Als Joel Surnow und Robert Cochran im März 2001 mit ihrer Idee für die Fernsehserie 24 bei amerikanischen Sendern hausieren gingen, durfte man sie getrost für paranoid halten. Ein katastrophaler Terroranschlag ist geplant, so der Umriss des Plots, und Jack Bauer und seine Mitkämpfer von der Antiterror-Einheit CTU haben nur 24 Stunden Zeit, ihn abzuwenden. Jede der 24 Folgen sollte eine dieser Stunden in Echtzeit zeigen: Das „Zeitbomben-Szenario“ nannte man dieses unwiderstehliche Thrillerschema: Der Anschlag lässt sich verhindern, wenn er vor der Ausführung aufgeklärt wird.
Jack Bauer (Kiefer Sutherland) ist zurück – heute startet die neue Staffel "24" auf Sky.
Doch als die Serie im November 2001 auf Fox anlief, hatte die Idee alles Übergeschnappte verloren. Wer zwei Monate zuvor im Fernsehen gesehen hatte, wie die Türme des World Trade Center einstürzten, wer in diesen zwei Monaten dem patriotisch-paranoiden Trommelfeuer der amerikanischen Medien ausgesetzt war, dem erschien 24 nur wie eine packender erzählte Variante der Wirklichkeit.
Acht Staffeln lang mühten sich die Macher, um beim Wettrüsten mit realen oder vermeintlich realen Terroristen die Nase vorn zu behalten: Oft war man sich nicht mehr sicher: War es das Heimatschutzministerium, das vor dieser oder jener dirty bomb gewarnt hatte, vor Nervengas und tödlichem Pulver, oder handelte es sich wieder nur um eine Idee der 24-Autoren?
Der große Unterschied zwischen Realität und Fiktion lag darin, dass Bauer die Terroristen zum Ende jeder Staffel zuverlässig ausschaltete, während Amerika sich im Sumpf seines „Kriegs gegen den Terror“ heillos festgefahren hatte. Das war wohl auch der simple Grund dafür, dass 2010, nach acht Staffeln, Schluss war.
Umso rätselhafter ist es, dass 24 nun, vier Jahre später, zurück ist, mit einem Großteil der alten Besetzung, wenn auch nur auf 50-Prozent-Basis. Am heutigen Dienstag hat die erste von zwölf Folgen der neuen Staffel auf Sky Premiere. Was mag also hinter diesem etwas kleinlaut Live Another Day betitelten Comeback stehen außer der Enttäuschung der Macher über den gescheiterten 24-Film.
Die ersten zwei Folgen erlauben zumindest eine Hypothese. Wieder einmal schwebt der US-Präsident (William Devane), der gerade zu politischen Verhandlungen in London eingetroffen ist, in Gefahr. Doch beunruhigender als die Attentatspläne, von denen die CIA Wind bekommen hat, erscheinen vorerst dessen mentale Ausfälle. Keine raffinierte Biowaffe steckt dahinter, sondern ganz ziviler Alzheimer.
Jack Bauer (Kiefer Sutherland) wiederum ist nicht länger Jäger, sondern Gejagter. Seit er in der achten Staffel auf einen wenig professionellen Rachefeldzug ging und zwei russische Diplomaten tötete, war er abgetaucht und wird von der CIA als Terrorist gesucht. Nun ist er wieder da, und trifft auf Chloe O’Brian (Mary Lynn Rajskub), seine bewährte Computer-Hexenmeisterin, die mit dem Hacker Adrian Cross zusammenlebt, dem Mastermind des Wikileaks-Pendants „Free Information Movement“. Doch Cross verbreitet nicht nur Pentagon-Geheimnisse, er hackt auch amerikanische Drohnen, die den Befehlen ihrer Piloten plötzlich nicht mehr folgen und eine ganze US-Einheit in Kandahar zusammenschießen. – Altersdemenz, Wikileaks, Drohnenkrieg und, ganz aktuell, Russland: Es wirkt, als haben die Serienmacher nicht so sehr 24 Stunden Terrorkampf als vielmehr vier Jahre Economist-Lektüre in zwölf Folgen erzählen wollen.
