Die Bilder des Kernkraftwerks Süd-Ukraine nahe der Stadt Juschnoukrajinsk zeigen eine wahre Idylle. Die drei Reaktoren in ihrem ochsenblutroten Stahlzylindern sind auf offiziellen Fotos des Kraftwerksbetreibers Energoatom zwischen Sonnenblumen zu sehen, hinter Blumenrabatten oder über einem Stausee. Natürlich scheint die Sonne.
Politisch betrachtet müssten jedoch dunkle Wolken über der Anlage stehen. Zwei der drei Blöcke sind derzeit ein Symbol für den Konflikt, der die Ukraine erschüttert. In ihren Kernen stecken Brennelemente russischer und westlicher Produktion direkt nebeneinander. Jeder der Hersteller wirft dem anderen nun vor, die Sicherheit der Anlage zu gefährden. Auch in den Atommeilern der Ukraine wird um Einfluss gerungen. Russland möchte seine Macht über Land und Reaktoren erhalten, die Regierung in Kiew und die AKW-Betreiber wollen sich dem Westen zuwenden.
Die Frage nach den Atomreaktoren steht mit im Zentrum des wirtschaftlichen Konflikts zwischen der Ukraine und Russland.
Ohnehin gehört die Energiefrage zum wirtschaftlichen Kern des Konflikts. Im Westen bekannt ist das Problem mit dem Erdgas, für das die russischen Lieferanten nun drastisch erhöhte Preise fordern. Gleichzeitig erzeugt die Ukraine fast die Hälfte ihres Stroms mit 15 Kernreaktoren russischer Bauart, für die bisher der russische Staatskonzern Rosatom Uran lieferte. Schon warnt der amtierende Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, Russland wolle Energie als „neue Atombombe“ gegen sein Land einsetzen – vor dem Hintergrund der Tschernobyl-Katastrophe, die sich 1986 in der Ukraine abspielte, ein bemerkenswerter Vergleich.
Zwar hat der Chef von Rosatom Mitte März die Versorgung garantiert: „Wir haben komplizierte Beziehungen zur Ukraine, aber es gab keine Unterbrechung und wird keine geben“, sagte Sergei Kirijenko laut staatlichem ukrainischen Informationsservice. Dennoch hat Jazenjuk selbst kurz danach Manager des US-Konzerns Westinghouse in Pennsylvania getroffen, berichtet das Wall Street Journal; wenig später verlängerte seine Regierung einen Liefervertrag mit den Amerikanern bis 2020. Es geht um Nuklearbrennstoff für Hunderte Millionen Dollar im Jahr. Westinghouse möchte bis zu ein Viertel des ukrainischen Bedarfs decken und so seine Fabrik in Schweden auslasten. Der Vertrag bezeuge die Qualität der eigenen Produkte, freute sich der Konzernchef.
Dabei ist auch die Beziehung zwischen dem Reaktorbetreiber und dem US-Konzern nicht konfliktfrei. Immer wieder gab es Streit um die gelieferten Brennelemente, die angeblich gefährliche Designfehler aufwiesen. Zweimal wäre Westinghouse fast aus dem Land geflogen; dass das Unternehmen jetzt wieder gefragt ist, hat weniger technische als politische Gründe.
Aus Russland kommen bereits heftige Proteste gegen den Westinghouse-Deal. Schon Mitte April meldete sich der Radiosender Voice of Russia mit der Meldung, die Ukraine sei auf bestem Wege, 15 weitere Tschernobyl-Desaster anzurichten. In russische Reaktoren passe nur russischer Brennstoff. Die Botschaft wurde auf vielen Kanälen verbreitet. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel bekam entsprechende Post vom stellvertretenden Vorsitzenden des Industrieausschuss der russischen Duma, Wladimir Gusenew.
Brennelemente sind in Prinzip Bündel von einigen Hundert langen dünnen Röhrchen, den Brennstäben, die mit Urantabletten gefüllt sind. Sie geben die bei der Kernspaltung entstehende Wärme an umgebendes Wasser ab, das an ihren dünnen Wänden entlangströmt. Abstandshalter und Stützbleche sorgen für die mechanische Stabilität des Brennelements.
