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Der neue Bildersturm

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Wenn es nicht nur ein Propagandatrick ihrer Gegner ist, um die Gotteskrieger unmöglich zu machen, wenn es also stimmt, dann ist es unter allen verrückten Ideen die wahnsinnigste: Die Kalifatsgründer des „Islamischen Staates“ in Syrien und Irak möchten die Kaaba vernichten.



Könnte das Ziel radikaler Islamisten werden: Die Kaaba

Diejenigen, die an der Kaaba beten, natürlich auch, aber vor allem eben: die Kaaba, heiligstes Heiligtum für jeden Muslim, Lebens- und Pilgerziel für Millionen von Menschen jedes Jahr. Haus Gottes.
Von außen: ein Kubus aus Granit und Marmor, verhängt mit einem schwarzen Tuch, eine goldene Tür, der heilige schwarze Stein an einer Ecke des Heiligtums. Von innen: Lampen. Säulen. Plaketten mit den Namen der Herrscher, die das Bauwerk renovieren ließen. Ansonsten erhabene Leere. Gemessen an den verschnörkelten Heiligtümern anderer Religionen ist die Kaaba ein Werk höchster Abstraktion.

Den Radikalen ist das immer noch zu viel Schnickschnack. „Die Menschen gehen nach Mekka, um Steine zu berühren, nicht wegen Gott“, so zitiert eine türkische Zeitung den Dschihadi Abu Turab al-Muqadassi. Und deshalb werde man demnächst in Saudi-Arabien einfallen und das Heiligtum schleifen.

Es scheint – noch – die Einzelmeinung eines von Blut und Sieg berauschten Kämpfers zu sein. Der Twitter-Account mit dem ersten wüsten Aufruf soll inzwischen gelöscht sein. Andererseits gab es immer wieder mal Anschläge auf die Kaaba, den bekanntesten im Jahr 1979 durch Hunderte schiitischer Extremisten. Keiner löste in der muslimischen Gemeinschaft anderes aus als Entsetzen. Und ebendies – die Verbreitung von größtmöglichem Schrecken – ist eine der wichtigsten Taktiken der Dschihadisten.

Die Kaaba wäre das letzte, heiligste Ziel, nachdem sie bereits eine Spur der Zerstörung durch Syrien und den Irak gezogen haben, und ihre theologische Brachialexegese war dafür nicht der einzige Grund. In Syrien, wo sie eine Art Labor-Kalifat einrichteten, finanzierten sie sich durch Erpressungen, Öl-Verkäufe – und Raubkunst. Plünderungen archäologischer Stätten, Raubgrabungen, aber wohl auch der Verkauf von Museumsstücken – eingespeist in einen immer hungrigeren, immer gewissenloseren schwarzen Markt – sollen ihnen Millionen gebracht haben.

Aber natürlich treibt die Radikalen auch ideologischer Furor – gegen die Häretiker, die Heiden, kurz: alle anderen. In Mosul besetzten sie die chaldäische Kirche, rissen die Kreuze und eine Heiligenstatue herunter und hissten ihre schwarze Flagge. Verglichen mit der Aggression gegen die eigenen islamischen Heiligtümer wirkt dies fast milde. Eine der ersten Anordnungen der Dschihadisten nach der Eroberung Mosuls war die Zerstörung der „heidnischen Tempel“, sprich: der schiitischen Heiligtümer.

Wie viele Schreine und Moscheen die Dschihadisten im Irak in Schutt und Asche gelegt haben, ist kaum zu bestimmen. Wichtigstes Indiz ist, verdächtig genug, eine Fotoserie, mit der sie ihre Abrissoperation dokumentieren wollen. Danach zerstörten sie zehn Schreine oder Moscheen, mit Baggern und Sprengstoff, rissen Mauern ein, Minarette, goldene Kuppeln. Der schiitische Saad-bin-Agil-Schrein und der sunnitische Ahmed-Al-Rifai-Schrein in Tel Afar gehören offenbar dazu, auch das als Heiligtum verehrte „Grabmal der Tochter“ in Mosul, in dem eigentlich der arabische Historiker Ibn al-Athir al-Dschasari begraben sein soll. Bis Samara wollen sie, wo die goldene Kuppel der schiitischen Moschee nach einem Anschlag 2006 noch immer restauriert wird, bis Nadschaf und Kerbala, den heiligsten Stätten der Schiiten. Aber ebenso verhasst wie jene sind ihnen die Sufis mit ihrem Mystizismus, ihrer Heiligenverehrung, ihrer entrückten Toleranz.

Mosul, Iraks zweitgrößte Stadt, ist die Hauptstadt der Provinz Niniveh und war einst Hauptstadt des assyrischen Imperiums. Im Jahrtausend vor Christus herrschten die Assyrer über ein Gebiet, das bis nach Ägypten reichte, und hinterließen wunderbare Statuen und Reliefs sowie den Ruf großer Grausamkeit. Später war Mosul ein Zentrum des Kampfes gegen die Kreuzritter, eine Metropole der Poesie, der Wissenschaft und der Literatur, wie Eleanor Robson, Vorsitzende des Rates des britischen Instituts für Irak-Studien, betont. 100 Kilometer südlich von Mosul liegen die Reste der antiken Stadt Hatra, einst eine arabische Festung, heute Unesco-Welterbe.

