Berlin – Man erlebt ein bisschen verkehrte Welt an diesem Donnerstag im Parlament. Vorne am Rednerpult spricht die sozialdemokratische Arbeitsministerin Andrea Nahles. Sie sagt, die Einführung des Mindestlohns sei „ein Grund zur Freude“. Nahles kann man dieses Gefühl durchaus glaubwürdig am zufriedenen Lächeln in ihrem Gesicht ablesen. Die Bild-Zeitung hat sie am Morgen schon zur potenziellen Kanzlerkandidatin „hochgeschrieben“. Auch die SPD-Fraktion applaudiert begeistert. In der Unions-Fraktion klatscht nur die erste Reihe, aber immerhin: Der Koalitionsfrieden ist gewahrt. So weit passt noch alles in die üblichen Schablonen.
Besonders zufrieden mit dem Gesetz über den Mindestlohn: Arbeitsministerin Andrea Nahles.
Dann aber verliert die Ministerin ein paar Sätze über die Debatte der vergangenen Tage, als es um Details des Gesetzes für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ging. Da habe es Diskussionsbeiträge gegeben, sagt die Ministerin, für die man in ihrer rheinland-pfälzischen Heimat nur ein Wort kenne: Kokolores. Nahles meint damit jene Kritik vor allem aus den Gewerkschaften, wonach die SPD ihr Wahlversprechen eines einheitlichen Mindestlohnes gebrochen habe, weil durch Ausnahmeregelungen bis zu drei Millionen Arbeitnehmer nicht in den Genuss des Mindestlohns kämen. Einer der Urheber dieser Vorwürfe, der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, sitzt oben auf der Zuschauertribüne und lächelt – aber ganz anders als vorher die Ministerin.
Nahles wendet sich nun an die Union. Sie dankt für eine „notwendige“ Debatte. Das ist ein diplomatischer Begriff für die harten Verhandlungen, die es zuletzt innerhalb der Koalition gegeben hat. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer, beklagte sich noch vor wenigen Tagen heftig über Nahles. Nun versucht die Ministerin eine versöhnliche Geste gegenüber den Kritikern eines Mindestlohns in der Union. Deren Fraktionschef Volker Kauder honoriert dieses Entgegenkommen später, als Nahles wieder auf der Regierungsbank Platz genommen hat, mit einem demonstrativen Händedruck.
Schon komisch also: Zwischen SPD und Gewerkschaften, die in den vergangenen Jahren gemeinsam für den Mindestlohn geworben und gekämpft haben, ist die Stimmung am Tag seiner Einführung schlechter als zwischen der SPD und ihrem Koalitionspartner, der sich so lange gegen dieses Vorhaben aufgebäumt hat. Im linken Lager war die Fähigkeit, Feste zu feiern, wie sie fallen, noch nie allzu ausgeprägt.
Das ganz, ganz linke Lager im Parlament ist natürlich bemüht, diesen Keil zwischen SPD und Gewerkschaften noch ein bisschen tiefer zu treiben. Klaus Ernst, der frühere Parteivorsitzende, nimmt in Anspruch, dass die PDS, die später in der Linken aufging, 2002 als erste Partei die Einführung eines Mindestlohns gefordert habe. Deshalb sei dessen Einführung grundsätzlich auch ein Erfolg der Linken. Nur leider sei der Gesetzentwurf der Koalition „grottenschlecht“.
Die Linke, später aber auch die Grünen, stoßen sich vor allem an zwei Regelungen: Erstens finden sie es falsch, dass Langzeitarbeitslose bei Aufnahme einer Arbeit ein halbes Jahr lang keinen Anspruch auf Mindestlohn haben sollen. Die Koalition argumentiert, der Mindestlohn dürfe den Hartz-IV-Empfängern, die ohnehin schwer zu vermitteln seien, den Zugang in den Arbeitsmarkt nicht erschweren. Die Opposition sieht das ganz anders: Mit dieser Regelung würden eine Million Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Qualifikationen stigmatisiert, schimpft die Grünen-Sozialexpertin Brigitte Pothmer. Die Botschaft an die Arbeitgeber laute: „Die können nix, die kriegt ihr billiger.“
Fast noch umstrittener ist – zweitens – die „Übergangsregelung“ (Nahles), beziehungsweise „Ausnahme“ (Opposition) bei den Zeitungszustellern. Für sie soll der Mindestlohn von 8,50 Euro frühestens im Jahr 2017 gelten. Im nächsten Jahr erhalten sie hingegen erst 6,38 Euro, 2016 sind es 7,23 Euro. Solche Ausnahmen seien nicht hinnehmbar, sagt Klaus Ernst. „Sie sind von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn noch meilenweit entfernt.“ Die Grüne Pothmer wirft der Koalition vor, mit der Sonderregelung für die Verlage sei die Regierung vor deren Lobbyarbeit zurückgewichen. „Sie wollten keine schlechte Presse. Und ausbaden müssen das die Zeitungszusteller.“
Redner der Koalition, vorneweg der Unions-Sozialexperte Karl Schiewerling, weisen diesen Vorwurf zurück. In der Abstimmung manifestiert sich dann erneut der großkoalitionäre Friedensschluss. Aus der Union kommen nur fünf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen. Damit ist die Geschlossenheit sogar größer als beim umstrittenen Rentenpaket.
