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Hauptsache halal

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Der Goldbär weist gerne darauf hin, dass er Kinder froh macht, und Erwachsene ebenso. Menschen, die es schätzen, wenn in ihre Süßigkeiten keine Schweinereste gerührt wurden, macht der Goldbär aber nicht so froh. Muslime zum Beispiel. Daher gibt es jetzt den Inklusions-Bär: Fruchtgummi halal. Also ohne Schweinegelatine. Mit deutschem Aufdruck von einer deutschen Firma in der Türkei produziert und als Re-Import bislang nur in türkischen Supermärkten zu kaufen.



Ein türkischer Supermarkt in der Berlin. In solchen Onkel-Mehmet-Läden kaufen die meisten Türken, die ihre Lebensmittel halal wollen.  

Mehr als 4000 dieser Märkte gibt es in Deutschland. Früher waren es kleine Tante-Emma-Läden, die Türken tatsächlich Onkel-Mehmet-Läden nennen. Inzwischen sind viele davon zu Großmärkten herangewachsen. Zu günstigem Obst und Gemüse kommt eine immer größere Auswahl an Produkten, die beinahe alle aus der Türkei importiert werden: Käse, Oliven, Honig, Rindersalami, Joghurt, Kekse und eben Gummibärchen. Deutsche Lebensmittelhersteller und -händler sind ins Grübeln geraten, wie sie die Kunden und ihre Portemonnaies weg von Onkel Mehmet hin zum deutschen Supermarktregal locken können.

17,6 Milliarden Euro geben die gut drei Millionen Türken in Deutschland jährlich aus, sagt Engin Ergün, der mit seiner Agentur Ethno IQ deutschen Firmen den „türkischen Konsumenten“ erklärt. Türkisch ist für Ergün ein weiter Begriff, der weniger mit dem Pass als mit einem Gefühl zu tun hat. Und viel mit Essen.

Engin Ergün ist es, der dem Bären dazu geraten hat, auf Schwein zu verzichten. Denn gerade in der Küche sind die meisten Menschen doch ziemlich konservativ. „Essen wie bei Oma“ ist ein Bedürfnis, für das man keiner bestimmten Religion angehören muss. Und für die meisten Türken bedeutet Essen wie bei Oma auch, dass bestimmte religiöse Regeln befolgt werden. „Wir beobachten gerade in der dritten und vierten Generation der Deutsch-Türken, dass es wichtig ist, dass das Essen halal ist.“ Obwohl sie Alkohol trinken und Religion in ihrem Alltag eher selten vorkommt. Und obwohl sie im Zweifel auch lieber zum deutschen Supermarkt fahren, weil dort die Chancen höher sind, dass nicht nur eine U-Bahn-Station, sondern auch ein Parkplatz in der Nähe ist.

Das Problem ist nur, dass deutsche Supermärkte zwar inzwischen allerlei Exotik-Ecken mit Curry-Pasten und Algenblättern haben, jedoch kein verlässliches System, das vor Schweineresten in Produkten warnt. Mit dem Schwein sind Deutsche ja großzügig: Es darf nicht nur in die Salami, sondern versteckt sich auch in Tortenguss, Joghurt, Seife und Fruchtgummis. Das steht dann allerdings nur im Kleinstgedruckten. „Für muslimische Kunden ist da keine große Glaubwürdigkeit gegeben“, sagt Ergün. Vielen erscheint es sicherer, direkt zum türkischen Händler zu gehen, als Zutatenlisten zu studieren.

Wäre also ein Halal-Siegel eine Lösung? So eines prangt zum Beispiel auf den schweinefreien Gummibären. Denn in der Wahrnehmung des Laien bedeutet halal vor allen Dingen: kein Schwein, kein Alkohol und Fleisch nur von geschächteten Tieren. In einer ethisch-religiösen Auslegung hat halal jedoch eine deutlich umfangreichere Bedeutung. Als Gegenbegriff zu „haram“ (verboten) bezeichnet halal das Gute, das Erlaubte. Und gut bedeutet auch: keine Massentierhaltung, faire Löhne, gesunde Tiere, Respekt vor der Schöpfung.

Wenn Hamza Wördemann vom Zentralrat der Muslime in Deutschland das Wort halal erklärt, klingt das, als würde er über Bio und Fairtrade sprechen. „Wer sich halal ernährt, sollte eigentlich ohnehin nur einmal die Woche Fleisch essen, und der sollte auch genau darüber Bescheid wissen, unter welchen Bedingungen sein Essen hergestellt wurde.“ Praktisch ist das für die meisten schwer umsetzbar, gibt Wördemann zu. Und auch die Mehrheit der 200 selbsternannten Halal-Zertifizierungsstellen in Deutschland zeichnet Produkte schon dann als halal aus, wenn nur die Mindestanforderung „schweinefrei“ erfüllt ist. Manchmal stimmt noch nicht einmal das. Er habe sich gefreut, als er an immer mehr Dönerbuden Halal-Aufkleber gesehen habe, sagt Marketing-Mann Ergün. Dann erschienen ihm die Aufkleber irgendwann verdächtig zahlreich. „Halal ist zu einem kommerzialisierten Begriff geworden. Die Menschen wissen, dass sie damit gut verkaufen können.“ Doch weil es eine religiöse und keine gesetzlich geschützte Bezeichnung ist, kann leicht geschummelt werden. Strafen muss niemand fürchten.

Hamza Wördemann ist daher nicht für ein einheitliches Siegel, sondern für eine genaue Kennzeichnung der Produkte. „Wenn auf einem Fruchtjoghurt steht, dass er kein Schweinefleisch enthält, ist dem Kunden schon geholfen.“ Obwohl Wördemann sich vor allen Dingen aus religiöser Perspektive mit den Essgewohnheiten der deutschen Muslime beschäftigt, sieht auch er einen Markt. „Die meisten Menschen sind bereit, für Halal-Lebensmittel bis zu zehn Prozent mehr zu bezahlen.“

Nicht nur in diesem Punkt sind die Halal-Käufer ziemlich nah dran an den Bio-Käufern. „In unserer Zeit der digitalen Globalisierung suchen die Menschen nach kultureller Sicherheit. Dadurch sind regionale Produkte so populär geworden“, sagt Professor Gunther Hirschfelder, der an der Universität Regensburg als Kulturwissenschaftler die europäische Esskultur erforscht. Der Halal-Trend ist für ihn weniger ein religiöses Phänomen als der Versuch, „kulturelle Eigenständigkeit zu behaupten“. Und genauso, wie auch Biomarkt-Jünger sich einerseits ausdauernd laktosefrei ernähren, andererseits aber vielleicht auch gerne Burger essen, werden viele Muslime, die sonst nie in die Moschee gehen, vom 28. Juni an nur noch nach Sonnenuntergang essen und trinken. Dann beginnt Ramadan. Fasten wie bei Oma.

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