Kouassi Kongokro – Die Kinder wissen natürlich Bescheid. Wohin verschwindet der Kot? „Der Regen nimmt ihn mit!“, ruft Marie Grace, sechs Jahre alt. Und das Mädchen neben ihr, die Haare zu kleinen Würmern geflochten, ergänzt: „Der Kacke-Roller!“ Großes Gelächter. Gemeint ist der Skarabäus-Käfer, der in diesen Breitengraden tief im Regenwald der Elfenbeinküste gute Bedingungen vorfindet, unter dunklem Blattwerk oder fauligem Obst. Und ja, auch er ist mitverantwortlich dafür, dass ein Haufen, den ein Mensch hier diskret hinter Elefantengras oder anderem Gestrüpp zurücklässt, sich so schnell und rückstandslos verflüchtigt.
Toilette, Spülung, dreilagiges Klopapier: Im Regenwald der Elfenbeinküste sind die Menschen ohne ausgekommen.
Es ist so gesehen eine seltsame Vorstellung, über welche die Erwachsenen im Dorf Kouassi Kongokro jetzt diskutieren: Vor das eigene Haus soll man künftig koten, oder sogar ins Haus selbst – und das soll sauberer sein? Im Dorf schauen sie sich etwas belustigt an, als der Besuch kommt, der von dieser fixen Toiletten-Idee überzeugt ist. Die gesamte Dorfgemeinde hat sich unter einem Schatten spendenden Baum versammelt, Männer, Frauen und Kinder. Aber die Kinder verziehen die Mienen, viele Erwachsene tun es auch: Mal ehrlich, es hat ja gut geklappt bisher mit dem Austreten ins Grüne.
Die Natur rund um das Dorf Kouassi Kongokro ist dicht und fruchtbar. Man muss nicht weit laufen, bis man völlig aus dem Blick verschwindet und für sich ist, hinter Palmwedeln, Mangobäumen, Termitenhügeln. Es gibt hier Bäume, deren Stämme so dick sind, dass sich acht Kinder gleichzeitig dahinter verstecken können, und es gibt keine festen Plätze im Busch, die eigens als Toilette ausgewiesen werden müssten, sondern hier und da nur ein paar alte Plastiktüten, Getränkekartons, Mangoschalen, zerknülltes Toilettenpapier: Müllhaufen. Es gibt Orte im Wald, an welche eher die Männer gehen, und Orte, an welche eher die Frauen gehen. Und es gibt viel Regen, der alles schnell fortwäscht, und ein ständiges pralles Wachstum, das den Busch laufend umpflügt.
In den verdreckten europäischen Städten des Mittelalters, wo Nachttöpfe auf die Straßen gekippt wurden, mag das Prinzip Toilette, als es im 17. und 18. Jahrhundert populär wurde, ja eingeleuchtet haben. Deckel drauf, Gestank weg, Gefahr von Krankheiten gebannt. Aber im Regenwald?
Es riecht nach Rauch. Die Äste, die in kleinen Feuerstellen kokeln und Töpfe warm halten, sind so feucht, dass man glaubt, den trägen Qualm mit den Händen greifen und formen zu können. Fetzen davon schweben zwischen den Hütten, die aus Ästen und schwarzer Plane gezimmert sind. Es riecht nach Hund, ein wenig auch nach süßlichem Schweiß. Aber unhygienisch wirkt hier auf den ersten Blick überhaupt nichts. Weder stinkt der Müll, noch sind die Fliegen im Dorf sich einig, wo man sich versammeln soll.
Die Sozialarbeiter, die aus der großen Stadt nach Kouassi Kongokro gekommen sind, legen sich also ins Zeug, um zu werben für die Idee von Toiletten. Eine von ihnen, Elise Yao Aya, holt dazu einen Teller mit Essen aus ihrem Jeep: Couscous mit Fisch. Den Teller stellt sie auf dem Boden ab, inmitten der Dorfversammlung – und daneben stellt sie einen kleinen Haufen Kot. Die Kinder kreischen, als die braune Masse aus einer Plastiktüte auf den Boden fällt.