Westinghouse versucht seit langem, im Geschäft mit Brennstoff für russische Reaktoren Fuß zu fassen. In Tschechien und Finnland ist der Konzern damit gescheitert. Problematisch ist, dass der Kern russischer Meiler radikal vom Design westlicher Kernkraftwerke abweicht. Die Brennelemente haben einen sechseckigen, nicht quadratischen Querschnitt; Abstände, Drücke, Temperaturen, beigesetzte Chemikalien, die Anordnung der Steuerstäbe, alles ist anders. Es ist, also wollte ein deutscher Sportwagenhersteller Kurbelwellen für chinesische Schiffsdiesel fertigen.
Hinzu kommt: Die Westinghouse-Brennelemente stehen in unmittelbarer Nachbarschaft mit ihren Pendants russischer Herkunft, deren Design jüngst substantiell verändert wurde. Dazu waren die russischen Lieferanten aufgrund fortgesetzter Mängel gezwungen. Laut einem Bericht der internationalen Atombehörde IAEA von 2005 zeigten vier Prozent der bis dahin verwendeten Elemente Lecks, ein Viertel von ihnen musste vorzeitig aus dem Reaktorkern entfernt werden – eine untragbare Ausschussquote. Das Inventar eines Reaktors wird aber nicht auf einen Schlag ausgetauscht, sondern über Jahre hinweg. Darum steckten die Westinghouse-Fabrikate irgendwann neben alten wie neuen Produkten der Russen.
2012 kam es zum Eklat: Etliche der erst ein Jahr zuvor eingesetzten amerikanischen Elemente wiesen mechanische Schäden auf, sie waren verbogen. Eine solche Veränderung birgt die Gefahr, dass im Ernstfall Steuerstäbe nicht schnell genug in den Reaktor geschoben werden können, um die nukleare Kettenreaktion zu stoppen. Die Kraftwerksbetreiber mussten, so sagten sie, für die am stärksten beschädigten Elemente Ersatz aus Russland beschaffen. Weil Rosatom inzwischen einen langfristigen Liefervertrag mit substantiellem Rabatt angeboten hatte, schien es, als habe Westinghouse seine Schuldigkeit getan und könne abtreten.
Doch die Vertreter des US-Konzerns gaben nicht auf. Bis heute beharren sie, die Ursache der mechanischen Verformungen sei in den benachbarten russischen Brennelementen neuer Bauart zu suchen, so als habe es Armdrücken im Reaktorkern gegeben. „Sie haben sich um bis zu 30Millimeter verbogen, weit über die Auslegungsgrenzen hinaus“, so Westinghouse-Sprecher Hans Korteweg. „Darum haben unsere Elemente kleinere Schäden erlitten, die aber niemals die Brennstäbe, sondern immer nur die äußeren Teile betrafen.“ Schon 2013 seien die Westinghouse-Elemente mit leichten Änderungen von der Atomaufsicht wieder freigegeben und eingesetzt worden. Ein neues Design, das spezifisch auf die Probleme der russischen Elemente Rücksicht nehme, liege derzeit noch bei der Atomaufsicht zur Genehmigung.
Es ist wenig Wunder, dass der russische Hersteller TVEL – Tochter von Rosatom – dieser Darstellung vehement widerspricht. „Es gab ein mechanisches Versagen in den Westinghouse-Elementen“, zitiert der Branchendienst Platts Fuel den TVEL-Manager Peter Lawrenjuk. Seine Firma hatte 2012 darauf gedrängt, an der Untersuchung der Probleme mit den Produkten der Konkurrenz beteiligt zu werden. Als ihnen das verweigert wurde, hätten die Russen die weitere Gewährleistung für ihre Brennelemente abgelehnt, wenn sie mit amerikanischem Material zusammen betrieben würden, sagen deutsche Nuklearexperten. Für sie liegen dem Problem Designfehler von Westinghouse zugrunde.
Angesichts des Konflikts um die Ukraine fragen sich viele Fachleute allerdings, ob eine sachliche Bewertung noch möglich ist. Da wirkt eine weitere Meldung beunruhigend: Ministerpräsident Jazenjuk hat Mitte April die langjährige Vorsitzende der staatlichen Atomaufsicht „auf eigenen Wunsch“ entlassen und durch einen früheren Stellvertreter ersetzt, der zuletzt Manager bei der Betreiberfirma Energoatom war. Er sei kompetent und integer, so der Eindruck, den Vertreter der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit von dem Mann bei früherer Zusammenarbeit gewonnen haben.
Der neue staatliche Aufseher entscheidet allerdings jetzt über die Anträge seiner ehemaligen Firma – unter anderem, welche Brennelemente verwendet werden dürfen. „Man kann nur hoffen, dass die Atomaufsicht zuerst die realen Risiken analysiert und nicht die politische Situation, wenn sie ihre Entscheidung trifft“, sagt Borys Kostiukovskyy vom Energieinstitut der Nationalen Akademie in Kiew.
