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Nichts essen, nichts trinken, nichts lernen

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„Endlich Ferien“, freut sich der Lehrer, er bezieht sich mit dem Jubelruf ganz konkret auf die vergangenen Wochen: den Ramadan, mitsamt fastenden muslimischen Schülern. „Endlich keine sich vor Bauchschmerzen krümmenden Zwölfjährigen mehr, kein Schlangestehen vor der Sanitätsliege, weil islamische Schüler fasten und in schöner Regelmäßigkeit zusammenklappen“, heißt es in dem Beitrag, den der Mann in einem Online-Forum für Lehrer verfasst. In seiner Klasse habe Fasten nahezu „Wettbewerbscharakter“. Natürlich könne man auf die Schüler Rücksicht nehmen, schreibt er. „Allerdings dauert der Ramadan 30 Tage. Wie macht man das, Rücksicht nehmen? Sollen die Schüler keine Klassenarbeiten schreiben? Soll man sie vom Sport befreien? Soll man für die Zeit eine Krankenstation einrichten?“



Erst nach Sonnenuntergang? Ein Schulkind isst in Berlin einen Gemüseeintopf

So recht wissen es die Kollegen in dem Forum auch nicht, ebenso wie in anderen digitalen Marktplätzen dieser Art, auf denen sich Lehrer manchmal auskotzen, viel häufiger aber Tipps austauschen. Da gibt es gnadenlose Lehrer: „Keine Klassenarbeiten, das käme bei mir nie infrage“. Da gibt es Schulen, an denen Zugeständnisse etabliert sind, und schwächelnde Fastende heimgeschickt werden; und es gibt Schulen, an denen jedes Jahr Konflikte ausbrechen. Über Schwächeanfälle und versäumte Prüfungen, abgesagte Klassenfahrten und Sportunterricht, der ohne Trinken heikel ist; oder den Schwimmunterricht, die Gefahr des Wasserverschluckens droht dort ja. Sogar an Grundschulen gebe es zuweilen fastende Sechs- bis Zehnjährige .

In diesem Jahr ist die Lage ein wenig entspannter: Der Fastenmonat, der nun noch eine Woche dauert, berechnet sich nach dem Mondkalender. Aktuell sind Schüler in vielen Bundesländern schon in den Ferien, etwa in Bayern oder Niedersachsen herrscht durch den Notenschluss eine Leerlaufphase. Aber manchmal kann Ramadan später, vor den Herbstferien liegen, während der ersten intensiven Prüfungsphase.
Doch warum fasten Jugendliche überhaupt? Ist das nicht erst mit Eintreten der Geschlechtsreife vorgesehen, ferner nicht für Arbeitende, wozu auch Schüler zählen? „Den Islam gibt es nicht, es gibt keine einheitliche Linie“, sagt Sanem Kleff. Die türkischstämmige Lehrerin ist Bundeskoordination des Projekts „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Sie kennt Schilderungen von Kollegen, da geht es um Schüler, die von Tag zu Tag unkonzentrierter und blasser werden. Und sie kennt die Bedeutung der muslimischen Festzeit.

Einerseits macht sie „islamistische Strömungen“ für das durchaus übliche Fasten von Jugendlichen verantwortlich, auch die Muslimverbände hätten unterschiedliche Auslegungen. Für Heranwachsende sei das erste Fasten zudem oft ein „Initiationsritus im Kreis der Großen“. Andererseits sei es verständlich, wenn Kinder mitmachen wollten. Sie sehen die Geselligkeit, die deliziösen Speisen, die es oft beim abendlichen Fastenbrechen gibt. Das wird auch in einem Lehrer-Forum erwähnt: „Zum Fasten kommt hinzu, dass nach Sonnenuntergang ausgiebig gespeist wird, mit Besuch und Trubel im Haus. Die Schüler sind am nächsten Tag total müde.“ Kleff meint, Schulen sollten bei den Eltern intervenieren, wenn bereits Kinder fasten. Bei älteren Schülern hält sie „freundliche Rücksichtnahme“ für selbstverständlich. Aber man dürfe dabei „nicht um jeden Preis den schulische Kalender verändern“.

Was heißt das konkret? Eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung unter allen 16 Schulministerien zeigt: Die Frage ist unterschiedlich bedeutend, was an den Anteilen von Schülern mit Zuwandererwurzeln liegt. Von 2,1 Prozent in Brandenburg (dort inklusive der Jugendlichen aus der Ex-Sowjetunion) bis zu etwa 20 Prozent nur Türkisch- und Arabischstämmige in Bremen. Überall geregelt sind muslimische Feiertage, Opferfest und Zuckerfest, hier bekommen Schüler frei – meist auf Antrag.

Beim Fasten empfehlen die Ministerien ihren Schulen Einfühlungsvermögen, solange dies den Schulbetrieb nicht stört: Lehrer sollten „mit Fingerspitzengefühl agieren“, das sei „sinnvoller als zentrale Regelungen“, heißt es aus dem Ministerium in München. „Es ist wichtig, vor Ort eine auf den Einzelfall bezogene Lösung zu entwickeln“, meint die Behörde in Düsseldorf. In Kiel heißt es, die Fachaufsicht sei noch nie eingeschaltet worden, „man kann also begründet davon ausgehen, dass vor Ort jeweils gute Lösungen gefunden werden“.

Nur in Hamburg, Berlin und Rheinland-Pfalz gibt es Leitfäden für Lehrer, in Bremen wird ein solcher gerade erarbeitet. Grundsätzlich dürfe „das Fasten nicht als Entschuldigung für Regel- und Pflichtverletzungen herhalten“, schreiben die Autoren des Berliner Ratgebers. Zudem sollten Minderjährige generell „vom Fasten abgehalten werden“. „Dürfte“, „sollte“ – wie Lehrer das konkret umsetzen, bleibt offen.
„Es kann nicht sein, dass diese Fragen einzelnen Lehrern als ihr persönliches Problem zugeschoben werden“, sagt Sanem Kleff. Nötig sei eine gemeinsame Haltung an jeder Schule, „nichts ist schlimmer, als wenn Herr Maier dies macht und Frau Müller im Klassenzimmer nebenan jenes“.

Die Leitlinien seien „ein richtiger Schritt“, aber man darf „nicht nur zehn Seiten kopieren und die Sache dann als erledigt sehen“. So müsse das Thema im Lehramtsstudium vorkommen und in Fortbildungen. Kleff wünscht sich auch eine gesellschaftliche Debatte: „Das ist kein Nischenthema. Eine Gesellschaft ist nicht statisch, Ansprüche und Grenzen von Vielfalt sind immer wieder neu zu verhandeln.“ Information, Debatten, Empfehlungen – damit seien sinnvolle Lösungen an den Schulen möglich.

Es gibt „keine Order von oben“, sagt eine Lehrerin in einer Hauptschule in einer bayerischen Großstadt. Jeder Lehrer entscheide da eigenständig. Und wenn ein Schüler die Hausaufgaben nicht macht wegen des Fastens? „Wenn er mir glaubhaft versichert, dass das der Grund ist, könnte ich mich vielleicht darauf einlassen“, sagt sie. Andererseits: „Ganz viele Schüler bei uns machen Hausaufgaben sowieso nicht, egal ob Ramadan oder nicht.“


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