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Ein Phantom als Mitbewohner

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Wer aus München kommt, wäre vielleicht stutzig geworden. Das acht Quadratmeter große WG-Zimmer kostet 300 Euro Miete und 500 Euro Kaution. Am zentralen Karlsplatz 15. Also dort, wo sich Kaufhäuser aneinander reihen, aber es kaum Wohngelegenheiten gibt. Einheimische hätten die Adresse wahrscheinlich gesucht und festgestellt: Sie existiert nicht einmal. Doch für jemanden wie die 23-jährige Studentin Lily, die eigentlich im Ruhrgebiet lebt, dringend in München ein Zimmer zur Zwischenmiete sucht und online auf dem Portal WG-gesucht ein günstiges Angebot findet, für die ist Sarah Krasnow die Rettung.



"WG-Zimmer gesucht" – so geht es etlichen Studenten. Einige von ihnen werden auf ihrer Suche um viel Geld betrogen.

Sarah gibt sich als 32-jährige Yale-Absolventin, Amerikanerin und künftige Mitbewohnerin in der WG mit freiem Zimmer aus, schreibt in fließendem Englisch, interessiert sich für ihr Gegenüber. Alles ist unkompliziert, kein persönliches Kennenlernen nötig. Die Wohnung sieht auf den Fotos, die Sarah bereitwillig schickt, völlig normal aus: kleine Räume, bescheidende Einrichtung, kein Hochglanz. Dann bekommt Lily einen Mietvertrag per Mail zugeschickt, sie und Sarah tauschen Kopien ihrer Reisepässe. Sarah hat Lilys Vertrauen – und wenig später 800 Euro auf ihrem britischen Konto. Als Lily in München ankommt, sucht sie verzweifelt nach der Adresse, fragt Anwohner, Taxifahrer, Geschäftsleute. Ohne Erfolg. Sarah meldet sich nie wieder. Online kann man ihr soziales Leben nachvollziehen: Auf Facebook hat Sarah 670 Freunde; Fotos verraten, dass sie sich im Januar ihre braunen Haare blond gefärbt hat. Ihre Internet-Identität scheint vertrauenserweckend, sie sieht aus wie eine flippige Großstädterin, aber bestimmt nicht wie ein Phantom.

In der Regel läuft Mietbetrug plumper ab. Die Angebote sind utopisch, die Wohnung auf den Bildern wie aus dem Katalog. Oft gibt der Vermieter in Angeboten an, sich im Ausland aufzuhalten. Und doch sei auch der Fall von Lily in einigen Punkten typisch, sagt Marielle Eifler vom Mieterverein in Hamburg, die Betroffene kennt: „Der Betrüger gibt sich unkompliziert und kumpelhaft, schickt sogar Dokumente, die einen vertrauensvollen Eindruck suggerieren. Und meldet sich nicht mehr, sobald die Vorauszahlung geleistet wurde.“

Typisch ist auch, dass Zahlungen über Finanzdienstleister wie Western Union abgewickelt werden, häufig befindet sich das Konto des Vermieters im Ausland. Betrüger nutzen die Anonymität des Internets: Die E-Mail-Adresse haben sie meist unter Angabe einer nicht existierenden Anschrift angelegt, hinter der Handynummer steckt ebenfalls ein Phantom. Und „solange es keinen Täter gibt, kann man keinen Schadensersatz fordern“, sagt Wolfgang Schönwald von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin.
Dem aktuellen Bericht zur polizeilichen Kriminalstatistik zufolge ist der Anteil von Straftaten, die mit dem „Tatmittel Internet“ verübt wurden, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 70 Prozent der vermerkten Fälle sind als Betrugsdelikte gelistet. Die Statistik erfasst dabei allerdings nicht einzeln, bei welchen dieser Fälle es sich um Mietbetrug beziehungsweise um diese besondere Form des Anzahlungsbetrugs handelt. Doch weiß Kriminalhauptkommissar Joseph Hintermayr aus München: „Bei uns gehen etwa zwei bis acht Fälle wöchentlich ein. Sie häufen sich vor allem zu Semesterstart, wenn auf einmal alle eine Wohnung brauchen.“

An einen gelösten Fall kann sich Hintermayr während seiner achtjährigen Arbeit mit Mietbetrug nicht erinnern. „Oft liegen die Konten in Großbritannien, dort könnte man sich einfach auf die Lauer legen, bis einer der Betrüger das Geld abholt. Doch die britische Polizei arbeitet in diesen Fällen nicht mit uns zusammen, für sie ist der Aufwand beim vergleichsweise geringen Schaden der Opfer zu groß.“