Politisch betrachtet müssten jedoch dunkle Wolken über der Anlage stehen. Zwei der drei Blöcke sind derzeit ein Symbol für den Konflikt, der die Ukraine erschüttert. In ihren Kernen stecken Brennelemente russischer und westlicher Produktion direkt nebeneinander. Jeder der Hersteller wirft dem anderen nun vor, die Sicherheit der Anlage zu gefährden. Auch in den Atommeilern der Ukraine wird um Einfluss gerungen. Russland möchte seine Macht über Land und Reaktoren erhalten, die Regierung in Kiew und die AKW-Betreiber wollen sich dem Westen zuwenden.
Die Frage nach den Atomreaktoren steht mit im Zentrum des wirtschaftlichen Konflikts zwischen der Ukraine und Russland.
Ohnehin gehört die Energiefrage zum wirtschaftlichen Kern des Konflikts. Im Westen bekannt ist das Problem mit dem Erdgas, für das die russischen Lieferanten nun drastisch erhöhte Preise fordern. Gleichzeitig erzeugt die Ukraine fast die Hälfte ihres Stroms mit 15 Kernreaktoren russischer Bauart, für die bisher der russische Staatskonzern Rosatom Uran lieferte. Schon warnt der amtierende Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, Russland wolle Energie als „neue Atombombe“ gegen sein Land einsetzen – vor dem Hintergrund der Tschernobyl-Katastrophe, die sich 1986 in der Ukraine abspielte, ein bemerkenswerter Vergleich.
Zwar hat der Chef von Rosatom Mitte März die Versorgung garantiert: „Wir haben komplizierte Beziehungen zur Ukraine, aber es gab keine Unterbrechung und wird keine geben“, sagte Sergei Kirijenko laut staatlichem ukrainischen Informationsservice. Dennoch hat Jazenjuk selbst kurz danach Manager des US-Konzerns Westinghouse in Pennsylvania getroffen, berichtet das Wall Street Journal; wenig später verlängerte seine Regierung einen Liefervertrag mit den Amerikanern bis 2020. Es geht um Nuklearbrennstoff für Hunderte Millionen Dollar im Jahr. Westinghouse möchte bis zu ein Viertel des ukrainischen Bedarfs decken und so seine Fabrik in Schweden auslasten. Der Vertrag bezeuge die Qualität der eigenen Produkte, freute sich der Konzernchef.
Dabei ist auch die Beziehung zwischen dem Reaktorbetreiber und dem US-Konzern nicht konfliktfrei. Immer wieder gab es Streit um die gelieferten Brennelemente, die angeblich gefährliche Designfehler aufwiesen. Zweimal wäre Westinghouse fast aus dem Land geflogen; dass das Unternehmen jetzt wieder gefragt ist, hat weniger technische als politische Gründe.
Aus Russland kommen bereits heftige Proteste gegen den Westinghouse-Deal. Schon Mitte April meldete sich der Radiosender Voice of Russia mit der Meldung, die Ukraine sei auf bestem Wege, 15 weitere Tschernobyl-Desaster anzurichten. In russische Reaktoren passe nur russischer Brennstoff. Die Botschaft wurde auf vielen Kanälen verbreitet. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel bekam entsprechende Post vom stellvertretenden Vorsitzenden des Industrieausschuss der russischen Duma, Wladimir Gusenew.
Brennelemente sind in Prinzip Bündel von einigen Hundert langen dünnen Röhrchen, den Brennstäben, die mit Urantabletten gefüllt sind. Sie geben die bei der Kernspaltung entstehende Wärme an umgebendes Wasser ab, das an ihren dünnen Wänden entlangströmt. Abstandshalter und Stützbleche sorgen für die mechanische Stabilität des Brennelements.
Westinghouse versucht seit langem, im Geschäft mit Brennstoff für russische Reaktoren Fuß zu fassen. In Tschechien und Finnland ist der Konzern damit gescheitert. Problematisch ist, dass der Kern russischer Meiler radikal vom Design westlicher Kernkraftwerke abweicht. Die Brennelemente haben einen sechseckigen, nicht quadratischen Querschnitt; Abstände, Drücke, Temperaturen, beigesetzte Chemikalien, die Anordnung der Steuerstäbe, alles ist anders. Es ist, also wollte ein deutscher Sportwagenhersteller Kurbelwellen für chinesische Schiffsdiesel fertigen.
