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Auf Speed

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München – Marc Benioff ist ein großer Kerl, über 1,90 Meter, dazu recht massig, aber sein Ego kann da durchaus mithalten. Es wurde schließlich vom Besten in diesem Fach geschult, von Oracle-Chef Larry Ellison. Als Benioff noch bei dem Software-Hersteller arbeitete, waren sie sehr eng, der geniale Verkäufer Benioff und der Egomane Ellison. Zusammen segelten sie auf Ellisons berühmt-berüchtigter Yacht durchs Mittelmeer oder flogen mal eben schnell nach Japan, um die Kirschblüte zu genießen.



Marc Benioff wurde für seine Geschäftsidee belächelt. Bis seine Firma Salesforce Milliarden machte.

Auch als Benioff seine eigene Firma Salesforce gründete, blieben sie Freunde, ja mehr als das: Ellison gab seinem Ziehsohn zwei Millionen Dollar, damit der starten konnte, was die meisten zu jener Zeit, 1999, für eine ziemliche Schnapsidee hielten: Eine Firma, die Dienste zur Pflege von Kundenbeziehungen im Internet anbot. Benioff wurde verlacht, doch Ellison behielt recht. Er hatte Benioffs Geschäftsidee als the next big thing bezeichnet, als das nächste große Ding.

Heute hat Salesforce etwa 13000 Mitarbeiter, Marc Benioff ist Milliardär, groß und massig. Und wenn seine Firma einlädt, zum Beispiel auf die Münchner Messe, kommen Tausende. 5000 allein sitzen in einer Halle, der Rest muss die Veranstaltung per Video in anderen Räumen verfolgen. Aber was heißt hier Veranstaltung: Die Sitzreihen wurden konzentrisch um einen kleinen Fleck in der Mitte des Saals angeordnet. Benioff bleibt nicht dort stehen, sondern marschiert mit seinem Funkmikrofon durch die Reihen, damit ihn auch die ganz hinten mal aus nächster Nähe sehen können. Missionierung, das wäre vielleicht die bessere Bezeichnung.

Er holt dazu sein Büro aus der Westentasche. Sein Büro, das ist – ein iPhone. Es steckt in einer dicken Hülle mit Zusatzakku, der verhindern soll, dass dem Mobiltelefon zu schnell der Saft ausgeht. Das wäre nicht so gut, denn, so behauptet der Salesforce-Chef, ein anderes Gerät habe er gar nicht dabei auf seiner Tour durch Europa, die bereits einen Monat dauert.

Er wird es noch oft sagen an diesem Tag: „Mit dem Smartphone führe ich mein Unternehmen.“ Aber wie kann das überhaupt funktionieren? Es funktioniert, weil die ganzen Mengen Daten, die ein Unternehmenslenker braucht, im Hintergrund gesammelt, aufgearbeitet und schließlich so dargestellt werden, dass auch auf dem kleinen Bildschirm eines Smartphones sofort ins Auge fällt, wo es gut läuft und wo nicht. Jeder Mitarbeiter kann außerdem wie bei Twitter oder Facebook anderen Kollegen oder Gruppen folgen. Daraus wird ein Feed gebildet, also eine Abfolge von Nachrichten, Bildern und Daten.

Das heißt: Postet zum Beispiel ein Vertriebsmitarbeiter, dass er ein Geschäft unter Dach und Fach hat, erfahren das ganz automatisch auch alle seine vernetzten Kollegen, die ihm folgen. Ein Vorgesetzter muss etwas entscheiden? Er bekommt den Fall vorgelegt, tippt auf Ja oder Nein und erklärt bei Bedarf kurz, warum er so entschieden hat. Und muss man dem Chef mal etwas Wichtiges mitteilen, postet man es an dessen virtuelle Pinnwand.

Prozesse an der Oberfläche werden also radikal vereinfacht, die Komplexität stattdessen in Rechenzentren verlagert, mit Algorithmen gesteuert. Und es ist klar, worauf das in erster Linie abzielt: Auf Geschwindigkeit. „Speed ist die neue Währung der Wirtschaft“, sagt der Spanier Miguel Milano, er ist Europa-Chef von Salesforce. Und was ist den Bossen noch wichtig, wenn er ihnen zeigt, wie die mit einem Handy einen Konzern steuern können, so wie er? Sie wollen zum einen möglichst viel über ihre Kunden wissen, und sie wollen, dass ihre Mitarbeiter nicht in Firmenkategorien denken, in Silos, sondern so effektiv wie möglich zusammenarbeiten.