Außerdem werde die Aufklärung auch dadurch erschwert, dass hinter einem Vermieter oft eine ganze Bande stecke: „Einer stellt das Angebot online, ein anderer übernimmt den Mail-Verkehr. Ein Dritter wiederum holt das Geld von der Bank ab und gibt es vermutlich weiter.“ Die ermittelten IP-Adressen stammten aus unterschiedlichen Ländern, häufig aus Nigeria, Rumänien oder Russland. Aber auch wenn die Suche nach dem Betrüger oft ohne Erfolg bleibt, sei „es notwendig, zur Polizei zu gehen“, sagt GdP-Sprecher Schönwald. Besonders die Masse der Anzeigen werde irgendwann entscheidend sein. „Wenn wir vermehrt Hinweise auf Betrugsfälle in einer Region oder mit ähnlichem Ablauf erhalten, steigen die Chancen, dass wir Täter erwischen können.“ Besonders wenn der Betrogene persönliche Dokumente wie die Kopie eines Reisepasses verschickt hat, sollte er die Polizei kontaktieren. Banden betreiben häufig Identitätsklau und könnten mit der Kopie des Personalausweises weitere Delikte verüben, sagt Schönwald.

Besonders Menschen in persönlichen Notsituationen werden oft hereingelegt. „Ein Mann schläft trotz Trennung noch auf dem Sofa seiner Frau oder eine Studentin braucht unbedingt ein Zimmer, weil das Semester startet. In solchen Momenten werden auch Menschen, die es sonst nicht sind, unbedarft und zu potenziellen Opfern“, sagt Marielle Eifler vom Mieterverein. Dass der Wohnungsmarkt in München – wie in vielen deutschen Großstädten – hart umkämpft ist, kommt erschwerend hinzu. Grundsätzlich gilt für Mieter: Niemals zahlen, bevor man selbst in der Wohnung stand und im Idealfall bereits Schlüssel in der Hand hält. „Das Geld ist sonst nämlich weg“, sagt Eifler. Dann hilft auch kein unterschriebener Mietvertrag wie in Lilys Fall. „Solange nicht der berechtigte Eigentümer hinter dem Vertrag steckt, existiert keinerlei rechtliche Bindung, der Vertrag ist nichts wert.“ Hinweise in Dokumenten, die ein Laie selbst entdecken könnte, gibt es häufig nicht.

Wer eine Wohnung sucht, kann sich im Voraus informieren: Der Blog wohnungsbetrug.blogspot.com etwa listet mittlerweile 12000 E-Mail-Adressen von Betrügern und zahlreiche aktuelle verdächtige Anzeigen auf – darunter einige von der Seite Immobilien-Scout-24.

Das Portal nimmt eigenen Angaben zufolge pro Monat 500 Angebote wegen eines Betrugsverdachts von der Seite, inklusive der Anzeigen, die Nutzer gemeldet haben. Bei 150000 neuen Objekten, die monatlich online gehen, ist ein Überblick freilich schwierig. Wer auf Immobilien-Scout 24 sucht, findet immer wieder utopische Anzeigen. Immerhin bietet das Portal an, Angebote mit durchschnittlichen Mietpreisen der Umgebung zu vergleichen – betrügerische Anzeigen fallen auf diese Weise schneller auf.

Das Portal WG-gesucht prüft eigenen Angaben zufolge alle Angebote im Voraus; einzelne Kriterien, etwa das Verhältnis von Preis und Quadratmeter würden gescannt. Täglich meldeten Nutzer zusätzlich acht bis 20 verdächtige Anzeigen, die der technische Filter nicht erkennen konnte. Diese würden umgehend geprüft und gegebenenfalls gelöscht. Anschließend sendet WG-gesucht eine Informationsmail an alle Nutzer, die die verdächtige Anzeige bereits kontaktiert haben.

Noch bevor Betroffene auf Immobilienseiten ihren Fall melden, sollten sie die Polizei verständigen, rät Schönwald. „Dann können wir womöglich noch etwas machen. Solange die Betrüger keinen Verdacht schöpfen, bleiben sie online und hinterlassen zwangsläufig Spuren im Internet.“ Nicht aber, wenn sie bereits gemeldet und vom Anbieter gelöscht wurden. Dann seien mit ihnen auch alle Hinweise verschwunden.
Wenn das Geld erst überwiesen, der Betrug entdeckt und die vermeintliche Anzeige gelöscht ist, dann, sagt Schönwald, „bleibt in der Regel nur noch die Hoffnung“.

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