Zwei Szenen prägen die Nachrichten in Nigeria in dieser Woche, es sind Szenen, die den Nigerianern symbolhaft vor Augen führen, welches Unheil in den vergangenen Wochen auf sie zugerollt ist. Die erste Szene ist ein Fototermin des Präsidenten Goodluck Jonathan: In der Hauptstadt Abuja hat er sich am Dienstagabend mit Eltern der mehr als 200 entführten Mädchen aus der Stadt Chibok getroffen. Die Mädchen sind noch immer in der Hand von Islamisten, am Mittwoch waren es genau 100 Tage. Es wurden Hände geschüttelt, bei manchen Eltern flossen Tränen.
Setzen sich für die Freilassung der entführten Mädchen ein: Hier die Aktivistin Yemisi Ransome-Kuti
Die zweite Szene ist eine militärische Niederlage der Regierung, möglicherweise auch so etwas wie ein Wendepunkt. Erstmals haben die Islamisten der Gruppe Boko Haram („Westliche Bildung ist Sünde“) im Norden des Landes eine Großstadt eingenommen. Ihre schwarze Flagge weht seit Sonntag über Damboa, wie zum Anfang der Woche bekannt wurde. Die Handelsmetropole mit ihren mehr als 200000 Einwohnern war lange umtost gewesen von kleineren Scharmützeln. Jetzt ist sie gefallen, 40 Menschen wurden dabei von den Angreifern getötet, sagt die Regierung. Die Armee, die bislang stets nach kurzer Zeit zurückschlagen und Orte zurückerobern konnte, ist nirgends in der Nähe.
Stattdessen zündeten die Islamisten am Mittwoch in der nahe gelegenen Stadt Kaduna eine Autobombe, die mindestens 25 Menschen in den Tod riss. Das richtete sich offenbar gegen einen moderaten islamischen Kleriker, der als ihr Kritiker galt.
Die Eroberer in Damboa sind dieselben, die in der Gegend auch Schulen überfallen und Mädchen entführen: In den vergangenen 100 Tagen, in denen der Präsident ihnen – unter dem Druck einer aufgebrachten Öffentlichkeit – den Krieg erklärt hat, an der Seite von Benin, Kamerun, Niger und Tschad und mit der Unterstützung Frankreichs, sind sie nicht schwächer geworden, sondern stärker.
Boko Haram, die 2009 gegründete Gruppe, die für einen Gottesstaat im Norden kämpft, ist inzwischen in der Lage, Gebiete ganz zu übernehmen und zu halten. Und die Regierung zeigt einmal mehr, wie sie zaudert, taktiert und stolpert: Tatsächlich war der 100-Tage-Handshake-Termin das erste Mal, dass sich Präsident Jonathan überhaupt mit Eltern getroffen hat, trotz wochenlanger Proteste und Märsche auf seinen Präsidentenpalast. In der vergangenen Woche hatte bereits Kenneth Minimah, einer der führenden Armeegeneräle, vor Journalisten betont, dass man Geduld haben müsse; es gebe „keinen konkreten Zeitplan“ zur Befreiung. So sehr es dafür unter den zur Hilfe gekommenen Militärberatern aus den USA, Großbritannien und Israel Verständnis gibt, so sehr ist damit auch offen sichtbar, wie die kleine Gruppe Boko Haram das riesige Land im Schwitzkasten hält.
Der Kampf von Boko Haram, der lange nur an der Peripherie des Landes tobte, im bettelarmen Norden, wo die Landbevölkerung abgehängt ist von der Ölwirtschaft und wo sich Wut, Frustration und Analphabetentum unheilvoll vermengen – dieser Kampf ist in diesen Monaten auch im Zentrum des Landes angekommen. Ende Juni verübten Mitglieder von Boko Haram zwei Anschläge in der Hauptstadt Abuja sowie in der Wirtschaftsmetropole Lagos. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind mindestens 2053 Menschen durch Anschläge und Überfälle von Terroristen ums Leben gekommen, schätzt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Wie viele Zivilisten umgekehrt auch die nigerianische Armee seither getötet hat, ist da noch nicht einmal eingerechnet: Immer wieder werden dem Militär Exzesse vorgeworfen. Im Kampf gegen Boko Haram ist es sogar offizielle Politik der Regierung, auch Familienangehörige von mutmaßlichen Terroristen zu inhaftieren. Wenn nun der Anführer von Boko Haram, Abubakar Shekau, in seiner jüngsten Videobotschaft von vergangener Woche der Regierung erneut einen Handel anbietet – 50 entführte Mädchen gegen die Freilassung von 100 Boko-Haram-Leuten –, dann geht es dabei auch um Boko Harams Frauen und Kinder, deren Sippenhaft ohnehin viel Unverständnis auslöst, auch international.
