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Die Kunst des Faustreckens

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Der 1. Mai führt Menschen zusammen, die ein bisschen etwas miteinander verbindet, mit der Betonung auf: ein bisschen.

Im Duisburger Stadtteil Hamborn, auf dem Platz vor dem Amtsgericht, haben sich ein paar tausend Menschen zur Maidemonstration versammelt. Auf drei Kilometer ist die Strecke angelegt, hinüber zum Landschaftspark Nord. Man darf sich das aber nicht so vorstellen, dass jeder einfach loszieht. Demonstriert wird abteilungsweise, und jede Abteilung achtet vor allem auf eins: Abstand. Ganz vorne die Gewerkschaften des DGB, die eigentlichen Veranstalter dieses Zuges. Örtliche Funktionäre sowie Reiner Hoffmann, der in zehn Tagen zum Bundesvorsitzenden gewählt werden soll, spazieren hinter einem Transparent, das „gute Arbeit“ und ein „soziales Europa“ verlangt. Ein paar hundert Leute bilden diese Gruppe, hinter ihnen tuckert ein Lkw, der scheinbar die Funktion hat, als Abspielstation für Musik etwas Stimmung zu machen. Der DJ legt „Atemlos“ von Helene Fischer auf; vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber egal.



Bei den Demonstrationen zum 1. Mai (hier: eine Demo in Berlin) stehen längst nicht alle Teilnehmer für die selben Ziele und Forderungen ein

Hauptsache, er hält all die Gruppen auf Distanz, für die eine Mai-Demo eine Gelegenheit ist, in einem Tross unterzukommen: das Dutzend Leute von der marxistisch-leninistischen MLPD, die Anhänger des kurdischen Terroristen Öcalan oder auch die Mitglieder des türkischen Vereins „Freiheit und Solidarität“.
Zwischen die beiden letzteren platziert: der Spielmannszug St. Vivaldi der Schützengesellschaft Duisburg-Laar. Die Musiker geben sich alle Mühe, auf den drei Kilometern bis zum Landschaftspark die ganze Breite ihres Repertoires zu demonstrieren, aber: Sie machen viele Pausen. Das kommt den Leuten von „Freiheit und Solidarität“ sehr zupass, die zu viel Nähe nicht gebrauchen können; „wegen der Musik“, wie ein Fahnenträger erklärt. „Hoch – die – internationale – Solidarität!“, rufen sie jeweils unverzüglich, nachdem die Flöten abgesetzt sind; den Befehl zum Losbrüllen gibt ein achtjähriges Mädchen, das mit einem Megafon ausgestattet und auch in der Kunst des Faustreckens unterwiesen wurde. „Ich Papa“, sagt der Mann daneben, mit hörbarem Stolz. Zu seiner Ehrenrettung sei allerdings gesagt, dass er nicht der einzige hier ist, der es mit dem kompletten deutschen Satz eher weniger hat. Der Zug passiert ein Plakat der CDU zur Kommunalwahl – „Duisburg kann besser“, steht darauf.

All das kriegt natürlich nicht mit, wer an der Spitze dem Ganzen Seriosität geben muss. Dafür hat der 1. Mai ja doch zu viel Tradition, als dass der DGB ihn Sektierern oder Extremisten überlassen wollte. In Duisburg demonstriert – wie andernorts in Deutschland an diesem Tag – auch die NPD, die Polizei sperrt zeitweise den Hauptbahnhof ab. Bundesweit aber bleiben diesmal richtig schwere Krawalle aus, sogar in Hamburg und Berlin.

Der Gewerkschafter Reiner Hoffmann sagt in seiner Rede, später im Duisburger Landschaftspark, der Mindestlohn müsse für alle gelten, auch für Beschäftigte unter 18 Jahren und Menschen, die lange arbeitslos waren; ähnlich sagt es der noch amtierende DGB-Chef Michael Sommer zur gleichen Zeit in Bremen. Hoffmann greift aber auch auf, dass die große Koalition bald Tarifverträge für allgemein verbindlich erklären will, damit kein Arbeitgeber mehr aus dem Tarif fliehen kann, und er fordert die Abschaffung der kalten Progression im Steuerrecht.

Die Leute vom Spielmannszug und die von der internationalen Solidarität haben sich da längst verkrümelt. Die einen haben ihren Job erledigt, die anderen haben es wohl nicht so mit derart praktischen Fragen.

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