Hinzu kommt: Die Westinghouse-Brennelemente stehen in unmittelbarer Nachbarschaft mit ihren Pendants russischer Herkunft, deren Design jüngst substantiell verändert wurde. Dazu waren die russischen Lieferanten aufgrund fortgesetzter Mängel gezwungen. Laut einem Bericht der internationalen Atombehörde IAEA von 2005 zeigten vier Prozent der bis dahin verwendeten Elemente Lecks, ein Viertel von ihnen musste vorzeitig aus dem Reaktorkern entfernt werden – eine untragbare Ausschussquote. Das Inventar eines Reaktors wird aber nicht auf einen Schlag ausgetauscht, sondern über Jahre hinweg. Darum steckten die Westinghouse-Fabrikate irgendwann neben alten wie neuen Produkten der Russen.
2012 kam es zum Eklat: Etliche der erst ein Jahr zuvor eingesetzten amerikanischen Elemente wiesen mechanische Schäden auf, sie waren verbogen. Eine solche Veränderung birgt die Gefahr, dass im Ernstfall Steuerstäbe nicht schnell genug in den Reaktor geschoben werden können, um die nukleare Kettenreaktion zu stoppen. Die Kraftwerksbetreiber mussten, so sagten sie, für die am stärksten beschädigten Elemente Ersatz aus Russland beschaffen. Weil Rosatom inzwischen einen langfristigen Liefervertrag mit substantiellem Rabatt angeboten hatte, schien es, als habe Westinghouse seine Schuldigkeit getan und könne abtreten.
Doch die Vertreter des US-Konzerns gaben nicht auf. Bis heute beharren sie, die Ursache der mechanischen Verformungen sei in den benachbarten russischen Brennelementen neuer Bauart zu suchen, so als habe es Armdrücken im Reaktorkern gegeben. „Sie haben sich um bis zu 30Millimeter verbogen, weit über die Auslegungsgrenzen hinaus“, so Westinghouse-Sprecher Hans Korteweg. „Darum haben unsere Elemente kleinere Schäden erlitten, die aber niemals die Brennstäbe, sondern immer nur die äußeren Teile betrafen.“ Schon 2013 seien die Westinghouse-Elemente mit leichten Änderungen von der Atomaufsicht wieder freigegeben und eingesetzt worden. Ein neues Design, das spezifisch auf die Probleme der russischen Elemente Rücksicht nehme, liege derzeit noch bei der Atomaufsicht zur Genehmigung.
Es ist wenig Wunder, dass der russische Hersteller TVEL – Tochter von Rosatom – dieser Darstellung vehement widerspricht. „Es gab ein mechanisches Versagen in den Westinghouse-Elementen“, zitiert der Branchendienst Platts Fuel den TVEL-Manager Peter Lawrenjuk. Seine Firma hatte 2012 darauf gedrängt, an der Untersuchung der Probleme mit den Produkten der Konkurrenz beteiligt zu werden. Als ihnen das verweigert wurde, hätten die Russen die weitere Gewährleistung für ihre Brennelemente abgelehnt, wenn sie mit amerikanischem Material zusammen betrieben würden, sagen deutsche Nuklearexperten. Für sie liegen dem Problem Designfehler von Westinghouse zugrunde.
Angesichts des Konflikts um die Ukraine fragen sich viele Fachleute allerdings, ob eine sachliche Bewertung noch möglich ist. Da wirkt eine weitere Meldung beunruhigend: Ministerpräsident Jazenjuk hat Mitte April die langjährige Vorsitzende der staatlichen Atomaufsicht „auf eigenen Wunsch“ entlassen und durch einen früheren Stellvertreter ersetzt, der zuletzt Manager bei der Betreiberfirma Energoatom war. Er sei kompetent und integer, so der Eindruck, den Vertreter der deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit von dem Mann bei früherer Zusammenarbeit gewonnen haben.
Der neue staatliche Aufseher entscheidet allerdings jetzt über die Anträge seiner ehemaligen Firma – unter anderem, welche Brennelemente verwendet werden dürfen. „Man kann nur hoffen, dass die Atomaufsicht zuerst die realen Risiken analysiert und nicht die politische Situation, wenn sie ihre Entscheidung trifft“, sagt Borys Kostiukovskyy vom Energieinstitut der Nationalen Akademie in Kiew.