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Miss Fracking

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Katherine Richard redet. Sie sitzt ganz vorn auf der Stuhlkante, der Rücken sehr gerade, und redet. Zahlen, Studien, Statistiken, Argumente, Gegenargumente. Der Mann neben ihr auf dem Podium schnappt nach Luft, blickt verzweifelt zum Moderator, öffnet den Mund zum Widerspruch. Doch er findet keine Lücke in ihrem Monolog. Wenn Richard spricht, ist es ein Wortschwall, ein Redefluss, ein mächtiger Mississippi der Sätze. Mit ihr in einer Podiumsdiskussion zu diskutieren, ist keine Freude. „Die Organisatoren der Konferenz haben mir zu wenig Redezeit und zu wenig Power-Point-Folien zugebilligt“, sagt sie hinterher, „da musste ich eben schneller reden.“



Greenpeace Aktivisten demonstrieren in der Nähe von Bukarest gegen Fracking.

Der Auftritt der 32-Jährigen auf der Energiekonferenz in New York ist ein Ereignis. Niemand der anderen Redner spricht so viel und so schnell. Kaum einer ist so jung. Und sehr wenige neben ihr sind Frauen. Energie ist noch immer eine Industrie der alten Männer, besonders die Öl- und Gasindustrie. Das ändert sich nun – dank Menschen wie Richard.

Nun ist es nicht so, dass Richard nur schnell und viel redet, sie hat auch etwas zu sagen. Sie zählt zu den wichtigsten Experten für Gasförderung in Amerika – ja, auch für das umstrittene Fracking. Sie ist eine der jüngsten Chefinnen eines Öl- und Gasunternehmens mit einem Wert von mehr als 750 Millionen Dollar. Warwick Energy, von ihr selbst gegründet, gehören inzwischen mehr als 5000 Gasquellen in 13 amerikanischen Bundesstaaten. Seit 2010 berät Richard gemeinsam mit zwei Think Tanks das afghanische Ministerium für Bergbau zum Thema Transparenz und Entwicklung der Energieindustrie. Und das Genfer World Economic Forum hat sie im vergangenen Jahr zu einem der Young Global Leaders gewählt.

Öl und Gas haben sie schon lange interessiert, sie ist mit der Branche aufgewachsen. Ihre Eltern haben zwar beide andere Jobs, aber die Generationen davor verdienten ihr Geld mit dem schwarzen Gold, auf beiden Seiten der Familie. Und sie wuchs in Oklahoma City auf, der Hauptstadt des Bundesstaats im Norden von Texas, die sich zur Zentrale des neuen amerikanischen Gasbooms entwickelt hat. Hier sitzen die Fracking-Spezialisten Chesapeake Energy und Devon, hier gibt es Hunderte Start-ups und Zulieferer der Erdgasindustrie. „Ich nenne es das Silicon Valley der Öl- und Gasbranche“, sagt Richard.

Seit dem Schiefergas-Boom, also dem Gas, das per Fracking aus den Schieferschichten kommt, ändert sich die Energieindustrie, sagt Richard, die Vormacht von Exxon oder Shell schrumpft. „Entrepreneure haben einen Großteil der Innovationen und der Erfolge der vergangenen zehn Jahre vorangetrieben“, sagt Richard. „Die Schiefergas-Revolution ist bemerkenswert, weil sie von den ‚Unabhängigen‘ kommt, so nennen wir die Öl- und Gasproduzenten, die zu keinem Ölmulti gehören. Es waren kleinere Firmen, die effizienter, kreativer und agiler sind, neue Technik zu verwenden und weiterzuentwickeln.“

Beim Fracking bohren die Firmen viele kleine Löcher, um Gas oder Öl zu finden – sie müssen also auch viele, kleine Entscheidungen treffen. Früher bohrte man ein großes, teures Loch – das war das Richtige für die großen, teuren Ölkonzerne, glaubt Richard. „Die neuen technischen Herausforderungen und der daraus folgende Boom an Einfallsreichtum und Wohlstand zieht eine neue Generation an“, sagt sie. „Es braucht so viele verschiedene Arten an Jobs, um nach Schiefergas zu bohren und es zu fördern.“ In Oklahoma City und der Umgebung siedeln sich Start-ups an, die sich zum Beispiel auf 3-D-Druck von geologischen Modellen oder schlaues Datenmanagement für Fracking-Konzerne spezialisieren.