Es dauert nur wenige Momente, bis die ersten Fliegen kommen und zwischen beiden Attraktionen hin- und hersurren, vom Kot zum Essen und zurück zum Kot. Die Botschaft der Sozialarbeiterin: Genau dasselbe passiert, wenn ihr euch unter freiem Himmel im Busch erleichtert und dann die Fliegen ins Dorf kommen. Diarrhöe, Cholera, die sogenannten Schmutzige-Hände-Krankheiten verlaufen oft tödlich in den Tropen.
Die Sozialarbeiterin ist selbst eine Ivorerin, aber sie kommt von einer Hilfsorganisation mit Hauptsitz in New York, dem International Rescue Committee. Es geht ihr darum, die Gesundheit der Landbevölkerung zu verbessern. Bei ihrem Besuch entspinnt sich dann tatsächlich eine Diskussion über das Für und Wider einer technischen Innovation.
Die Sozialarbeiterin fragt: Welche Krankheiten kann man bekommen durch den Kontakt mit Kot? Aids ist die erste Antwort, die einem Kind einfällt. Die zweite ist Bauchweh.
Im Nachbardorf Konankro, wo sie vor einem Jahr Latrinen für alle Familien gebaut haben, 82 Stück für 741 Einwohner, sind die Krankheitsfälle bereits zurückgegangen. Das bestätigt der Arzt Ndrama Louis, 34, der für dieses Dorf und noch drei weitere verantwortlich ist. Auf seinem Schreibtisch stehen ein Insektenspray und ein medizinisches Lexikon von 1997, vor seiner Tür warten vor allem Frauen mit kleinen Kindern.
Es hat sich dort auch etwas verändert im gesellschaftlichen Leben, sagt eine dieser Frauen: „Wenn man früher Gäste hatte, konnte man ihnen ein großes Essen anbieten, aber wenn sie sich anschließend erleichtern wollten, war man beschämt, sie in den Busch schicken zu müssen.“
Die neu gebauten Latrinen in diesem Dorf sind simpel, es sind Hock-Aborte, eine Betonplatte auf dem Boden mit einem Loch in der Mitte. Die Latrine hat vier Wände. Am Eingang hängt eine Plastikflasche voll Wasser, in deren Boden jemand ein kleines Loch gepiekst hat: Drückt man die Flasche, spritzt ein Wasserstrahl heraus, zum Händewaschen.
Es ist eine einfache Erfindung, aber sie hat das Dorf zusammenrücken lassen, sagt der Dorfälteste: „Wenn jemand auf die Toilette muss, der gerade weit entfernt ist von seinem Haus“, so erklärt er, „dann ist er willkommen, sich auch bei anderen Dorfbewohnern zu erleichtern.“ Die Zuhörer stutzen. Der Dorfälteste ist nicht wirklich der Älteste, in dieser Hinsicht wird die Tradition recht flexibel gehandhabt, er ist 55 Jahre alt, heißt Nana Amani Koffine und trägt eine dicke goldfarbene Kette mit einem filigran gearbeiteten Anhänger in Form eines Elefanten. Jeder Dorfbewohner dürfe jede Latrine benutzen – „solange er nachher Bescheid sagt“. Andächtiges Schweigen.
Stille Örtchen mitten im Ort: In dem Dorf Konankro, wo diese großstädtische Idee seit einem Jahr ausprobiert wird, hat man allerdings auch ein Problem entdeckt, das bereits im Hintergrund lauert. Man hat nämlich unter jedem Hock-Abort ein drei Meter tiefes Loch ausgehoben. Das ist zwar tief genug, um Gerüche zu vermeiden und das Thema lange Zeit auf Abstand zu halten, aber irgendwann werden auch diese Löcher voll sein. Und dann? Eine Kanalisation gibt es im Regenwald nicht. Maschinen zum Abpumpen auch nicht. Eine Antwort haben auch die Sozialarbeiter nicht. Vielleicht tickt da in Wahrheit bereits eine Hygiene-Zeitbombe unter der Erde? Das vermutet jedenfalls ein Dorfbewohner in Konankro, woraufhin die versammelte Gemeinde in Gemurmel ausbricht.