Die Nigerianer sind das größte Volk ihres Kontinents, ihr Öl macht sie zur beherrschenden Wirtschaftsmacht Westafrikas, ihre Filmindustrie („Nollywood“ produziert mehr Filme als Hollywood und Bollywood zusammen) auch zu einem kulturellen Zentrum. Ihr Land trägt den Beinamen „der Riese Afrikas“. Doch die neuen Erfolge von Boko Haram bereiten gerade vielen kleineren Nachbarländern Sorge, die ihrerseits Probleme mit Islamisten haben. Nicht einmal Nigeria weiß sich zu helfen. Der Riese wankt.
Setzen sich für die Freilassung der entführten Mädchen ein: Hier die Aktivistin Yemisi Ransome-Kuti
Die zweite Szene ist eine militärische Niederlage der Regierung, möglicherweise auch so etwas wie ein Wendepunkt. Erstmals haben die Islamisten der Gruppe Boko Haram („Westliche Bildung ist Sünde“) im Norden des Landes eine Großstadt eingenommen. Ihre schwarze Flagge weht seit Sonntag über Damboa, wie zum Anfang der Woche bekannt wurde. Die Handelsmetropole mit ihren mehr als 200000 Einwohnern war lange umtost gewesen von kleineren Scharmützeln. Jetzt ist sie gefallen, 40 Menschen wurden dabei von den Angreifern getötet, sagt die Regierung. Die Armee, die bislang stets nach kurzer Zeit zurückschlagen und Orte zurückerobern konnte, ist nirgends in der Nähe.
Stattdessen zündeten die Islamisten am Mittwoch in der nahe gelegenen Stadt Kaduna eine Autobombe, die mindestens 25 Menschen in den Tod riss. Das richtete sich offenbar gegen einen moderaten islamischen Kleriker, der als ihr Kritiker galt.
Die Eroberer in Damboa sind dieselben, die in der Gegend auch Schulen überfallen und Mädchen entführen: In den vergangenen 100 Tagen, in denen der Präsident ihnen – unter dem Druck einer aufgebrachten Öffentlichkeit – den Krieg erklärt hat, an der Seite von Benin, Kamerun, Niger und Tschad und mit der Unterstützung Frankreichs, sind sie nicht schwächer geworden, sondern stärker.
Boko Haram, die 2009 gegründete Gruppe, die für einen Gottesstaat im Norden kämpft, ist inzwischen in der Lage, Gebiete ganz zu übernehmen und zu halten. Und die Regierung zeigt einmal mehr, wie sie zaudert, taktiert und stolpert: Tatsächlich war der 100-Tage-Handshake-Termin das erste Mal, dass sich Präsident Jonathan überhaupt mit Eltern getroffen hat, trotz wochenlanger Proteste und Märsche auf seinen Präsidentenpalast. In der vergangenen Woche hatte bereits Kenneth Minimah, einer der führenden Armeegeneräle, vor Journalisten betont, dass man Geduld haben müsse; es gebe „keinen konkreten Zeitplan“ zur Befreiung. So sehr es dafür unter den zur Hilfe gekommenen Militärberatern aus den USA, Großbritannien und Israel Verständnis gibt, so sehr ist damit auch offen sichtbar, wie die kleine Gruppe Boko Haram das riesige Land im Schwitzkasten hält.
Der Kampf von Boko Haram, der lange nur an der Peripherie des Landes tobte, im bettelarmen Norden, wo die Landbevölkerung abgehängt ist von der Ölwirtschaft und wo sich Wut, Frustration und Analphabetentum unheilvoll vermengen – dieser Kampf ist in diesen Monaten auch im Zentrum des Landes angekommen. Ende Juni verübten Mitglieder von Boko Haram zwei Anschläge in der Hauptstadt Abuja sowie in der Wirtschaftsmetropole Lagos. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres sind mindestens 2053 Menschen durch Anschläge und Überfälle von Terroristen ums Leben gekommen, schätzt die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch.
Wie viele Zivilisten umgekehrt auch die nigerianische Armee seither getötet hat, ist da noch nicht einmal eingerechnet: Immer wieder werden dem Militär Exzesse vorgeworfen. Im Kampf gegen Boko Haram ist es sogar offizielle Politik der Regierung, auch Familienangehörige von mutmaßlichen Terroristen zu inhaftieren. Wenn nun der Anführer von Boko Haram, Abubakar Shekau, in seiner jüngsten Videobotschaft von vergangener Woche der Regierung erneut einen Handel anbietet – 50 entführte Mädchen gegen die Freilassung von 100 Boko-Haram-Leuten –, dann geht es dabei auch um Boko Harams Frauen und Kinder, deren Sippenhaft ohnehin viel Unverständnis auslöst, auch international.
Die Nigerianer sind das größte Volk ihres Kontinents, ihr Öl macht sie zur beherrschenden Wirtschaftsmacht Westafrikas, ihre Filmindustrie („Nollywood“ produziert mehr Filme als Hollywood und Bollywood zusammen) auch zu einem kulturellen Zentrum. Ihr Land trägt den Beinamen „der Riese Afrikas“. Doch die neuen Erfolge von Boko Haram bereiten gerade vielen kleineren Nachbarländern Sorge, die ihrerseits Probleme mit Islamisten haben. Nicht einmal Nigeria weiß sich zu helfen. Der Riese wankt.