Noch sind laut einer Studie der Independent Petroleum Association of America 71 Prozent der Mitarbeiter der Industrie 50 Jahre oder älter. Doch seit die neue Technik Fracking wieder gigantisches Wachstum brachte, ist die alte amerikanische Traditionsbranche wieder sexy. Das amerikanische Magazin Businessweek hat über das Phänomen kürzlich einen langen Artikel veröffentlicht: „Nach Jahren, in der es der Industrie nicht gelang, junge Talente anzu-ziehen und zu halten, brummt sie neuer-dings mit aufstrebenden Millennials.“ Millennials nennt man Leute der Geburtsjahrgänge 1980 bis etwa 1995. Ölbranchen-Veteranen nennen es „den großen Crew-Wechsel“.

Da ist etwa der 27-jährige Mark Hiduke, der gerade 100 Millionen Private-Equity-Dollar für seine Fracking-Firma bekam. Oder der 34-jährige Patrick Collins, der Grundstücke mit Ölquellen kauft und verkauft. Den Energiemanagement-Studiengang an der University of Oklahoma belegen heute 600 Studenten, vor zehn Jahren waren es gerade mal 100.

Die große Kritik an der Fracking-Technik beschäftigt Richard, sagt sie. Beim Fracking wird nicht nur in die Tiefe gebohrt, sondern auch horizontal. Mit großem Druck werden Wasser und teils giftige Chemikalien in die Schieferschichten gepresst, das Gas wird so aus einst unzugänglichen Poren freigesetzt. „Wir als gesamte Industrie hätten auf die Ängste der Menschen besser eingehen sollen, die zum Teil auf Fehlinformationen beruhen.“ Ja, es gebe Gefahren beim Fracking. „Aber wenn man es richtig macht, mit moderner Technik und Sicherheitsvorkehrungen, ist Fracking sicher und eine echte Ingenieursleistung.“ Der Gasboom bringe den Vereinigten Staaten neue Chancen, vor allem weil sich neue Fabriken ansiedeln, die von den niedrigen Energiepreisen profitieren wollen. „Herauszufinden, wie man effizient, sicher und wirtschaftlich Schiefergas fördert, ist vielleicht die größte industrielle Revolution der letzten sechs Jahrzehnte.“

Trotz ihres frühen Interesses an Öl und Gas studierte Richard erst Geschichte an der Eliteuni Harvard, ihr Schwerpunkt war die Politik der Postkolonialzeit, für ihre Ab-schlussarbeit recherchierte sie lange in Ruanda. Nach der Uni fing sie bei Goldman Sachs an, bald mit Schwerpunkt Energie-investitionen. Die Investmentbank schickte sie nach New York, London, Paris und Dallas. Später wechselte sie zu einem Hedgefonds, arbeitete dort wieder im Energiegeschäft. Ab 2009 baute sie die Energiesparte von MSD Capital auf, MSD ist der private Investmentfonds des Milliardärs und Computerpioniers Michael Dell. In ihren Jahren in der Finanzwelt hat sie gelernt, sich auf die Zahlen zu konzentrieren: welche Gasquellen bringen die solidesten Cash Flows, wie kann man zuverlässige Prognosen machen, was sind faire Preise, für welche Risiken muss man welche Renditen kalkulieren? Der Branche ging es gut, Amerikas Gasförderung brach jedes Jahr neue Rekorde. Und Richard hatte Erfolg mit ihren Energieinvestitionen für die Investmentfonds anderer Leute.

2010 entschied sie, ihr eigenes Unternehmen zu gründen und zog zurück nach Oklahoma City. „Ich habe schon seit langer Zeit gewusst, dass ich mich gern selbständig machen will. Ich bin einfach so ein Typ“, sagt sie. „Der Schritt 2010 war ziemlich gewagt und verrückt. Wenn ich gewusst hätte, wie hart es wird, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht. Oder wahrscheinlich doch. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich damals nicht wusste, wie schwer der Anfang wird.“ Warwick Energy bot um Gasquellen mit, die in den Schiefergasfeldern Amerikas liegen – aber ohne Erfolg. „In den ersten zwei Jahren haben wir keinen einzigen Zuschlag bekommen“, erzählt Richard. Auch andere, größere Investoren hatten die Gasbranche damals für sich ent-deckt, die Preise stiegen. „Aber die ganze Zeit habe ich auch gewusst, dass es nichts gibt, was ich gerade lieber machen würde.“

