen müssen sie nur per Knopfdruck den Score abfragen. Das ermöglicht rasche unkomplizierte Vertragsabschlüsse, und davon profitiert am Ende auch der Kunde.

Doch es gibt auch eine negative Seite. Die wird dann deutlich, wenn der Score schlecht ausfällt – ohne dass es dafür einen erkennbaren Grund gäbe. Es geht also nicht um die Schuldner, denen völlig klar ist, warum sie bei Versandhäusern nur noch gegen Vorkasse bestellen dürfen. Nein, es geht um Kunden mit sicherem Einkommen und tadelloser Kredithistorie. Immer wieder werden solche Fälle bekannt, in denen jemand plötzlich erfährt, dass er keinen Handy-Vertrag bekommt oder für seinen Kredit höhere Zinsen als andere Kunden zahlen muss. Woran das genau liegt, lässt sich kaum feststellen. Denn die Schufa muss zwar mitteilen, welche Daten sie über jemanden gespeichert hat, nicht aber wie sie daraus den Score-Wert errechnet. Dass diese Rechenformel unter das Betriebsgeheimnis fällt, ist vom Bundesgerichtshof mittlerweile bestätigt worden.

Es weiß also niemand, welche Rolle die einzelnen Daten wirklich spielen. Ist es gut oder schlecht für den Score, wenn jemand schon häufiger einen Kredit aufgenommen hat? Ist es gut oder schlecht, wenn jemand Konten bei verschiedenen Banken besitzt? Ist es besser, eine Frau oder ein Mann zu sein? Die Schufa gibt offen zu, dass auch das Geschlecht zählt. Eher zufällig stellte sich kürzlich heraus, dass die Schufa es zudem negativ wertet, wenn jemand oft umzieht. Vermutlich weil das bei ihr den Verdacht nahelegt, da fliehe jemand vor seinen Gläubigern. Dabei kann es sich genauso gut um einen leitenden Angestellten handeln, der von seinem Unternehmen zu wechselnden Einsatzorten geschickt wird. Wenn dieser Mensch deshalb einen schlechten Score bekommt, kann er nichts machen. Denn den Grund für seine Herabstufung erfährt er ja nie. Vor allem zeigt dieses Beispiel, wie schnell das Vorliegen bestimmter Merkmale zu völlig falschen Schlüssen führen kann – womit dann auch der daraus errechnete Score der Wirtschaft überhaupt nichts mehr nützt.

Natürlich hat die Schufa ein berechtigtes Interesse daran, dass ihre Rechenformel nicht allgemein bekannt wird, sonst könnte die Konkurrenz sie einfach kopieren. Aber zumindest die Datenschutzbeauftragten der Länder müssten sich die Berechnungen der Auskunfteien dringend ansehen und sicherstellen, dass hier nicht ein gewaltiger statistischer Unfug betrieben wird. Und auch der Gesetzgeber sollte überprüfen, ob er die Vorschriften nicht strenger fassen muss.

Bislang konnten die Auskunfteien weitgehend ungestört vor sich hin wurschteln – mit Folgen aber, die für den Einzelnen unter Umständen sehr schwer wiegen. Das muss sich ändern. Es kann nicht sein, dass ein Unternehmen den Daumen hebt oder senkt über Menschen – und dabei so gut wie nicht kontrolliert wird.

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