Besonders zufrieden mit dem Gesetz über den Mindestlohn: Arbeitsministerin Andrea Nahles.
Dann aber verliert die Ministerin ein paar Sätze über die Debatte der vergangenen Tage, als es um Details des Gesetzes für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ging. Da habe es Diskussionsbeiträge gegeben, sagt die Ministerin, für die man in ihrer rheinland-pfälzischen Heimat nur ein Wort kenne: Kokolores. Nahles meint damit jene Kritik vor allem aus den Gewerkschaften, wonach die SPD ihr Wahlversprechen eines einheitlichen Mindestlohnes gebrochen habe, weil durch Ausnahmeregelungen bis zu drei Millionen Arbeitnehmer nicht in den Genuss des Mindestlohns kämen. Einer der Urheber dieser Vorwürfe, der Chef der Gewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, sitzt oben auf der Zuschauertribüne und lächelt – aber ganz anders als vorher die Ministerin.
Nahles wendet sich nun an die Union. Sie dankt für eine „notwendige“ Debatte. Das ist ein diplomatischer Begriff für die harten Verhandlungen, die es zuletzt innerhalb der Koalition gegeben hat. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Peter Ramsauer, beklagte sich noch vor wenigen Tagen heftig über Nahles. Nun versucht die Ministerin eine versöhnliche Geste gegenüber den Kritikern eines Mindestlohns in der Union. Deren Fraktionschef Volker Kauder honoriert dieses Entgegenkommen später, als Nahles wieder auf der Regierungsbank Platz genommen hat, mit einem demonstrativen Händedruck.
Schon komisch also: Zwischen SPD und Gewerkschaften, die in den vergangenen Jahren gemeinsam für den Mindestlohn geworben und gekämpft haben, ist die Stimmung am Tag seiner Einführung schlechter als zwischen der SPD und ihrem Koalitionspartner, der sich so lange gegen dieses Vorhaben aufgebäumt hat. Im linken Lager war die Fähigkeit, Feste zu feiern, wie sie fallen, noch nie allzu ausgeprägt.
Das ganz, ganz linke Lager im Parlament ist natürlich bemüht, diesen Keil zwischen SPD und Gewerkschaften noch ein bisschen tiefer zu treiben. Klaus Ernst, der frühere Parteivorsitzende, nimmt in Anspruch, dass die PDS, die später in der Linken aufging, 2002 als erste Partei die Einführung eines Mindestlohns gefordert habe. Deshalb sei dessen Einführung grundsätzlich auch ein Erfolg der Linken. Nur leider sei der Gesetzentwurf der Koalition „grottenschlecht“.
Die Linke, später aber auch die Grünen, stoßen sich vor allem an zwei Regelungen: Erstens finden sie es falsch, dass Langzeitarbeitslose bei Aufnahme einer Arbeit ein halbes Jahr lang keinen Anspruch auf Mindestlohn haben sollen. Die Koalition argumentiert, der Mindestlohn dürfe den Hartz-IV-Empfängern, die ohnehin schwer zu vermitteln seien, den Zugang in den Arbeitsmarkt nicht erschweren. Die Opposition sieht das ganz anders: Mit dieser Regelung würden eine Million Menschen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten und Qualifikationen stigmatisiert, schimpft die Grünen-Sozialexpertin Brigitte Pothmer. Die Botschaft an die Arbeitgeber laute: „Die können nix, die kriegt ihr billiger.“
Fast noch umstrittener ist – zweitens – die „Übergangsregelung“ (Nahles), beziehungsweise „Ausnahme“ (Opposition) bei den Zeitungszustellern. Für sie soll der Mindestlohn von 8,50 Euro frühestens im Jahr 2017 gelten. Im nächsten Jahr erhalten sie hingegen erst 6,38 Euro, 2016 sind es 7,23 Euro. Solche Ausnahmen seien nicht hinnehmbar, sagt Klaus Ernst. „Sie sind von einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn noch meilenweit entfernt.“ Die Grüne Pothmer wirft der Koalition vor, mit der Sonderregelung für die Verlage sei die Regierung vor deren Lobbyarbeit zurückgewichen. „Sie wollten keine schlechte Presse. Und ausbaden müssen das die Zeitungszusteller.“
Redner der Koalition, vorneweg der Unions-Sozialexperte Karl Schiewerling, weisen diesen Vorwurf zurück. In der Abstimmung manifestiert sich dann erneut der großkoalitionäre Friedensschluss. Aus der Union kommen nur fünf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen. Damit ist die Geschlossenheit sogar größer als beim umstrittenen Rentenpaket.