Der lachende Mann ist eine berüchtigte Figur des dokumentarischen Kinos. Die DDR-Regisseure Walter Heynowski und Gerhard Scheumann hatten den als „Kongo-Müller“ bekannten Söldner und Schlächter Siegfried Müller in einem Film porträtiert. Den muss man nicht kennen, um zu wissen, dass ein Lächeln mehr verbergen kann als Worte, dass es auch mehr erschrecken kann.
Zweimaliger Verteidigungsminister und einer der Drahtzieher für den : Donald Rumsfeld.
Donald Rumsfeld lächelt viel in Morris’ Filmporträt. Aber was ist das für ein Lächeln? Der 81-jährige zweimalige amerikanische Verteidigungsminister (unter den Präsidenten Gerald Ford und George W.Bush), einer der Drahtzieher des „War on Terror“, mitverantwortlich auch für die Folterungen in Guantanamo und Abu Ghraib, sieht im manchen Momenten wie ein netter älterer Herr aus, dann wie ein schlauer Fuchs und Staatsmann, manchmal aber auch wie ein selbstgefälliger böser Grinser. An diesem Lächeln prallt der Blick ab. Das muss auch Morris so empfunden haben, der aber trotzdem nicht aufhört hinzusehen.
Es ist dieser hartnäckige, unerschrockene, kalt analytische Blick, der auch diesen Film des Oscarpreisträgers auszeichnet. Seit drei Jahrzehnten rückt Morris damit recht undurchsichtigen Personen auf den Leib, darunter ist ein weiterer US-Verteidigungsminister, Robert S.McNamara, den Morris 2003 in „The Fog of War“ porträtierte, ferner der Konstrukteur von Hinrichtungsmaschinen und Holocaustleugner Fred A. Leuchter („Mr. Death – The Rise and Fall of Fred A. Leuchter“, 1999) oder der vermeintliche Polizistenmörder in „The Thin Blue Line (1988), der aufgrund von Morris’ Recherchen begnadigt wurde.
Hundert Minuten erleben wir nun Donald Rumsfeld, wie er die eigene Karriere und die jüngere amerikanische Geschichte sieht. Morris lässt ihn Auszüge aus jenen Zehntausenden Memos vorlesen und kommentieren, die Rumsfeld als Parlamentarier, Berater von vier US-Präsidenten und zweimaliger Verteidigungsminister verfasst hat. Hochspannende Momente der jüngeren amerikanischen Geschichte werden da beleuchtet, etwa ein Kommentar Nixons über Rumsfeld auf einem der Watergate-Bänder oder eine Botschaft Rumsfelds an Condoleezza Rice.
„Snowflakes“ nennt Rumsfeld seine weißen Notizzettel. Und es wirbelt gewaltig in der Schneekugel, die Morris immer wieder zwischen die Gesprächssequenzen schneidet. Der Schneesturm aus Wörtern und Papier entspricht der langen, bewegten Karriere, auf die Rumsfeld zurückblickt, und den politischen Stürmen, die er erlebt hat, darunter Vietnam, das Attentat von 9/11, der Irakkrieg und der Schock, als die Folterfotos aus Abu Ghraib öffentlich wurden. Das Wirbeln erinnert aber auch an den fog of war, den Nebel des Krieges, von dem Morris’ Film über Robert McNamara erzählt. Morris versucht diesen Nebel zu durchdringen, er will in die Köpfe seiner Figuren schauen und ist dabei so hartnäckig wie ein Ermittler.
So hermetisch wie Rumsfeld aber hat sich ihm noch kein Gesprächspartner präsentiert. Während McNamara in „The Fog of War“ eigene Entscheidungen in Zweifel zieht, sich und die Geschichte befragt, ob er vielleicht anders hätte handeln sollen, bleibt das Bild, das Rumsfeld von sich entwirft, undurchdringlich. Da hilft auch Morris’ berühmtes „Interrotron“ nicht, jene selbst konstruierte Kamera, bei der durch einen Spiegel das Gesicht des Regisseurs auf die Linse projiziert wird, wodurch Interviewer und Interviewter direkten Blickkontakt haben. Rumsfelds Fassade bleibt wie aus einem Guss – für den Zuschauer ist das frustrierend.
Immer wieder will man dazwischenrufen, Lügen zurechtrücken und wolkige Ausreden zerstreuen. Hätte Morris nicht härter fragen müssen? Hätte der Panzer dieses Kriegstreibers nicht unbedingt geknackt werden müssen? Es wäre ja auch so einfach gewesen, Rumsfeld in die Enge zu treiben, bis dieser... Ja, was? Das Gespräch abgebrochen hätte? Witzig den Gesprächspartner niedergebügelt hätte, wie so oft in Interviews, die Morris als Archivaufnahmen dazwischenschneidet?
