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„Mein Erfolg ist durch nichts zu erklären“

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Wolfgang Joop, 69, empfängt in seiner Villa Wunderkind in Potsdam am Heiligen See und beginnt zu reden, noch bevor die Besucher Platz genommen haben. Über die Ängste und Beklemmungen der heutigen Jugendlichen, sein neuestes Buchprojekt, Selbstzweifel und das Wetter – und das alles vor dem ersten Kaffee. Den serviert dann eine sympathisch unglamouröse berlinernde Dame. Luft holen und los geht’s.



Gibt sich im Interview nachdenklich und spricht viel über seine Kindheit: Wolfgang Joop.

SZ: Wolfgang Joop, reden wir über Geld. Finanziell hätten Sie es nicht mehr nötig zu arbeiten. Warum machen Sie weiter?
Wolfgang Joop: Das frage ich mich auch. Ich nähe da mit großem Aufwand eine Haute-Illusion, die vielleicht keiner braucht. Aber braucht man Träume? Kunst oder Kino? Kunst oder Mode zu erdenken gleicht einer Sucht. Aber sie bringt einen ja nicht um, und man denkt immer das ganz Große, das kommt noch.

Sie warten noch?
Natürlich. Wir warten unser Leben lang, dass wir morgen besser werden, schlanker, größer, beliebter. Endlich den Sexual- und Lebenspartner finden, der uns diesen einen Orgasmus beschert, nach dem wir nicht in einem Down verschwinden müssen. Aber ich habe gelernt, dass Antworten auf die meisten Fragen ausbleiben, und habe mir eine pragmatische Lebensphilosophie zurechtgelegt.

Die Dämonen werden nicht besser?
Nein, man regt sich nur nicht mehr darüber auf, dass sie da sind. Wahrscheinlich haben sie einen Sinn. Früher dachte man, es hilft, mal ordentlich auf den Putz zu hauen, um sie zu vertreiben. Aber am nächsten Tag sind sie wieder da und übernehmen die Regie, weil man so geschwächt ist. Also lernt man, fit zu bleiben. Ich habe gelernt, dass die Nüchternheit die beste Waffe ist. Ich arbeite auch tollkühn weiter. Wie ein ungezogenes Kind, das auf sich aufmerksam machen will. Außerdem müsste ich mich ja analytisch mit mir selbst beschäftigen, wenn ich nicht mehr arbeiten würde.

Das Verhältnis zu Ihrem Vater gilt als schwierig. Haben Sie sich gegen ihn aufgelehnt?
Ich übte den stillen Protest. Gelingen tut er mir bis heute schlecht – immer wieder werde ich auffällig. Damals klammerte ich mich an meine Mutter und flüchtete mich in meine eigene Welt. Meine Liebessucht beschrieb meine Mutter mit: Das ist Affenliebe. Man wollte nicht zu viel Berührung im preußischen Elternhaus.

Wie alt waren Sie, als Ihr Vater aus der Kriegsgefangenschaft kam?
Acht.

Waren Sie vorher glücklicher?
Ich fühlte mich als kleiner Prinz. Ich bin auf dem Gut meiner Großeltern in Potsdam bei Sanssouci groß geworden. Erst im Abstand der Jahre verstand ich, durch welch historische Unwetter und radikale Umbrüche meine Großeltern ihren Hof und ihre Familie geführt hatten. Das natürlich Autoritäre gab mir damals auch das Gefühl von Sicherheit. Der Hof wurde verteidigt wie eine Festung. Und als mein Vater kam, wurde ich aus dieser Welt rausgerissen und verlor damit die Sicherheit. Von einem Tag auf den anderen musste ich nach Braunschweig, wo mein Vater einen Job bekam. Ich glaube, dafür habe ich ihn lange Zeit beschuldigt.