Es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig als die gute alte Terroristenjagd mit jeder Menge Polit- und Gesellschaftsthemen auszustopfen. Nicht nur um Relevanz zu behaupten und klarzustellen, dass die Welt komplizierter geworden ist und wir alle weniger naiv sind. Sondern auch, weil die ergiebigsten Stücke aus dem Erzählstoff von 24 inzwischen Themen eigener, oft viel besserer Thrillerserien geworden sind. Homeland, Scandal, Person of Interest, The Americans und The Good Wife: Sie alle beackern das Feld von Spionage, Verrat, Washingtoner Verschwörung und Überwachung psychologisch subtiler und ohne Bauers ermüdende Stahlmuskeln.
Gleichzeitig scheint es in diesen zwei ersten Folgen, als habe nicht nur Bauer, sondern auch die Serie selbst die Seiten gewechselt. In den Jahren nach 9/11 kam man kaum umhin, 24 als wirksame Illustration amerikanischer Politik zu verstehen, die enhanced interrogation, also Folter, als legitimes Mittel der Terrorabwehr einführte. Während in Talkshows noch diskutiert wurde, ob Folter doch irgendwie mit der Genfer Konvention in Einklang zu bringen sei, demonstrierte der Folterknecht Jack Bauer Woche für Woche überzeugend, was zu tun ist, wenn das Leben von Amerikanern auf dem Spiel steht. Es ging so weit, dass Armeevertreter und Menschenrechtsaktivisten den Machern der Serie ins Gewissen redeten: Junge GIs im Irak und in Afghanistan hatten immer unbekümmerter zu Foltermethoden gegriffen.
In der neuen Staffel nun dauert es nicht lange, bis Chloe und Bauer selbst in die Hände der Schergen von „Special Activities“ geraten. Bauer kann Chloe gerade noch aus dem Koma zurückholen, in das sie die Giftspritze eines der Folterer befördert hat. Doch es sind nicht mehr ehrliche Rednecks wie Bauer, die hier leider tun müssen, was für das Überleben der Nation nötig ist, sondern schwächliche Bürokraten und Sadisten. Vielleicht haben Surnow und Cochran einfach festgestellt, dass sich der Wind gedreht hat. Vielleicht aber ist dieses bemühte Revival auch dem Umstand geschuldet, dass ihnen bei dem Gedanken unwohl war, als Propagandisten eines umgehemmt über die Welt trampelnden Staats in die Geschichte einzugehen. Und überhaupt: Wer nach dem Lehrbuch handelte, hatte in der amerikanischen Mythologie noch nie große Chancen auf bleibenden Ruhm. In seiner neuen Rolle als Outlaw ist Jack Bauer letztlich da angekommen, wo er immer hingehörte.
24: Live Another Day, Sky Atlantic, 21 Uhr oder jederzeit bei Sky Go und Sky Anytime
Jack Bauer (Kiefer Sutherland) ist zurück – heute startet die neue Staffel "24" auf Sky.
Doch als die Serie im November 2001 auf Fox anlief, hatte die Idee alles Übergeschnappte verloren. Wer zwei Monate zuvor im Fernsehen gesehen hatte, wie die Türme des World Trade Center einstürzten, wer in diesen zwei Monaten dem patriotisch-paranoiden Trommelfeuer der amerikanischen Medien ausgesetzt war, dem erschien 24 nur wie eine packender erzählte Variante der Wirklichkeit.
Acht Staffeln lang mühten sich die Macher, um beim Wettrüsten mit realen oder vermeintlich realen Terroristen die Nase vorn zu behalten: Oft war man sich nicht mehr sicher: War es das Heimatschutzministerium, das vor dieser oder jener dirty bomb gewarnt hatte, vor Nervengas und tödlichem Pulver, oder handelte es sich wieder nur um eine Idee der 24-Autoren?
Der große Unterschied zwischen Realität und Fiktion lag darin, dass Bauer die Terroristen zum Ende jeder Staffel zuverlässig ausschaltete, während Amerika sich im Sumpf seines „Kriegs gegen den Terror“ heillos festgefahren hatte. Das war wohl auch der simple Grund dafür, dass 2010, nach acht Staffeln, Schluss war.
Umso rätselhafter ist es, dass 24 nun, vier Jahre später, zurück ist, mit einem Großteil der alten Besetzung, wenn auch nur auf 50-Prozent-Basis. Am heutigen Dienstag hat die erste von zwölf Folgen der neuen Staffel auf Sky Premiere. Was mag also hinter diesem etwas kleinlaut Live Another Day betitelten Comeback stehen außer der Enttäuschung der Macher über den gescheiterten 24-Film.