Erst 2012 kam der Durchbruch, die große Begeisterung der Investoren für Fracking-Investitionen hatte sich wieder ein wenig gelegt. Und Warwick Energy konzentriert sich auf eine Nische: Gasfelder, die schon zum Teil ausgebeutet wurden, aber gerade stillliegen – eine Art Second-Hand-Markt für Erdgasquellen. Warwick bohrt nicht selbst, sondern kauft nur Anteile an dem Gasfeld, das ein anderer ausbeutet – es ist ein reines Finanzgeschäft, aber eins, für das man sich extrem gut auskennen muss. „Ich glaube, man sollte nicht in Öl- und Gasquellen investieren, ohne ein extrem starkes Technik-Team zu haben, das die Vorkommen und Förderbarkeit einschätzen kann“, sagt sie. Gut 50 Leute arbeiten inzwischen für sie, ein Teil davon als Freiberufler, viele haben vorher jahrzehntelang für Energiekonzerne wie Chesapeake, Devon oder Chevron gearbeitet.

Richard und ihr Team sind ständig auf der Suche nach neuen Öl- und Gasquellen, auch in anderen Ländern, darunter Deutschland. „Deutschland muss eine Grundsatzentscheidung treffen, ob es Fracking erlauben will“, sagt sie. „Es muss sich auf nationaler Ebene fragen, wie wohl es sich mit seiner Abhängigkeit von Russland fühlt.“

Das Geld für die Gasquellen sammelt Ri-chard bei Investoren ein, aus ihrer Zeit bei Goldman Sachs und den Investmentfonds hat sie beste Kontakte. Alle ihre Geldgeber wollen anonym bleiben. Es seien vor allem große Versicherungsunternehmen, die gut finden, dass bei den bereits angezapften Second-Hand-Gasquellen klar ist, dass der Rohstoff weiter fließen wird; anders als bei neuen Quellen, die noch gebohrt werden müssen und sich unter Umständen als leer oder zu schwer zugänglich entpuppen. Auch ein Chemiekonzern, Private-Equity-Firmen und reiche Privatleute investieren in Richards Projekte. Und ihr eigenes Geld steckt fast komplett im Unternehmen. Richard hat ehrgeizige Pläne: gerade sammelt sie neues Kapital ein. „Bis Ende 2014 werden wir ein drei Milliarden Dollar schweres Unternehmen sein.“

Allerdings, zu ihrem Leidwesen, ist sie als ehrgeizige junge Frau noch immer recht allein in der Branche. Auf dem Podium bei Energiekonferenzen ist sie eine Ausnahme, vor den Damentoiletten gibt es nie eine Schlange. Das ändert sich jetzt, langsam. „Die Hälfte aller Leute, die ich direkt nach dem College anstelle, sind Frauen“, sagt sie. Sie selbst hatte gute Mentoren aus der Industrie, denen sie viel zu verdanken hat. „Ich hatte nie das Gefühl, dass mein Geschlecht meine Karriere beeinflusst hat. Wenn du eine unbändige Begeisterung für das hast, was du tust, werden sich immer Leute um dich herum für dich zusammen-tun, dann spielen Geschlecht, Alter oder irgendeine andere Dynamik keine Rolle.“

Ohne Beistand aus ihrem Umfeld wäre es unmöglich gewesen, ihr Start-up zu gründen: „Man braucht Leute um einen herum, die einen unterstützen“, sagt sie, die übrigens unverheiratet und kinderlos ist – allerdings auch erst 32 Jahre alt. „Es gibt keine Grenze mehr zwischen dir und deiner beruflichen Identität, das Business lebt von dir wie ein Parasit.“ Einmal, erzählt sie, war sie mit Freunden im Urlaub in Kolumbien. Während die anderen an den Strand gefahren sind, hat sie eine Raffinerie be-sichtigt. „Die Leute um einen herum müssen damit umgehen können, dass man ge-danklich völlig auf diese eine Sache fixiert und manchmal erschöpft ist. Diese Leute in meinem Leben waren meine Heiligen.“

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