Stattdessen lässt Morris Rumsfeld reden, überlässt ihm die ganz große Bühne, wie sie ihm nur ein so berühmter Filmemacher bieten kann. Rumsfeld dankt es ihm mit Charme, Esprit und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Und merkt nicht, dass er sich – geistreich philosophierend, mit der Sprache spielend, den entscheidenden Fragen wortreich ausweichend – gerade dadurch um Kopf und Kragen redet. Ein paar Kenntnisse der jüngsten amerikanischen Geschichte sollte der Zuschauer allerdings mitbringen, um Rumsfeld Ausführungen nicht blind folgen zu müssen, aber das ist nicht zu viel verlangt.
So sehr sich Morris beim Interview zurücknimmt, so deutlich wird er in der Montage.Einmal scheint aus der Kälte, mit der er Rumsfeld betrachtet, kalte Wut auf. Da erzählt dieser, wie er einen schwerverwundeten Soldaten und dessen Familie auf einer Intensivstation besuchte. Die Ärzte hätten den Mann abgeschrieben, erzählt Rumsfeld, dessen Frau aber hätte an sein Überleben geglaubt. Und der Soldat hätte überlebt! Rumsfeld hat Tränen in den Augen. Das wirkt wie eine üble Schmierenkomödie, wie der (Selbst)betrug eines Falken, der ein Happy End des Krieges herbeizureden versucht. Morris kommentiert das so präzise wie böse mit dem Schnitt auf einen Soldatenfriedhof.
„The Unknown Known“ ist auch die konsequente Fortführung von Morris’ „Standard Operating Procedure“, in dem sich der Regisseur 2008 mit der Folter in Abu Ghraib beschäftigte. Lynndie England oder Sabrina Harman erscheinen darin wie Ausführende eines Systems, das Folter mindestens billigte, als das letzte Glied in einer Kette, an deren anderem Ende Politiker wie Rumsfeld stehen. Nun sitzt dieser im selben Studio wie die beiden Soldatinnen und will sich rausreden.
Morris lässt seine Wörter und Sätze in einer animierten Sequenz buchstäblich in einem schwarzen Loch verschwinden. Rumsfeld – das ist „The Unknown Known“, eine Black Box, die am Ende aber nichts Faszinierendes mehr hat, nur noch leer wirkt in ihrer Abweisung von Skrupeln oder Einsicht. Mit dieser Haltung wurde Weltpolitik gemacht. Das ist das Schlimme daran.
The Unknown Known, US 2013 – Regie, Buch: Errol Morris. Kamera: Robert Chappell. Schnitt: Steven Hathaway. Musik: Danny Elfman. Verleih: Filmwelt, 102Minuten.
Zweimaliger Verteidigungsminister und einer der Drahtzieher für den : Donald Rumsfeld.
Donald Rumsfeld lächelt viel in Morris’ Filmporträt. Aber was ist das für ein Lächeln? Der 81-jährige zweimalige amerikanische Verteidigungsminister (unter den Präsidenten Gerald Ford und George W.Bush), einer der Drahtzieher des „War on Terror“, mitverantwortlich auch für die Folterungen in Guantanamo und Abu Ghraib, sieht im manchen Momenten wie ein netter älterer Herr aus, dann wie ein schlauer Fuchs und Staatsmann, manchmal aber auch wie ein selbstgefälliger böser Grinser. An diesem Lächeln prallt der Blick ab. Das muss auch Morris so empfunden haben, der aber trotzdem nicht aufhört hinzusehen.
Es ist dieser hartnäckige, unerschrockene, kalt analytische Blick, der auch diesen Film des Oscarpreisträgers auszeichnet. Seit drei Jahrzehnten rückt Morris damit recht undurchsichtigen Personen auf den Leib, darunter ist ein weiterer US-Verteidigungsminister, Robert S.McNamara, den Morris 2003 in „The Fog of War“ porträtierte, ferner der Konstrukteur von Hinrichtungsmaschinen und Holocaustleugner Fred A. Leuchter („Mr. Death – The Rise and Fall of Fred A. Leuchter“, 1999) oder der vermeintliche Polizistenmörder in „The Thin Blue Line (1988), der aufgrund von Morris’ Recherchen begnadigt wurde.
Hundert Minuten erleben wir nun Donald Rumsfeld, wie er die eigene Karriere und die jüngere amerikanische Geschichte sieht. Morris lässt ihn Auszüge aus jenen Zehntausenden Memos vorlesen und kommentieren, die Rumsfeld als Parlamentarier, Berater von vier US-Präsidenten und zweimaliger Verteidigungsminister verfasst hat. Hochspannende Momente der jüngeren amerikanischen Geschichte werden da beleuchtet, etwa ein Kommentar Nixons über Rumsfeld auf einem der Watergate-Bänder oder eine Botschaft Rumsfelds an Condoleezza Rice.
