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Mit dem Strom

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Aus. Vorbei. Passé. Microsoft wollte für das nun wirklich veraltete Betriebssystem Windows XP eigentlich keine Updates mehr liefern. Jetzt aber – nachdem ein gefährlicher Fehler in vielen Versionen von Microsofts Internet Explorer entdeckt worden war – hat der Konzern es doch getan. Eine nette Geste, oder? Vielleicht ist es das, aber nicht nur. Ein bisschen Kalkül wird hinter der Entscheidung stecken, nicht Millionen von XP-Nutzern zur leichten Beute für die Internet-Mafia werden zu lassen. Vor allem aber zeigt sich eines: dass der Supertanker Microsoft noch nicht ganz auf seinen neuen Kurs eingeschwenkt ist.



Wer nicht regelmäßige Kurskorrekturen vornimmt, droht zu unterzugehen. Das gilt auch für den Riesenkonzern Microsoft.

Sogar dieser gewaltige Konzern, der durch den PC und mit dem PC groß geworden ist, dessen Mitgründer Bill Gates sich reichster Mann der Welt nennen darf, sogar der muss sich völlig neu erfinden in einer Zeit, die vom Internet dominiert wird. Muss einen neuen Kurs fahren oder riskiert, wenn nicht unterzugehen, dann doch zu einem zweit- oder drittrangigen Software-Hersteller herabzusinken.

Warum aber ist das so? Weil im Internet-Zeitalter nicht mehr das Gerät als solches wichtig ist, und nicht mehr, ob es mit Windows läuft oder irgendeinem anderem System. Das Entscheidende ist, dass eine Vielzahl von höchst unterschiedlichen Geräten und Diensten über das Netz miteinander verknüpft, sozusagen in Beziehung gesetzt wird.

Wettervorhersagen werden auf Supercomputern berechnet, die größten davon brauchen so viel Strom wie eine Kleinstadt. Die Daten aber stammen von kleinen Sensoren, und das Ergebnis lässt sich auf einem 100-Euro-Smartphone bequem abrufen – es ist das Miteinander, das den Mehrwert schafft, nicht das einzelne Gerät für sich.

Microsoft, seit Februar unter neuer Führung, tut sich nicht unbedingt leicht, sich dem anzupassen. Lang gediente Firmenmitglieder etwa haben ihre Probleme damit, wenn der Weg nun plötzlich heißt: Alles mobil und alles auf die Cloud setzen – aufs Internet also. Und zahlreiche Kunden nutzen noch alte Programme und Systeme wie etwa XP. Der Weg ist dennoch richtig, denn die Internettechnik ist wie ein mächtiger Strom: Wer mit ihr schwimmt, den trägt sie weit. Wer aber verharren will oder gar gegen sie anschwimmen, den reißt sie fort.

Google, einst ein Dienstleister fürs Netz, der nicht wusste, wie er sich finanzieren sollte, hat so gut wie wenige gelernt, diese Strömung für sich zu nutzen. Google verlangt nicht etwa zehn Cent pro Anfrage bei seinem Kartendienst. Wert wäre er das, denn es steckt ein gigantischer Aufwand dahinter, all die Daten zu erfassen und aktuell zu halten. Google platziert Werbung. Und oft genug produziert der Konzern selbst gar keine Inhalte, sondern sammelt bloß die von anderen und profitiert wieder von der Werbung.

Das Beispiel des Internetkonzerns sollte die gesamte Old Economy in Alarmbereitschaft versetzen, denn der Strom erwischt sie alle. Bei Musik zum Beispiel, lange Zeit auf Schallplatten oder Kassetten erhältlich, war nicht das Problem, dass sie digital auf CD gepresst wurde. Das Geschäft lief zunächst sogar besser, weil viele ihre Platten auf CD nachkauften. Doch dann kam es dicke: Eine Technik wurde erfunden, die digitalen Daten ohne größere Verluste zu schrumpfen, weshalb man die Dateien nun auch problemlos übers Netz schicken konnte. Es waren plötzlich nicht mehr nur Plattenläden bedroht, weil man CDs online ordern konnte. Die ganze Branche schlingerte, weil viele gleich gar nicht mehr kauften, sondern bloß noch kopierten.

Warum gibt es heute noch eine Musikindustrie? Die Bosse ließen sich rechtzeitig davon überzeugen, mit dem Strom zu schwimmen. Heißt: Ein Musikstück lieber für 99 Cent zu verkaufen als gar nicht. Und das Rennen geht weiter: Streaming-Dienste liefern nun Millionen Titel übers Netz frei Haus, die Nutzer bezahlen dafür bloß noch eine Monatsmiete von fünf bis zehn Euro. Wieder schrumpfen die Margen der Industrie, und wieder ist die Technik des Netzes der Auslöser.

Auch Branchen, die nicht zwingend vom und im Netz leben, bleiben nicht unberührt. Sogar afrikanische Bauern ermitteln mittlerweile per Handy die Marktpreise für ihre Ware. Die Kunst besteht darin zu erkennen, wohin die Strömung treibt und wie man sie für sich und seine Branche am besten nutzen kann. Nicht für jede Branche wirken die gleichen Rezepte gleich gut.

Die Staaten täten volkswirtschaftlich gesehen gut daran, die Ströme des Netzes auszubauen. Die Firmen aber sind in der Pflicht, sich ständig zu fragen, ob sie ihr Schiff – klein oder groß – in die für sie günstigste Strömung gelenkt haben.

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