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Unter Beschuss

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Der Nacken, der sich da ins Bild dreht, ist breit und kraftraumerfahren. Man könnte ihm das halbe Grundgesetz eintätowieren, doch steht dort in großen Buchstaben: COP KILLER. Wenn der Kerl, dem dieser Nacken gehört, sich zur Menge dreht und das Megafon hebt, springt der Schriftzug den Polizisten unmittelbar hinter ihm ins Gesicht. „Jude, Jude, feiges Schwein!“ bellt es aus dem Verstärker. Die vor ihm brüllen es nach.



Sehen sich vermehrten Angriffen ausgesetzt: Juden in Deutschland, hier ein Foto, von einem Juden, bei dem die Kippa mit Davidstern-Klammer befestigt wurde

Levi Salomons Blick saugt sich fest an den Bildern, die er auf seinem Computer gespeichert hat. Er hat sie wer weiß wie oft gesehen, in dieser Mischung aus Abscheu und Faszination, die einen auch an Gewaltfilmen fesselt. Und er ist stolz auf sich, auf sein Team. Sie haben die Bilder vom vergangenen Donnerstag aufgenommen und ins Netz gestellt, die nun die Welt erschrecken lassen: Mitten auf dem Berliner Kurfürstendamm regiert der antisemitische Hass. „Ich wusste, dass das kommen würde“, sagt er. Er kennt die Foren und Facebook-Präsenzen, wo man so etwas erfährt.

Auf seinem Server sind in einer Art Deutschlandreise die Pro-Palästina-Anti-Israel-Demos der jüngsten Zeit zu sehen. Kassel, Göttingen – oder, hier bitte, Nürnberg: Testosterontrunkene junge Männer stürmen McDonald’s und Burger King, weil das für sie Judenrestaurants sind. Sie schwenken die palästinensische Fahne und skandieren „Kindermörder Israel“. Während die Filmschnipsel laufen, gibt es eine kleine Flaggenkunde von Levi Salomon: hier die Hamas, da die Kalifats-Jünger, dort die Hisb ut-Tahrir, alle sind sie da.

Zwanzig Jahre schon sammelt der kleine, drahtige Mann, was sich in Berlin und Deutschland an Antisemitismus auftreiben lässt, von alten und neuen Nazis, Weltverschwörungstheoretikern oder eben von extremistischen Palästinensern, Arabern, Türken. Sein wilder Haarkranz ist darüber grau geworden, die Stimme melancholisch; früher ist er noch selber zu den Demos zum Filmen gegangen, heute ist er zu bekannt und würde Prügel riskieren. Sein knappes Geld verdient der 55-Jährige als Filmemacher. Die Arbeit beim Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus ist ehrenamtlich, der Zentralrat der Juden in Deutschland stellt ihnen in der Zentrale ein karges Büro im Erdgeschoss zur Verfügung. Salomon schlägt oft Alarm, so oft, dass auch in der jüdischen Community zu normalen Zeiten mancher die Augen rollt. Jetzt aber sind die Zeiten nicht normal. Jetzt sind sie froh, dass sie ihn haben. Einen, auf dessen Festplatte die Belege für den Satz gespeichert sind: „So schlimm war es noch nie.“
So schlimm war es noch nie in diesen

20 Jahren, sagt Salomon. Noch in den Neunzigern war der Antisemitismus mancher Israelkritiker eine theoretische Angelegenheit. Dann kam das Satelliten-Fernsehen und mit ihm die Propaganda, dann wuchs in Neukölln und Kreuzberg und in vielen anderen Vierteln in Deutschland eine Generation von Zuwanderkindern heran, die ihre Identität über die Distanz zur Mehrheit definierte – einige über den radikalen Islam und den Kampf für ein freies Palästina, gegen den Feind Israel. Die Judenfeindschaft ist ziemlich handfest geworden. So handfest, dass die Straßen nicht mehr sicher sind für Juden, dass sie krankenhausreif geschlagen werden oder mit knapper Not dem Mob entkommen wie jenes Touristenpaar aus Israel an diesem Wochenende. „Jetzt endlich merkt das die Öffentlichkeit in Deutschland“, sagt Levi Salomon und schiebt die Frage nach: „Warum wolltet ihr das so lange nicht wahrhaben?“ Warum seid ihr so unempfindlich geworden, warum nicht mehr auf unserer Seite?

So schlimm war es lange nicht mehr, das legt auch Dieter Graumann nahe, der Präsident des Zentralrats der Juden, der von einer „Explosion des Antisemitismus“ spricht und sagt, er hätte es „niemals im Leben für möglich gehalten“, dass noch einmal solche Parolen durch Deutschlands Straßen hallen würden. Ob und wie stark der Antisemitismus tatsächlich wächst, darüber lässt sich streiten. Wolfgang Benz, der wahrhaft renommierte Antisemitismusforscher, sieht „keineswegs eine Lawine, die größer und größer wird“, wohl aber eine scharfe und zunehmende Kritik an der Politik Israels und am Gaza-Krieg, deren antisemitische Auswüchse nun zur neuen Welle hochstilisiert würden.

Benz mag nicht ganz unrecht haben – die Emotionen, die viele Juden in Deutschland umtreiben, trifft er nicht. Für sie gehört das zusammen: die Wut auf Israel, die Vorbehalte gegen Juden. Es ist das Gefühl, dass die Mehrheit im Land die Seiten gewechselt hat und in diesem Gaza-Krieg für die Palästinenser ist und nicht mehr für Israel – oder dass sie, moralisch hilflos, in Äquidistanz zu beiden Seiten verharrt, weil sie nicht mehr weiß, ob sie das Menschenverachtende der Hamas oder das Getriebene der israelischen Regierung für schlimmer halten soll.