Der Dorfälteste, Nana Amani Koffine, neigt nur nachdenklich den Kopf, die Augen geschlossen, so als horche er in sich hinein, oder als röche er gerade einem ganz feinen Duft nach.
Toilette, Spülung, dreilagiges Klopapier: Im Regenwald der Elfenbeinküste sind die Menschen ohne ausgekommen.
Es ist so gesehen eine seltsame Vorstellung, über welche die Erwachsenen im Dorf Kouassi Kongokro jetzt diskutieren: Vor das eigene Haus soll man künftig koten, oder sogar ins Haus selbst – und das soll sauberer sein? Im Dorf schauen sie sich etwas belustigt an, als der Besuch kommt, der von dieser fixen Toiletten-Idee überzeugt ist. Die gesamte Dorfgemeinde hat sich unter einem Schatten spendenden Baum versammelt, Männer, Frauen und Kinder. Aber die Kinder verziehen die Mienen, viele Erwachsene tun es auch: Mal ehrlich, es hat ja gut geklappt bisher mit dem Austreten ins Grüne.
Die Natur rund um das Dorf Kouassi Kongokro ist dicht und fruchtbar. Man muss nicht weit laufen, bis man völlig aus dem Blick verschwindet und für sich ist, hinter Palmwedeln, Mangobäumen, Termitenhügeln. Es gibt hier Bäume, deren Stämme so dick sind, dass sich acht Kinder gleichzeitig dahinter verstecken können, und es gibt keine festen Plätze im Busch, die eigens als Toilette ausgewiesen werden müssten, sondern hier und da nur ein paar alte Plastiktüten, Getränkekartons, Mangoschalen, zerknülltes Toilettenpapier: Müllhaufen. Es gibt Orte im Wald, an welche eher die Männer gehen, und Orte, an welche eher die Frauen gehen. Und es gibt viel Regen, der alles schnell fortwäscht, und ein ständiges pralles Wachstum, das den Busch laufend umpflügt.
In den verdreckten europäischen Städten des Mittelalters, wo Nachttöpfe auf die Straßen gekippt wurden, mag das Prinzip Toilette, als es im 17. und 18. Jahrhundert populär wurde, ja eingeleuchtet haben. Deckel drauf, Gestank weg, Gefahr von Krankheiten gebannt. Aber im Regenwald?
Es riecht nach Rauch. Die Äste, die in kleinen Feuerstellen kokeln und Töpfe warm halten, sind so feucht, dass man glaubt, den trägen Qualm mit den Händen greifen und formen zu können. Fetzen davon schweben zwischen den Hütten, die aus Ästen und schwarzer Plane gezimmert sind. Es riecht nach Hund, ein wenig auch nach süßlichem Schweiß. Aber unhygienisch wirkt hier auf den ersten Blick überhaupt nichts. Weder stinkt der Müll, noch sind die Fliegen im Dorf sich einig, wo man sich versammeln soll.
Die Sozialarbeiter, die aus der großen Stadt nach Kouassi Kongokro gekommen sind, legen sich also ins Zeug, um zu werben für die Idee von Toiletten. Eine von ihnen, Elise Yao Aya, holt dazu einen Teller mit Essen aus ihrem Jeep: Couscous mit Fisch. Den Teller stellt sie auf dem Boden ab, inmitten der Dorfversammlung – und daneben stellt sie einen kleinen Haufen Kot. Die Kinder kreischen, als die braune Masse aus einer Plastiktüte auf den Boden fällt.
Es dauert nur wenige Momente, bis die ersten Fliegen kommen und zwischen beiden Attraktionen hin- und hersurren, vom Kot zum Essen und zurück zum Kot. Die Botschaft der Sozialarbeiterin: Genau dasselbe passiert, wenn ihr euch unter freiem Himmel im Busch erleichtert und dann die Fliegen ins Dorf kommen. Diarrhöe, Cholera, die sogenannten Schmutzige-Hände-Krankheiten verlaufen oft tödlich in den Tropen.