Die ersten zwei Folgen erlauben zumindest eine Hypothese. Wieder einmal schwebt der US-Präsident (William Devane), der gerade zu politischen Verhandlungen in London eingetroffen ist, in Gefahr. Doch beunruhigender als die Attentatspläne, von denen die CIA Wind bekommen hat, erscheinen vorerst dessen mentale Ausfälle. Keine raffinierte Biowaffe steckt dahinter, sondern ganz ziviler Alzheimer.
Jack Bauer (Kiefer Sutherland) wiederum ist nicht länger Jäger, sondern Gejagter. Seit er in der achten Staffel auf einen wenig professionellen Rachefeldzug ging und zwei russische Diplomaten tötete, war er abgetaucht und wird von der CIA als Terrorist gesucht. Nun ist er wieder da, und trifft auf Chloe O’Brian (Mary Lynn Rajskub), seine bewährte Computer-Hexenmeisterin, die mit dem Hacker Adrian Cross zusammenlebt, dem Mastermind des Wikileaks-Pendants „Free Information Movement“. Doch Cross verbreitet nicht nur Pentagon-Geheimnisse, er hackt auch amerikanische Drohnen, die den Befehlen ihrer Piloten plötzlich nicht mehr folgen und eine ganze US-Einheit in Kandahar zusammenschießen. – Altersdemenz, Wikileaks, Drohnenkrieg und, ganz aktuell, Russland: Es wirkt, als haben die Serienmacher nicht so sehr 24 Stunden Terrorkampf als vielmehr vier Jahre Economist-Lektüre in zwölf Folgen erzählen wollen.
Es blieb ihnen wohl nichts anderes übrig als die gute alte Terroristenjagd mit jeder Menge Polit- und Gesellschaftsthemen auszustopfen. Nicht nur um Relevanz zu behaupten und klarzustellen, dass die Welt komplizierter geworden ist und wir alle weniger naiv sind. Sondern auch, weil die ergiebigsten Stücke aus dem Erzählstoff von 24 inzwischen Themen eigener, oft viel besserer Thrillerserien geworden sind. Homeland, Scandal, Person of Interest, The Americans und The Good Wife: Sie alle beackern das Feld von Spionage, Verrat, Washingtoner Verschwörung und Überwachung psychologisch subtiler und ohne Bauers ermüdende Stahlmuskeln.
Gleichzeitig scheint es in diesen zwei ersten Folgen, als habe nicht nur Bauer, sondern auch die Serie selbst die Seiten gewechselt. In den Jahren nach 9/11 kam man kaum umhin, 24 als wirksame Illustration amerikanischer Politik zu verstehen, die enhanced interrogation, also Folter, als legitimes Mittel der Terrorabwehr einführte. Während in Talkshows noch diskutiert wurde, ob Folter doch irgendwie mit der Genfer Konvention in Einklang zu bringen sei, demonstrierte der Folterknecht Jack Bauer Woche für Woche überzeugend, was zu tun ist, wenn das Leben von Amerikanern auf dem Spiel steht. Es ging so weit, dass Armeevertreter und Menschenrechtsaktivisten den Machern der Serie ins Gewissen redeten: Junge GIs im Irak und in Afghanistan hatten immer unbekümmerter zu Foltermethoden gegriffen.
In der neuen Staffel nun dauert es nicht lange, bis Chloe und Bauer selbst in die Hände der Schergen von „Special Activities“ geraten. Bauer kann Chloe gerade noch aus dem Koma zurückholen, in das sie die Giftspritze eines der Folterer befördert hat. Doch es sind nicht mehr ehrliche Rednecks wie Bauer, die hier leider tun müssen, was für das Überleben der Nation nötig ist, sondern schwächliche Bürokraten und Sadisten. Vielleicht haben Surnow und Cochran einfach festgestellt, dass sich der Wind gedreht hat. Vielleicht aber ist dieses bemühte Revival auch dem Umstand geschuldet, dass ihnen bei dem Gedanken unwohl war, als Propagandisten eines umgehemmt über die Welt trampelnden Staats in die Geschichte einzugehen. Und überhaupt: Wer nach dem Lehrbuch handelte, hatte in der amerikanischen Mythologie noch nie große Chancen auf bleibenden Ruhm. In seiner neuen Rolle als Outlaw ist Jack Bauer letztlich da angekommen, wo er immer hingehörte.
24: Live Another Day, Sky Atlantic, 21 Uhr oder jederzeit bei Sky Go und Sky Anytime