Für viele Juden ist das ein Schock. Sie haben Verwandte in Israel und kennen deren Angst vor den Hamas-Raketen, die ihnen kein Abwehrsystem nehmen kann. Für sie ist Israel der sichere Hafen, wenn es, irgendwann, irgendwo, wieder gegen die Juden gehen sollte. Es ist der Ort, an dem es selbstverständlich ist, Jude zu sein. „Alija“, Hinaufgehen, heißt seit dem Babylonischen Exil die Heimkehr ins Gelobte Land; für die Juden in Deutschland ganz besonders, die immer erklären müssen, warum sie ausgerechnet im Land der Mörder leben wollen. Und je unterschiedlicher die Bekenntnisse und Biografien in der jüdischen Gemeinschaft werden, desto mehr stiftet Israel Identität.

Sophienstraße 22, Berlin-Mitte; ein neonheller Raum, 18 junge Frauen und Männer am Tischkarree, Juden und Nichtjuden, aus Israel und den USA, Kanada, Frankreich, Italien, drei Wochen sind sie schon in Berlin, als Teilnehmer der Leo Baeck Summer University. Und vor ihnen sitzt Sergey Lagodinsky und erzählt vom jüdischen Leben in Deutschland. Lagodinsky arbeitet bei der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, im Parlament der israelitischen Kultusgemeinde gehört er zur Opposition, er hat sich schon einige Kritik anhören müssen, weil die Grünen dafür sind, Waren aus den besetzten Gebieten besonders zu kennzeichnen.

Es dauert zwanzig Minuten, da geht es nicht mehr um die Sozialstruktur der jüdischen Gemeinden, sondern um Panzer und Raketen, um Israel und Antisemitismus. Es geht hoch her. Und Sergey Lagodinsky, der kritische Geist, sitzt da und verteidigt Israel gegen die Kritik, die da kommt – mehr als die Israelis oder die Juden aus den USA in der Runde. Nicht alles finde er gut, was dort Regierungschef Benjamin Netanjahu macht, betont er. Aber als ein Student aus Frankreich sagt, es würden sich halt auf beiden Seiten die Extremisten hochschaukeln, da stellt er klar, wo für ihn der Unterschied zwischen einer Terrororganisation wie der Hamas liegt und einem Rechtsstaat wie Israel.

Und er sagt, dass, egal wo auf der Welt, egal, was in Israel passiere, Antisemitismus bekämpft gehöre. „Es kann nicht sein, dass unsere Eltern ihre Kinder von den staatlichen Schulen abmelden, weil sie ihnen ersparen wollen, angepöbelt zu werden“, sagt Lagodinsky. „Israel ist Teil meiner Identität“, erklärt er gegen Ende. Und bedankt sich „für das offene Gespräch“. Die Stimmung kippt, sagt er noch im Hinausgehen. Hier die israelkritische Mehrheit, dort die Juden. Und die Differenzierungen drohen zu verschwinden.
Café Elfenbein, Kastanienallee. Doron Rubin hat sich eine Stunde Auszeit von der Jura-Doktorarbeit genommen und eine Cola bestellt, jetzt, wo er die Mütze absetzt, wird die Kippa sichtbar. Rubin, 32, ist orthodoxer Jude, Vorstandsmitglied im Jüdischen Lehrhaus an der Rykestraße in Prenzlauer Berg. Das mit der Mütze macht er schon länger , sagt er, „ich will nicht ständig diskutieren und erklären“. Mit Angst habe das nichts zu tun, mit Vorsicht vielleicht. Aber es sei ja nur eine Minderheit der Muslime judenfeindlich, „und dass es 600 Leute in Berlin gibt, die die Hamas gut finden, überrascht mich nicht“, sagt er. Überrascht hätten ihn die Politiker und die Medien: „Schon vor zehn Tagen wurden in Frankfurt antisemitische Parolen gerufen – warum hat da keiner gesagt: Stopp?“

Weil die Wahrnehmung anders war: für die Juden ein Schreck, für die Journalisten eine Kurzmeldung, lautet seine Antwort. Und weil die Maßstäbe doch verschieden sind. Nein, Angst habe er nicht, auch wenn die Polizei die Gemeinde gewarnt habe. Er versuche, die verunsicherten Mitglieder zu beruhigen: Seht doch, wie jetzt die Reaktionen der Politiker sind. Ja, Deutschland sei und bleibe sein Land. Zwei Jahre haben er und seine Frau in Israel gelebt. Und als die Beschneidungsdebatte in Deutschland tobte, hätten sie diskutiert: Sollen wir zurück? Doch die Antwort war schnell klar – wir gehören hierhin. „Es tut mir leid, dass Ihre Heimat unter dem Beschuss leidet“, hat ein Bekannter gesagt. Er hat zurückgefragt: „Fliegen jetzt auch Raketen auf Berlin?“

„Wie es den Juden geht, ist ein Seismograf dafür, wie es dem ganzen Land geht“, sagt Levi Salomon. Die Tür des Büros fliegt auf, ein Informant stürzt herein, neues Material. Kinder in rotbeschmierten T-Shirts halten blutende Puppen. „Furchtbar“, sagt Salomon. „Was sollen diese Kinder später denken?“ Am Freitag ist Al-Quds-Tag, an dem die Palästinenser traditionell für die Rückeroberung Jerusalems demonstrieren. Es wird die nächsten Bilder fürs Archiv geben. Es geht um die gesamte Gesellschaft, sagt Levi Salomon, nicht um uns Juden. „Wir können gehen, nach Israel. Ihr müsst bleiben.“

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