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Italiens Meer, Europas Meer

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Rom – Bevor das Licht ausgeht, entschuldigt sich Admiral Filippo Maria Foffi, das folgende Video habe ein Amateur aufgenommen. Dann drückt der Oberbefehlshaber der italienischen Marine auf die Starttaste. Aus der Luft zoomt die Kamera auf ein Schiff, das an ein völlig überdimensioniertes Ruderboot erinnert. Es schaukelt im tiefblauen Wasser des Mittelmeeres, dicht gedrängt sitzen Menschen darin, regungslos, die Köpfe gesenkt. In einiger Entfernung ankert eine graue Fregatte. Die Einsatzzentrale der Marine-Operation „Mare Nostrum“, 20 Autominuten nördlich von Rom gelegen, in der Admiral Foffi das Kommando führt, hat die Fregatte zu dieser Stelle im Mittelmeer beordert. Die Offiziere vor den Überwachungsbildschirmen hatten das Flüchtlingsboot identifiziert, jetzt müssen die Insassen aufgenommen werden.



Flüchtlinge aus Nordafrika erreichen den Hafen von Lampedusa.

Das Video zeigt einen Einsatz, wie er seit Jahren stattfindet. Insbesondere aber verstärkt seit dem „Tag der Toten von Lampedusa“, wie die Offiziere in Rom jenen 3. Oktober 2013 nennen, an dem vor der Insel ein mit 545 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea beladener 20 Meter langer Kutter sank, der aus der libyschen Hafenstadt Misrata kam. Die Küstenwache und Fischer retteten 155 Flüchtlinge, 390 Menschen ertranken. Die Katastrophe löste einen Aufschrei aus in Europa. Am Tag danach, erzählt der Admiral, habe die Regierung in Rom beschlossen, die Operation Mare Nostrum zu starten.

Seither gibt die Marine jeden Monat sechs bis neun Millionen Euro zusätzlich aus, um vergleichbare Katastrophen zu verhindern – und um die Außengrenzen der Europäischen Union zu sichern. Fünf große Fregatten sind im Dauereinsatz, viele kleinere Schiffe, dazu Zoll, Seepolizei, Luftwaffe. „Wir machen das für ganz Europa“, sagt Admiral Foffi. Aber es sei natürlich nicht möglich, dass ein einzelner Mitgliedstaat das gesamte Mittelmeer überwache. „Wir brauchen die Hilfe aus ganz Europa.“ Konkret: Die italienische Marine müsste die Zahl der Schiffe und Mitarbeiter verdoppeln, um alles zu kontrollieren.

Am Dienstag kamen in Mailand die europäischen Außenminister zusammen, um darüber zu beraten, wie die Kosten der Italiener bei der Rettung, Aufnahme und Versorgung der Ankömmlinge geteilt werden könnten. „Das Mittelmeer ist nicht allein Italiens Meer“, gab der italienische Premier Matteo Renzi den Ministern vorab zu bedenken. Die Reaktion fiel verhalten aus. „Es kann nicht dauerhaft Aufgabe der italienischen Marine sein, Flüchtlinge aufzunehmen“, sagte zwar Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Aber dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex mit den bescheidenen Mitteln, die sie habe, die Aufgaben der italienischen Marine übernehme, das sei auch nicht realistisch. Ein knappes Jahr nach der Katastrophe vor Lampedusa wissen die reichen Europäer immer noch nicht, wie sie mit den Flüchtenden umgehen sollen.

Und das, obwohl die Bilanz der Operation Mare Nostrum erschreckend ausfällt. Bis zum vergangenen Wochenende griff die Flotte, unterstützt durch Frontex und ein Schiff aus Slowenien, 73986 Flüchtlinge auf. Das sind täglich 270 Menschen, die auf seeuntüchtigen Booten aus Afrika kommend ihr Leben riskieren, um in Europa eine Zukunft zu suchen. Wie viele Menschen dabei ertrinken, kann nur geschätzt werden. Von 150 Toten seit Beginn von Mare Nostrum sprechen die Italiener, hinzu kommen 220 Tote an der Küste Libyens und weitere in den Gewässern vor Griechenland und der Türkei. Früher sei eines von zehn Booten angekommen, heute werden neun von zehn aufgegriffen.

Fast alle Flüchtlinge, nämlich 96 Prozent, starten von der Küste Libyens. Admiral Foffi sagt, dies sei eine Auswirkung des arabischen Frühlings, bei dem Staatschef Muammar al-Gaddafi gestürzt wurde. Das Ende Gaddafis bedeutet auch das Aus der Absprache, dass Rom dem libyschen Staatschef viel Geld dafür zahlt, damit dieser das Auslaufen von Booten verhindert.

Die meisten Aufgegriffenen der vergangenen Wochen waren vor dem Bürgerkrieg fliehende Syrer. Jeder zehnte Flüchtling ist weiblich, mehr als 6000 Aufgegriffene waren minderjährig. Wer aufgegriffen wird, hat meist schon eine Katastrophe hinter sich. Weil die Überfahrt teuer ist, werden viele Flüchtlinge allein auf den gefährlichen Weg geschickt und Schleusern ausgeliefert. Andere haben Angehörige in den Wellen verschwinden oder bei Stammeskämpfen auf dem Boot sterben sehen.

Mit Mare Nostrum sei das Mittelmeer zu einem der am besten überwachten Meere geworden, sagt Kommando-Chef Michele Saponaro. Seine Offiziere verfolgen die Routen der Schiffe im Mittelmeer, die als unzählige Punkte auf Bildschirmen leuchten. Rund um die Uhr tragen sie Informationen aus 30 Ländern und diversen Geheimdiensten auf einem Areal von 73000 Quadratkilometern zusammen. Etwa fünf Auffälligkeiten entdecken sie täglich. Es gehe nicht nur um humanitäre Hilfe, erzählt Saponaro, sondern auch darum, Handelswege zu schützen, Schmuggler, Terroristen und Piraten aufzuspüren oder Fischer zu überwachen.

Das Amateurvideo zeigt die Folgen des Streits um die Flüchtlinge. Von der Fregatte rasen Schnellboote auf das Boot zu, sie nehmen es in Schlepptau und docken an dem neben der Fregatte schwimmenden Kai an. Männer und Frauen steigen aus, weinende Babys werden von Arm zu Arm gereicht, auch viele Erwachsenen haben Tränen in den Augen. Sie haben 36 Stunden Fahrt überlebt, schwanken bei den ersten Schritten auf festem Grund, endlich frisches Wasser, Essen, ein medizinischer Check, Fingerabdrücke werden abgenommen, dann kauern sie im Schatten großer Planen. Und was erwartet sie? „Wir bringen sie in Sicherheit“, sagt Admiral Foffi. Nämlich wohin? An Land. Für das weitere Schicksal seien andere verantwortlich.

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