Christen und Juden lebten in den Ebenen Ninivehs. Die Provinz, wie der ganze Irak, wie die gesamte Region war über Jahrtausende kaum irgendwo ein ganz homogenes Siedlungsgebiet einer einzelnen Konfession oder ethnischen Gruppe. In der aktuellen Kritik am Sykes-Picot-Vertrag, mit dem Briten und Franzosen nach dem Ersten Weltkrieg den Nahen Osten aufteilten, geht das oft ein bisschen unter. Während Europa im nationalistischen Furor den Kontinent in Schutt und Asche legte, erwachte das arabische Nationalgefühl erst. Nicht nur die koloniale, sondern eigentlich jede Grenzziehung hätte im Schmelztiegel der Völker, Konfessionen und Stämme Enklaven, Minderheiten, also späteres Konfliktpotenzial geschaffen.

Deshalb sind die Radikalsten der Radikalen gerade keine Sachwalter eines vermeintlich verschütteten, verwässerten Reinheitsgedankens, sondern die Totengräber eines religiösen und kulturellen Nebeneinanders, das es trotz aller Widrigkeiten bis heute millionenfach gibt. Umso größer ist die Aggression der Dschihadisten gegen Abweichler in den eigenen Reihen, umso notwendiger in ihren Augen die Zerstörung islamischer Heiligtümer.

Es ist ein fundamentaler innerislamischer Deutungskonflikt, der mit Bomben und Bulldozern ausgetragen wird. Anders als oft beschrieben, verlaufen die verlustreichsten Fronten nicht zwischen Sunniten und Schiiten, sondern zwischen Extremisten und Moderaten. Und in den vergangenen Jahren hat sich dieser Konflikt in vielen Ländern der Region zugespitzt.

Tripolis liegt auf dieselbe rätselhafte Weise am Meer wie Algier, wie Beirut: Schwer zu sagen, ob die Stadt ins Wasser hineingespült oder aus den Fluten emporgetragen wird. Am Ufer der libyschen Hauptstadt liegen der Grüne Platz, der heute Platz der Märtyrer heißt, der Fischmarkt, die Altstadt. Und eine frische Brache. Vor zwei Jahren noch stand hier die kleine Kuppel eines Sufi-Schreins für Suleiman al-Fituri, einen Heiligen aus dem 12. Jahrhundert – und davor ein paar Pickups mit Maschinengewehren.

Libyens Sufi sind keine stillen Tänzer, ihre Tradition umfasst auch den kämpferischen Senussi-Orden um den großen Omar Muchtar, der den italienischen Besatzern das Leben schwer machte und hingerichtet wurde. Die Gebeine des Heiligen Suleiman lagen unter einem grünen Tuch und der ganze Schrein im Schatten des teuren Hotels auf der anderen Straßenseite. Damals, 2012, hatten die Salafisten, befreit von der Verfolgung durch die Schergen Muammar al-Gaddafis, Sufi-Moscheen angegriffen, hatten Geschäftsleute bedroht, die Alkohol verkauften. In Bengasi hatten sie den Sidi-Ubaid Friedhof umgepflügt und Leichen verschleppt. In Sliten waren sie über das Grabmal eines Gelehrten aus dem 15. Jahrhundert hergefallen. Lasst sie nur kommen, drohten die Nachfahren Suleiman al-Fituris in Tripolis. Wir werden uns wehren. Aber ihre Kraft reichte nur für ein paar Monate. Heute ist der Schrein fort.

In Tunesien griffen die Steinzeit-Islamisten seit dem Sturz des Autokraten Zine el-Abidine Ben Ali 40 Sufi-Schreine an, brandschatzten, rissen Mauern ein. Auch in Ägypten fielen radikale Sunniten mit Brecheisen und Vorschlaghämmern oder mit Sprengstoff über Heiligtümer her. Immerhin, aus dem Irak bestätigen sich nicht alle schlimmen Meldungen. Das Grab, in dem der biblische Jonas in Mosul begraben sein soll, ist wohl doch nicht zerstört. Ein vermeintliches Beweisvideo der Radikalen stammt aus Syrien. Statuen arabischer Dichter in Mosul wurden offenbar abmontiert, aber bislang nicht zerstört. Skulpturen geflügelter assyrischer Stiere blieben dort, wo sie früher waren. Dafür haben die Extremisten Manuskripte aus der Bibliothek verschleppt, vor allem zu religiösen Themen, ebenso wie die Inventar-Listen, berichtet die Online-Zeitschrift Niqash.

Empörte Iraker verhinderten zumindest vorübergehend die Zerstörung des Schreins von Scheich Fathi im Stadtteil Muschahada: Sie bewarfen die Pol-Pot-Islamisten mit Steinen. Wenn die Fanatiker scheitern – dann am Widerstand der anderen Gläubigen.

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