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Im Dunstkreis der Zigarettenschmuggler

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Es hätte frischer Fisch aus Griechenland sein sollen, aber das war nur die Tarnladung. Zöllner hatten einen guten Riecher, als sie den Lastwagen auf der A8 anhielten. Nachdem sie den Fisch beiseite geräumt hatten, entdeckten die Beamten die tatsächliche Ladung: In Kühlboxen hinter dem Fisch lagerten exakt 7286400 Stück unversteuerte und unverzollte Zigaretten der Marke „Jing Ling“. Allein die hinterzogene Tabaksteuer für diese Ladung betrug knapp eine Million Euro. Der Lkw-Fahrer wurde verhaftet, die Zigaretten mit dem klingenden Namen stellte der Zoll sicher. Den Fisch, dachten die Beamten, könnten sie dem Tierpark Hellabrunn überlassen, aber da waren sie zu optimistisch. Die Tiere wollten das Zeug nicht fressen, so frisch war die Tarnladung offenbar nicht gewesen. Der Fisch musste schließlich entsorgt werden.



Beschlagnahmte Zigaretten werden beim Zoll eingelagert und später zerstört.

Beschlagnahmte Zigaretten zerstört der Zoll grundsätzlich. Während ein Ermittlungsverfahren läuft, müssen die Stangen aber zunächst eingelagert werden. Beim Zollfahndungsamt an der Landsberger Straße liegen deshalb meist Tausende Schachteln Zigaretten im Keller. Es gibt keine Ware, die so häufig nach Deutschland geschmuggelt wird. „Vom Volumen her sind Zigaretten unser Hauptproblem“, sagt Chefermittler Siegfried Wittwer. Und damit meint der Münchner Fahnder nicht die Urlauber, die zwei Stangen zu viel aus dem Ausland mit nach Hause nehmen und am Flughafen im Erdinger Moos am Zoll vorbei mogeln wollen. Wenn Wittwer über Zigarettenschmuggel spricht, dann redet er von hoch spezialisierten Banden, organisierter Kriminalität und Geldwäsche. Zigaretten sind für Schmuggler so interessant, weil die Gewinnspanne so hoch, für Medien und Öffentlichkeit der Drogenschmuggel aber spektakulärer ist. Zigaretten stehen nicht so im Fokus. „Dabei hat der Handel Dimensionen“, sagt Wittwer, „die man sich gar nicht vorstellen kann.“

Bis zu 20 Euro Gewinn machen die Täter pro geschmuggelter Stange Zigaretten. Da können pro Lkw-Ladung schnell mal ein paar hunderttausend Euro herausspringen. Der geschätzte Steuerausfall wegen Zigarettenschmuggels in Deutschland betrug 2013 geschätzt 4,3 Milliarden Euro. Obwohl die Gesetze immer strikter werden, rauchen die Menschen in der Europäischen Union etwa 420 Milliarden Zigaretten im Jahr. „30 Prozent davon sind nicht legal hergestellt oder legal versteuert“, sagt Wittwer. Die Marke Jing Ling zum Beispiel, die mit der Tarnladung Fisch in einem Lkw lagerte, gibt es hier offiziell gar nicht. Die Schachtel der Zigaretten aus Kaliningrad sieht aus wie die von der Marke „Camel“, statt eines Kamels aber ist eine Bergziege das Logo. In Deutschland gibt es für Jing Ling weder Werbung noch legale Vertriebswege. Die Zigaretten der Marke werden rein als Schmuggelware hergestellt und wechseln nur unter der Theke den Besitzer. Trotzdem gehören sie zu den Top Ten der meistgerauchten Zigaretten der Republik.

Doch bis Schmuggler überhaupt erst auf die Idee kamen, eigene Zigaretten herzustellen, war es ein weiter Weg. „Das Geschäft hat in den vergangenen Jahren einigen Wandel durchlaufen“, sagt Wittwer. Zu Beginn des Europäischen Binnenmarkts 1993 nutzten die Schmuggler zunächst einmal den Vorteil, den ihnen der neue Wirtschaftsraum bot. Sie merkten schnell, dass deutsche Zöllner sich zwar gut mit Dokumenten aus den Nachbarstaaten wie Österreich oder Frankreich auskannten. Die Stempel der Zollkollegen aus Spanien aber hatten deutsche Zöllner bis dahin so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Also besorgten sich die Täter gefälschte spanische Dokumente für ihre Lastwagen und gelangten auf ihrem Weg nach München oder zu anderen deutschen Zielorten relativ problemlos über die Grenze. Sie machten ein Riesengeschäft, in einem Lkw transportierten sie gut zehn Millionen Zigaretten, was einem Wert von 1,8 Millionen Euro entspricht. Die deutschen Behörden kamen den Schmugglern auf die Schliche, aber da hatten viele von ihnen die Transportwege schon in den Osten verlagert, wo sie viel billiger einkaufen können.

„Was Händler in Kirgisien zum Beispiel an Zigaretten kauften, da hätte jeder Einwohner 100 Zigaretten pro Tag rauchen müssen“, sagt Wittwer. Die Zigaretten aber wurden nicht alle dort verbraucht, sondern auf dunklen Wegen nach Deutschland oder andere westeuropäische Länder gebracht, wo die Preise hoch sind. Dort veräußerten sie ihre Ware mit hübscher Gewinnspanne.

