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Der Horror kehrt zurück

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New York – Alle Welt redet von der Freigabe von Marihuana in mehreren US-Bundesstaaten. Doch während Touristen heute nach Colorado zum legalen Kiffen fahren, begleitet von großer medialer Aufmerksamkeit, scheint kaum jemand wahrzunehmen, dass in New York eine Tragödie droht: Heroin, die Horror-Droge der 1970er Jahre, ist zurückgekehrt.



Heroin kann inzwischen auch geschnupft werden. Dadurch entsteht die Illusion, die Dorge wäre harmloser.

Es war am 16. Mai, einem Freitag, als Polizisten gemeinsam mit Drogenfahndern Esteban Margarin und Edualin Tapia festnahmen, Mitglieder eines Drogenrings. Die beiden hatten im siebten Stock eines Wohnblocks in der Bronx eine „Heroin Mill“ betrieben, ein Verarbeitungszentrum, in dem sie frisches Heroin für den Verkauf auf der Straße in Briefchen umfüllten. Die Polizisten stellten 24 Kilo Heroin im Schwarzmarktwert von elf Millionen Dollar sicher, dazu mehr als neun Kilo Kokain, drei Gewehre, darunter zwei Sturmgewehre, und 85000 Dollar in Scheinen.

Seit Jahresbeginn haben die Behörden in New York damit über 100 Kilo Heroin beschlagnahmt – 63 Kilo waren es im Vorjahr gewesen. Solche Mengen gab es zuletzt 1991. Jahrelang ging die Zahl der New Yorker zurück, die aufgrund einer Überdosis Heroin sterben. Seit 2010 steigt sie wieder, bis 2012 um 84 Prozent auf 382. Prominentestes Opfer ist der Schauspieler Philip Seymour Hoffman, der im vergangenen Februar mit einer Spritze im Arm auf dem Boden seines Badezimmers gefunden wurde. Die Polizei entdeckte bei ihm Dutzende von Heroin-Briefchen.

Mittlerweile ist die Lage so ernst, dass New Yorks Senator Charles Schumer in Washington um Hilfe nachsuchte. Die Stadt brauche dringend 100 Millionen Dollar aus der Bundeskasse, um den Drogenhandel effektiver bekämpfen zu können. „New York ist zum Umschlagplatz für den Drogenhandel an der ganzen Ostküste geworden“, sagte Schumer.

New York ist, was Drogen angeht, eine geprüfte Stadt. In den 1970er Jahren war es das Heroin, danach das noch zerstörerische Crack, eine besonders heimtückische Form des Kokains. Die Rauschgift-Wellen hatten Tausende von Drogentoten zur Folge, unzählige zerstörte Leben, unkontrollierte Kriminalität und den Verfall von Harlem, der South Bronx und von Teilen Brooklyns. Der Schrecken schien Vergangenheit zu sein. Aber jetzt?

„Die schiere Menge des Heroins, das in die Stadt kommt, ist beängstigend“, sagt Bridget Brennan, Sonder-Staatsanwältin für Drogendelikte. Ihre Behörde, das Amt des Special Narcotics Prosecutor (SNP), ist 1971 gegründet worden, während der letzten großen Heroin-Epidemie. Sie beobachte, „dass die Kartelle, die die Drogen vorwiegend aus Mexiko in die USA bringen, effizienter und produktiver geworden sind“. Zu Hilfe kommt den Banden dabei das Freihandelsabkommen Nafta von 1994, das den Grenzübertritt von Mexiko in die USA wesentlich erleichterte. Die Gangs kooperieren bei ihrem Geschäft mit legalen Speditionen. Hauptlieferant soll das mexikanische Sinaloa-Kartell sein. Zwar haben mexikanische Soldaten dessen Chef Joaquín Guzmán Loera, genannt El Chapo, im Februar festgenommen – doch Sinaloas Fähigkeit zu liefern sei dadurch bisher nicht beeinträchtigt, meint James Hunt, der Chef der DEA in New York.

Anders als früher grassiert der Heroin-Missbrauch auch in Mittelklasse-Vierteln. Brennan erklärt das so: Das Heroin ist heute viel reiner, als es früher war. In den Siebzigern lag der Reinheitsgrad bei sechs bis zehn Prozent, heute sind es 40 bis 60 Prozent. Das bedeutet, dass die Droge geschnupft werden kann. So entstehe die Illusion, Heroin sei harmloser. „Das zieht neue Gruppen von Konsumenten an, die alarmiert wären, müssten sie eine Spritze nehmen, aber kaum Probleme mit dem Schnupfen haben.“

Diese Naivität wirkt mit einem anderen Trend zusammen: Immer mehr Amerikaner sind von Schmerzmitteln abhängig. „Anfang der Neunzigerjahre setzte sich in der medizinischen Literatur die Erkenntnis durch, dass Schmerzen unterbehandelt sind“, sagt Jakob Melamed, Internist am Columbia-Presbyterian Hospital in New York. Die Therapien wurden besser, aber auch der Missbrauch nahm zu. Viele Ärzte hätten eine „verantwortungslose Verschreibungspraxis“, sagt Bridget Brennan. „Ein Zahnarzt verschreibt ein starkes Schmerzmittel für 30 Tage, wenn drei Tage reichen.“ Die überschüssigen Pillen liegen im Arzneischrank und fallen im schlimmsten Fall Kindern in die Hände. Und wer erst einmal von Schmerzmitteln abhängig ist, der greift auch schneller zu Heroin. Andrew Kolodny, leitender Arzt bei Phoenix House, einer Drogenklinik, sagt: „Es ist nicht leicht, den Geist der Opiate zurück in die Flasche zu holen.“

Eine Verbindung zwischen der Legalisierung von Marihuana in Teilen der USA – nicht im Staat New York – und der Heroin-Epidemie sehen Experten nicht. Staatsanwältin Brennan warnt trotzdem: Der Konsum von Drogen normalisiere sich, „Zynismus gegenüber staatlicher Regulierung“ könne sich breit machen: „Früher hat man uns gesagt, Gras sei schlecht. Jetzt wird es nicht nur aus medizinischen Gründen erlaubt, einige Staaten legalisieren es komplett. Warum sollten wir glauben, wenn man uns sagt, Heroin sei schlecht?“
Prävention gegen Drogentod: New Yorker Polizisten haben neuerdings das Heroin-Gegenmittel Naloxon bei sich.
Von Nikolaus Piper


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