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Sarah und ihre Schwestern

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Ein Mann kommt nach einer Dienstreise nach Hause. Seine Freundin kommt gerade aus der Dusche, die Haare sind nass, die Beine sind nackt. Sie ist überrascht, er ist irritiert. Seit wann sie denn T-Shirts von The Clash trage, will er wissen. Die Haare seien auch irgendwie anders, länger, wie kann das sein? Sie also, um sein Misstrauen zu zerstreuen, reißt sich das verdächtige Shirt vom Leib und vögelt ihn auf der Küchenanrichte. „Das war phantastisch“, sagt er danach. Und will wissen: „Wieso hast du dich die letzten zwei Jahre so verstellt?“



Eine Welt voller Klone? In "Orphan Black" ist diese gruselige Vorstellung Wirklichkeit.

Eine Antwort bekommt er noch nicht, aber sie ginge folgendermaßen: Die Frau in seiner Wohnung sieht zwar aus wie seine Freundin Beth, aber sie ist es nicht. Sie ist ein Klon. Und es kommt natürlich noch sehr viel abenteuerlicher in der zehnteiligen ersten Staffel der Serie "Orphan Black", die in den USA bei BBC America lief. Übersetzt heißt der Titel etwa: das Waisenkind, von dem niemand weiß.

Pauls Freundin, die Polizistin Beth, hat sich umgebracht. Die Frau, die gerade Sex mit ihm hatte, braucht Geld und möchte das gemeinsame Konto von Beth und deren Freund leer räumen. Damit will sie ihre vierjährige Tochter aus der Obhut der Pflegemutter wieder zu sich zurückholen. Am liebsten gemeinsam mit ihrem Pflegebruder Felix (Jordan Gavaris), mit dem sie bei ebenjener Pflegemutter aufgewachsen ist.

Die Familienverhältnisse in Orphan  sind kompliziert, und tatsächlich sind sie noch viel komplizierter: Sarah und Beth sind nicht die einzigen „Schwestern“. Außer der Frau im The-Clash-Shirt also und Beth, der pillenschluckenden Polizistin, die sich in der Eröffnungsszene das Leben nimmt, gibt es zum Beispiel eine möchtegernhippe Deutsche, eine Vorzeigemutti vom Stadtrand mit Waffenfaible und eine höchst motivierte Wissenschaftlerin, die auf Frauen steht.

In den USA und in England läuft bereits die zweite Staffel der kanadischen Produktion, ZDF neo strahlt nun die erste Staffel und im Herbst dann die zweite aus. Die Serie läuft dort natürlich ins Deutsche synchronisiert, was schade ist, weil die Frauenfiguren ihre charmanten diversen englischen Akzente aus der Originalfassung verlieren. Der feine Unterschied zwischen den einzelnen Klonen bleibt so nur noch ein optischer.

Die Geschichte selbst ist ein wenig krude konstruiert, woran man sich bei einem Science-Fiction-Thriller nicht weiter stören muss. Dafür ist sie perfekt erzählt, beinahe jede Szene baut Spannung auf. Unnötig also, dass der öffentlich-rechtliche Sender dem Ganzen noch eine politisch-ethische Brisanz zuschreiben möchte („da steckt mehr drin“). Der bessere Grund, sich Black Orphan anzusehen, ist die kanadische Hauptdarstellerin Tatiana Maslany, die alle sieben Klone spielt und für ihre Mehrfachrolle auch gleich für den Golden Globe nominiert wurde.

Ganz neu ist das freilich nicht, die Idee, unzählige Familienmitglieder mit demselben Schauspieler zu besetzen. Bereits 1949 spielte Alec Guinness im großartigen Film Adel verpflichtet acht dünkelhafte Verwandte, die – einer nach dem anderen – von einem verstoßenen Angehörigen ermordet werden, weil der gerne sein Erbe antreten möchte. Genetisch identisch oder nur verwandt: Es ist ein Kreuz mit der Verwandtschaft.

Orphan Black, ZDF neo, 22 Uhr.

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