Den EU-Staaten reichte es jetzt, sie nahmen die Tabakhersteller in die Pflicht. Im Jahr 2004 unterzeichnete Philipp Morris International als größter Tabakhersteller der Welt einen Vertrag, wonach das Unternehmen innerhalb von zwölf Jahren 1,25Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung des Schmuggels spendierte. Noch viel wichtiger aber war ein anderer Passus des Papiers: Philipp Morris verpflichtete sich, bei jeder verkauften Tabakladung den Abnehmer anzugeben. Andere große Tabakhersteller machen inzwischen dasselbe. Fliegt eine Schmuggelladung auf, können die Behörden also den ersten Abnehmer dieser Ware ausfindig machen – die Unternehmen verkaufen nie wieder etwas an ihn. Überhaupt haben die Tabakhersteller ziemlich hochgerüstet, sie verfügen heute über ein dichtes Netzwerk an Informanten und Detektiven, um Schmuggler zu entlarven. Es geht ums Image und darum, Strafzahlungen zu vermeiden. Es geht aber auch um die Markenidentität. Denn die Banden, die illegal mit Zigaretten handeln, gingen aufgrund des Drucks immer mehr dazu über, Zigaretten zu fälschen.

Die Schachteln sehen täuschend echt aus. Ganz vorne dabei bei diesem Trend waren die Chinesen, der Zoll stellte 2006 im Hamburger Hafen auf einen Schlag 110 Container sicher, jeder bis obenhin gefüllt mit gefälschten Zigaretten. Der Wert einer Container-Ladung betrug etwa 15000 Euro. Die Tabakhersteller unterhalten so etwas wie forensische Teams, die sichergestellte Ware untersuchen und sofort erkennen, was Original und was Fälschung ist.

Die Schmuggler hatten es plötzlich mit zwei Gegnern zu tun, mit Ermittlern wie den Zollfahndern in München, aber nun auch mit den Unternehmen. Also fanden sie einen Ausweg: Sie produzierten selbst. Es braucht nur zwei Maschinen, eine für die Herstellung der Zigaretten und eine für die Verpackung. Dazu ein paar Arbeiter. In einer Woche lassen sich so zehn Millionen Zigaretten herstellen. „Das begann in der EU so etwa im Jahr 2003“, sagt Wittwer. „Diese Ware ist allein für den Schmuggel gedacht.“ Die Täter produzieren zahlreiche Marken mit verschiedenen Fantasienamen in mehreren Ländern, dann machen die Zigaretten eine halbe Weltreise, etwa über Ägypten und Malaysia, um in die EU eingeführt zu werden – als Futtermittel oder Saubohnen deklariert.

Die geschmuggelten Zigaretten verteilen die Schmuggler an Leute, denen sie vertrauen. Die verkaufen die Ware dann am Arbeitsplatz oder im Sportklub. „In einem Werk von großen Firmen zum Beispiel“, sagt Wittwer, „das ist ein Riesenmarkt mit vielen Abnehmern.“ Seine Fahnder hatten schon Schmuggler, die Kleinanzeigen in Zeitungen schalteten und sich als Pizzaboten tarnten. Die „Lieferung frei Haus“ war dabei nur der Code, dass es gar nicht um Pizza, sondern um Zigaretten geht. Zu ermitteln ist so etwas nur schwierig. Früher benutzten die Täter noch Telefon oder Fax, so dumm ist heute kaum mehr einer. Die Schmuggler transportieren die Zigaretten inzwischen auch in viel kleineren Mengen über die Grenze, nicht mehr in riesigen Lkw-Ladungen. So verteilen sie das Risiko und mindern den Verlust, wenn der Zoll mal einen Transport hochgehen lässt. Die Gewinne reinvestieren die Schmuggler in ihre Ausstattung und Logistik, sie bezahlen korrupte Helfer. Und sie waschen das Geld, bringen es so in den legalen Wirtschaftskreislauf und gewinnen an Macht und Einfluss. Die Mafia und Terrorgruppen haben den Markt für sich entdeckt, mit Zigaretten lässt sich leichter Geld machen als mit Drogen.

Die Fahnder versuchen vor allem, den Schmugglern über Geldflüsse auf die Spur zu kommen. Für die Verfolgung von Steuerhinterziehung, wozu auch der Zigarettenschmuggel gehört, unterstehen Siegfried Wittwer beim Zollfahndungsamt München 53 Mitarbeiter. Der Chefermittler selbst ist gut vernetzt, er arbeitete lange beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung „Olaf“. Zusammen mit den anderen Münchner Fahndern will er nicht nur Transporte und die Handlanger erwischen. Die Ermittler versuchen, an die Strippenzieher des Schmuggels heranzukommen, weshalb die Verfahren oft langwierig sind. „Wenn wir einen Häuptling kriegen, sind viele Indianer blind“, sagt Wittwer. Die Täter, die in einer Organisation in verschiedenen Hierarchiestufen zusammenarbeiten, kennen sich oft gar nicht. So können die Ermittler nachhaltig Strukturen zerstören.

Anfang dieses Jahres haben die Münchner Zollfahnder in einer lange vorbereiteten Aktion 19 Wohnungen, Arbeitsstätten und Lagerräume einer Bande in Bayern durchsucht und gegen 24 Tatverdächtige Haftbefehl erlassen. Der Steuerschaden beläuft sich auf mindestens 350000 Euro. In einem anderen Fall kontrollierten sie einen Lastwagen aus Griechenland, der Papierrollen für Zeitungsdruckereien geladen hatte. Die Rollen waren innen hohl und vollgestopft mit Zigaretten. Die Schmuggelware ist sichergestellt. Auch diese Zigaretten liegen nun im Keller des Zollfahndungsamts an der Landsberger Straße und warten darauf, zerstört zu werden.

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