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Hört, hört

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Jeff Bezos zählt eher nicht zu jenen Asphalt-Cowboys, mit denen man angetrieben von ein paar coolen Sounds an der amerikanischen Westküste entlangcruisen will. Der Gründer und Chef des Internetkonzerns Amazon ist einer jener Zeitgenossen, die mit Musik nichts anfangen können. Wenn Bezos in früheren Zeiten längere Autofahrten unternahm, so steht es in einem Buch über ihn, kaufte er im Supermarkt stapelweise CDs aus der Grabbelkiste. Egal was, Hauptsache im Hintergrund läuft irgendein Gedudel.



Amazon hat gestern seinen Streamingdienst in den USA gestartet. Der soll in erster Linie das Prime-Angebot attraktiver machen, keine Konkurrenz zu anderen Anbietern sein. 

Inzwischen ist Bezos einer der einflussreichsten Unternehmer der Welt und weil seine Firma einen wachsenden Teil des Umsatzes mit dem Verkauf digitaler Medien verdient, interessiert sich der 50-Jährige nun gezwungenermaßen für Musik. Bislang verkaufte er sie lediglich. Am Donnerstag nun ist sein Unternehmen auch in den schnell wachsenden Markt des Musikstreamings eingestiegen, mit dem Kunden immer und überall digital Musik hören können. Amazon hat – vorerst nur in den USA – einen eigenen Streamingdienst gestartet: Prime Music.

Das Angebot ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings weniger eine Konkurrenz für bestehende Anbieter wie Spotify, Rdio, Google Music oder das jüngst von Apple geschluckte Beats Music. Bezos verfolgt mit seinem Musikdienst offensichtlich einen größeren Plan: Er will damit das Premium-Kundenprogramm namens Amazon Prime attraktiver machen. Prime muss man sich wie einen Buchclub für das Internetzeitalter vorstellen: Der Kunde zahlt eine Jahresgebühr von 99 Dollar. Dafür bekommt er alle seine Bestellungen bei Amazon innerhalb von zwei Tagen nach Hause geliefert, versandkostenfrei. Außerdem können Prime-Kunden beispielsweise kostenlos E-Books ausleihen oder Filme und Fernsehserien anschauen. Nun kommt noch das werbefreie Musikhören dazu.

Das Kalkül des Angebots ist klar: Die Kunden sollen eng an Amazon gebunden werden. Möglichst so eng, dass sie irgendwann gar nicht mehr so leicht davon loskommen. Wer einmal eine Jahresgebühr für kostenlose Lieferungen bezahlt, will natürlich auch, dass sich das Geschäft rentiert und bestellt häufiger. Wer seine Filme über Amazon schaut, kauft vielleicht auch mal einen der Tablet-Computer des Unternehmens und lädt sich einen kostenpflichtigen Blockbuster.

Zahlen wie sich das Rundum-Wohlfühlprogramm Prime auf den Umsatz des Konzerns auswirkt, gibt es nicht. Amazon schweigt offiziell auch über die Zahl seiner Premium-Kunden. Unter Branchenkennern ist immer wieder von mindestens 20 Millionen die Rede. Das wäre viel: 244 Millionen Kunden hat Amazon eigenen Angaben zufolge insgesamt. Indirekt würde Amazon damit quasi über Nacht zu einem der größten Streaming-Anbieter. Der bisherige Marktführer, das schwedische Start-up Spotify, hat nach eigenem Bekunden zehn Millionen zahlende Kunden, 31 Millionen hören mit Werbeeinblendungen.

Dennoch dürfte bei Spotify am Donnerstag keine Panik ausgebrochen sein: Noch sind die Schweden dem neuen Konkurrenten massiv überlegen. Zum Start umfasst der Musikkatalog bei Amazon gerade einmal etwas mehr als eine Million Titel. Bei Spotify sind es um die 20 Millionen. Der eher minimalistische Amazon-Ansatz ist aus der Not geboten: Wie die New York Times berichtet, verliefen die Verhandlungen mit der Musikindustrie recht holprig. Die Universal Music Group, das größte Plattenlabel der Welt, hat die Verhandlungsführer des Versandhändlers nicht zu einer Einigung bewegen können. Sony und Warner Music sind zwar dabei, aber ihr Musikkatalog steht nur eingeschränkt zur Verfügung. Neue Songs sollen erst nach sechs Monaten freigeschaltet werden. Das hat absurde Folgen: Aus der Top Ten der Billboard-Charts ist gerade einmal ein einziger Song bei Prime Music gelistet. Noch ist der Dienst wenig mehr als eine digitale Musik-Grabbelkiste.

Amazon habe den Labels nur wenig Geld für das Streaming ihrer Musik geboten, heißt es in der New Yorker Zeitung. Insgesamt sei der Konzern aus Seattle bereit gewesen, 25 Millionen Dollar auszugeben. Es wäre allerdings falsch, aus dem überschaubaren Startangebot zu schließen, dass Amazon das Engagement in diesem neuen Geschäftsfeld nicht ernst meint. Bezos pokert oft. Er lässt nicht gerne in die Karten schauen, startet klein und wächst dann schnell.

Den wahrsten Satz über Bezos hat vielleicht einmal der Techcrunch-Kolumnist MG Siegler formuliert. Siegler schrieb, Bezos sei jemand, der so lange unterhalb des Radars fliege, bis er den Radar kaufen könne. Und die Firma, die alle Radare herstelle auch. Gut möglich, dass die Strategie beim Musikstreaming ähnlich ist. Langsam anfangen und dann mit großer Marktmacht den Druck auf die Labels erhöhen.

Glaubt man der Fachpresse, dann wird Amazon der Öffentlichkeit nach Monaten der Spekulation in der kommenden Woche ein eigenes Smartphone vorstellen. Sieben Jahre nachdem Apple das iPhone auf den Markt gebracht hat. Die Amazon-Konkurrenten sollten nicht darauf vertrauen, dass es auch beim Musikstreaming so lange dauert, bis das Unternehmen voll durchstartet. 

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