Die Sozialarbeiterin ist selbst eine Ivorerin, aber sie kommt von einer Hilfsorganisation mit Hauptsitz in New York, dem International Rescue Committee. Es geht ihr darum, die Gesundheit der Landbevölkerung zu verbessern. Bei ihrem Besuch entspinnt sich dann tatsächlich eine Diskussion über das Für und Wider einer technischen Innovation.
Die Sozialarbeiterin fragt: Welche Krankheiten kann man bekommen durch den Kontakt mit Kot? Aids ist die erste Antwort, die einem Kind einfällt. Die zweite ist Bauchweh.
Im Nachbardorf Konankro, wo sie vor einem Jahr Latrinen für alle Familien gebaut haben, 82 Stück für 741 Einwohner, sind die Krankheitsfälle bereits zurückgegangen. Das bestätigt der Arzt Ndrama Louis, 34, der für dieses Dorf und noch drei weitere verantwortlich ist. Auf seinem Schreibtisch stehen ein Insektenspray und ein medizinisches Lexikon von 1997, vor seiner Tür warten vor allem Frauen mit kleinen Kindern.
Es hat sich dort auch etwas verändert im gesellschaftlichen Leben, sagt eine dieser Frauen: „Wenn man früher Gäste hatte, konnte man ihnen ein großes Essen anbieten, aber wenn sie sich anschließend erleichtern wollten, war man beschämt, sie in den Busch schicken zu müssen.“
Die neu gebauten Latrinen in diesem Dorf sind simpel, es sind Hock-Aborte, eine Betonplatte auf dem Boden mit einem Loch in der Mitte. Die Latrine hat vier Wände. Am Eingang hängt eine Plastikflasche voll Wasser, in deren Boden jemand ein kleines Loch gepiekst hat: Drückt man die Flasche, spritzt ein Wasserstrahl heraus, zum Händewaschen.
Es ist eine einfache Erfindung, aber sie hat das Dorf zusammenrücken lassen, sagt der Dorfälteste: „Wenn jemand auf die Toilette muss, der gerade weit entfernt ist von seinem Haus“, so erklärt er, „dann ist er willkommen, sich auch bei anderen Dorfbewohnern zu erleichtern.“ Die Zuhörer stutzen. Der Dorfälteste ist nicht wirklich der Älteste, in dieser Hinsicht wird die Tradition recht flexibel gehandhabt, er ist 55 Jahre alt, heißt Nana Amani Koffine und trägt eine dicke goldfarbene Kette mit einem filigran gearbeiteten Anhänger in Form eines Elefanten. Jeder Dorfbewohner dürfe jede Latrine benutzen – „solange er nachher Bescheid sagt“. Andächtiges Schweigen.
Stille Örtchen mitten im Ort: In dem Dorf Konankro, wo diese großstädtische Idee seit einem Jahr ausprobiert wird, hat man allerdings auch ein Problem entdeckt, das bereits im Hintergrund lauert. Man hat nämlich unter jedem Hock-Abort ein drei Meter tiefes Loch ausgehoben. Das ist zwar tief genug, um Gerüche zu vermeiden und das Thema lange Zeit auf Abstand zu halten, aber irgendwann werden auch diese Löcher voll sein. Und dann? Eine Kanalisation gibt es im Regenwald nicht. Maschinen zum Abpumpen auch nicht. Eine Antwort haben auch die Sozialarbeiter nicht. Vielleicht tickt da in Wahrheit bereits eine Hygiene-Zeitbombe unter der Erde? Das vermutet jedenfalls ein Dorfbewohner in Konankro, woraufhin die versammelte Gemeinde in Gemurmel ausbricht.
Der Dorfälteste, Nana Amani Koffine, neigt nur nachdenklich den Kopf, die Augen geschlossen, so als horche er in sich hinein, oder als röche er gerade einem ganz feinen Duft nach.