Die Cloud, der Verbund aus Rechnern, ist dabei die große Wurstmaschine. Gefüttert mit Daten – „alles, was kommunizieren kann, können Sie auch mit unserem System verbinden“, sagt Milano – spuckt die Software alle möglichen Grafiken und Übersichten in Dashboards aus, Instrumententafeln für moderne Wirtschaftsbosse und deren Mitarbeiter. Warum verkauft sich Produkt XY in Land Anur an unter 25-Jährige, in Land Baber eher an Ältere – auf solche Fragen kommt man wahrscheinlich nur, wenn man überhaupt erst einmal die entsprechenden Daten auf so einfache Weise abrufen kann.

Und das natürlich Tag und Nacht. „Wenn ich morgens aufwache, schaue ich als Erstes auf mein Smartphone“, sagt Miguel Milano freimütig. Und zuletzt drauf geguckt hat er, kurz bevor er sich schlafen legte: „Es geht um Speed“, wiederholt er bloß, und verneint die Frage, ob es irgendwelche Regeln in seiner Firma gibt. Regeln, die Mitarbeiter davor schützen, zum Sklaven ihrer Smartphones zu werden.

Denn das ist die Kehrseite der superschnellen, datengetriebenen Arbeitswelt: Wenn das Büro in die Sakkotasche passt und ins Handtäschchen, wächst auch der Druck auf die Angestellten, zumal bei global operierenden Firmen, wo die einen gerade beim Mittagessen sitzen, wenn die anderen schlafen gehen. Dazu kommt: Alles, was man tut oder auch nicht tut, lässt sich genauestens erfassen und in ebenso bunte wie aussagekräftige Statistiken verpacken wie Umsatzzahlen oder der Energieverbrauch in einer Fabrik.

Wenn von Cloud-Computing die Rede ist, kommen in der Regel aber eher andere Bedenken zur Sprache, vor allem in Europa, wo die ständig neuen Enthüllungen über den US-Geheimdienst NSA zumindest das Bewusstsein dafür geweckt haben, dass Daten und Dienste in steter Gefahr sind, sobald sie übers Internet geschickt werden oder darüber zugänglich sind. Gerade US-Firmen haben es derzeit nicht leicht auf diesem Markt. Sie versuchen das Problem zu umgehen, indem sie wie etwa Microsoft Datenzentren in Europa einrichten oder sich wie Salesforce sogar auf einzelne Ländern kaprizieren. Salesforce kooperiert in Deutschland mit der Deutschen Telekom. Die ist hier nicht bloß größter Cloud-Anbieter, sondern argumentiert auch, dass die Daten ausschließlich in Deutschland gespeichert würden und die Cloud somit den strengen deutschen Datenschutzregelungen entspreche. Wer also seine Kundenbeziehungen künftig in Deutschland mit Salesforce steuert, dem kann man zusagen, dass die Daten in Deutschland bleiben.

Miguel Milano, dem Europa-Chef von Salesforce, ist auch vollkommen klar, dass Vertrauen das wichtigste Gut seiner Firma ist. Um das zu erwerben, setzt Salesforce auf Transparenz. Kunden können sich die Rechenzentren jederzeit anschauen. Über das Netz lässt sich überwachen, ob die Performance stimmt. Man habe außerdem viele Banken und Regierungen als Kunden – „die haben das alles vorher genauestens auditiert“, sagt Milano.

Eigentlich aber gibt es längst kein Zurück mehr, schon wegen des Kostendrucks muss die Produktivität stetig wachsen und müssen sich die Unternehmen daher wohl oder übel mit der Cloud anfreunden. Bei Coca Cola Deutschland etwa erwartet der IT-Leiter, dass sich durch den Einsatz von Cloud-Software die Produktivität um 20 bis 25 Prozent steigern lässt. „Die Hälfte unserer 10000 Mitarbeiter hat direkten Kontakt zu Kunden“, sagte Markus Franke. Das will er ausnutzen, und zwar, wie er sagt, „mobile first“, also mit der Betonung darauf, alles mit mobilen Geräten zu erledigen – mit Smartphones oder Tablets. Dass die Mitarbeiter alles sofort und schon an Ort und Stelle eingeben und checken können, soll das Geschäft drastisch beschleunigen und es effektiver machen.

Jetzt müssten nur noch die Netze genügend Bandbreite liefern, und zwar auch abseits von Groß- und Innenstädten. Denn das ist natürlich die Achillesferse der vernetzten Welt: Wo kein Netz ist, da gibt es auch keine Vernetzung, keinen Speed und keine Produktivitätssteigerung. Bei Salesforce hat man das erkannt. Im August, so ist es geplant, soll es eine Version der Anwendungen für Mobilgeräte geben, die man auch offline benutzen kann, dann also, wenn kein mobiles Datennetz zur Verfügung steht. Dann zählt auch die Ausrede Funkloch nicht mehr.

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