„Snowflakes“ nennt Rumsfeld seine weißen Notizzettel. Und es wirbelt gewaltig in der Schneekugel, die Morris immer wieder zwischen die Gesprächssequenzen schneidet. Der Schneesturm aus Wörtern und Papier entspricht der langen, bewegten Karriere, auf die Rumsfeld zurückblickt, und den politischen Stürmen, die er erlebt hat, darunter Vietnam, das Attentat von 9/11, der Irakkrieg und der Schock, als die Folterfotos aus Abu Ghraib öffentlich wurden. Das Wirbeln erinnert aber auch an den fog of war, den Nebel des Krieges, von dem Morris’ Film über Robert McNamara erzählt. Morris versucht diesen Nebel zu durchdringen, er will in die Köpfe seiner Figuren schauen und ist dabei so hartnäckig wie ein Ermittler.
So hermetisch wie Rumsfeld aber hat sich ihm noch kein Gesprächspartner präsentiert. Während McNamara in „The Fog of War“ eigene Entscheidungen in Zweifel zieht, sich und die Geschichte befragt, ob er vielleicht anders hätte handeln sollen, bleibt das Bild, das Rumsfeld von sich entwirft, undurchdringlich. Da hilft auch Morris’ berühmtes „Interrotron“ nicht, jene selbst konstruierte Kamera, bei der durch einen Spiegel das Gesicht des Regisseurs auf die Linse projiziert wird, wodurch Interviewer und Interviewter direkten Blickkontakt haben. Rumsfelds Fassade bleibt wie aus einem Guss – für den Zuschauer ist das frustrierend.
Immer wieder will man dazwischenrufen, Lügen zurechtrücken und wolkige Ausreden zerstreuen. Hätte Morris nicht härter fragen müssen? Hätte der Panzer dieses Kriegstreibers nicht unbedingt geknackt werden müssen? Es wäre ja auch so einfach gewesen, Rumsfeld in die Enge zu treiben, bis dieser... Ja, was? Das Gespräch abgebrochen hätte? Witzig den Gesprächspartner niedergebügelt hätte, wie so oft in Interviews, die Morris als Archivaufnahmen dazwischenschneidet?
Stattdessen lässt Morris Rumsfeld reden, überlässt ihm die ganz große Bühne, wie sie ihm nur ein so berühmter Filmemacher bieten kann. Rumsfeld dankt es ihm mit Charme, Esprit und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Und merkt nicht, dass er sich – geistreich philosophierend, mit der Sprache spielend, den entscheidenden Fragen wortreich ausweichend – gerade dadurch um Kopf und Kragen redet. Ein paar Kenntnisse der jüngsten amerikanischen Geschichte sollte der Zuschauer allerdings mitbringen, um Rumsfeld Ausführungen nicht blind folgen zu müssen, aber das ist nicht zu viel verlangt.
So sehr sich Morris beim Interview zurücknimmt, so deutlich wird er in der Montage.Einmal scheint aus der Kälte, mit der er Rumsfeld betrachtet, kalte Wut auf. Da erzählt dieser, wie er einen schwerverwundeten Soldaten und dessen Familie auf einer Intensivstation besuchte. Die Ärzte hätten den Mann abgeschrieben, erzählt Rumsfeld, dessen Frau aber hätte an sein Überleben geglaubt. Und der Soldat hätte überlebt! Rumsfeld hat Tränen in den Augen. Das wirkt wie eine üble Schmierenkomödie, wie der (Selbst)betrug eines Falken, der ein Happy End des Krieges herbeizureden versucht. Morris kommentiert das so präzise wie böse mit dem Schnitt auf einen Soldatenfriedhof.
„The Unknown Known“ ist auch die konsequente Fortführung von Morris’ „Standard Operating Procedure“, in dem sich der Regisseur 2008 mit der Folter in Abu Ghraib beschäftigte. Lynndie England oder Sabrina Harman erscheinen darin wie Ausführende eines Systems, das Folter mindestens billigte, als das letzte Glied in einer Kette, an deren anderem Ende Politiker wie Rumsfeld stehen. Nun sitzt dieser im selben Studio wie die beiden Soldatinnen und will sich rausreden.
Morris lässt seine Wörter und Sätze in einer animierten Sequenz buchstäblich in einem schwarzen Loch verschwinden. Rumsfeld – das ist „The Unknown Known“, eine Black Box, die am Ende aber nichts Faszinierendes mehr hat, nur noch leer wirkt in ihrer Abweisung von Skrupeln oder Einsicht. Mit dieser Haltung wurde Weltpolitik gemacht. Das ist das Schlimme daran.
The Unknown Known, US 2013 – Regie, Buch: Errol Morris. Kamera: Robert Chappell. Schnitt: Steven Hathaway. Musik: Danny Elfman. Verleih: Filmwelt, 102Minuten.