Litt Ihre Mutter auch unter dem Umzug?
Sie musste in Braunschweig mit einem sehr kleinen Budget zurechtkommen. Später, als ich genug Geld hatte, um aus ihr die „First Lady“ zu machen, eine Rolle, die ihr sehr gut stand, da hat sie mir erzählt, dass sie damals in der ersten Zeit in Braunschweig nachmittags das Fenster aufmachte und laut „Scheiße!“ rausschrie. So hat sie dieses kleinkarierte Leben verabscheut. Auf dem Bauernhof, da war jeder Tag ein Abenteuer gewesen. Da wurde Überleben geprobt. Es gab kein Gestern und kein Morgen. Es gab nur den Moment mit all seinen Notwendigkeiten. Aus dem hatte man gelernt, möglichst viel herauszuholen. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs wurde das Leben euphorisch empfunden trotz Mangels und Entbehrung. Auch die Vorkriegsmoral war, bis die männlichen Heimkehrer vor der Tür standen, vergessen.

Ihr Vater war Journalist.
Später Chefredakteur. Diese Karriere war er alleine, meiner Mutter und mir war sie vollkommen egal. Wir haben uns in das andere Leben zurückgesehnt. Wo man autark war und sich selbst entdecken konnte. Wir bauten Gemüse an und hatten Hühner und Schafe. Selbst gestrickte Socken und selbst gestrickte Jacken. Die kratzten zwar, aber die waren von eigenen Schafen. Was ist das bitte für eine Allüre! Da konnten die anderen nicht mithalten in Braunschweig mit ihrer fully-fashioned Importware.

Sie wurden Designer. Anfang der Achtziger gründeten Sie Joop! Nach 20 Jahren trennten Sie sich von dem internationalen Mode-Unternehmen.
Der Abschied glich einer Art Notwehr. Ich habe immer wieder erleben müssen, dass mein Privilegiertsein zum Problem für andere wurde. Natürlich bin ich privilegiert und war es vor allem auch als Testimonial und Besitzer der Marke, die Ende der Achtzigerjahre, wie so vieles, über Nacht explodierte. Das Gefühl von Neid kenne ich nicht und wurde deshalb von Illoyalität ungläubig überrascht. Was mich aber bis heute nicht in meinem Optimismus eingeschränkt hat. Ich lernte aber damals, mich zu distanzieren.
Finden Sie es seltsam, dass jetzt andere mit Ihrem Namen Joop! Geld verdienen?
Nein. Das ist phantastisch, wenn sie es tun! Und es wird ja jedes Mal abrupt mehr, wenn ich medial präsent bin. Aber glauben Sie mal nicht, dass die Besitzer der Marke bei mir anrufen, um sich für die werbliche Unterstützung zu bedanken. Oder gar eine neue Kooperation anzubieten. Die Idee wäre vielleicht auch allzu überholt.

Als Sie Ende der Neunziger, Anfang der 2000er bei Joop! ausgestiegen sind, wie war das?
Am Anfang schmerzvoll. Ich musste das Ziel aufgeben, mit Joop! eine Megamarke zu werden. Aber von diesem Weg war Joop! zu diesem Zeitpunkt sowieso schon abgekommen. Ich habe mich dann von den neuen Besitzern auszahlen lassen. Irgendwann nach drei, vier Jahren konnte ich es als Erleichterung empfinden, dass das große Schiff ohne mich weiterfuhr.

Ein Einschnitt.
Ach, so schwer fiel er mir dann doch nicht (lacht). Ich habe Illustrationen gemacht, hatte Ausstellungen, schrieb Artikel über Mode für den Spiegel. Das plötzliche Schreiben war ein später Protest gegen den Vater. Er als Journalist brauchte für einen Text mindestens vier Wochen. Dann musste in der ganzen Wohnung Ruhe sein: „Psssst, Vater schreibt.“ Unterhaltend war der Text dann trotzdem nicht, dafür hatte er als Reisejournalist die Einwohnerzahl von Burma auf einen Hund genau ausgerechnet. Mein Vater blieb kommentarlos, als ich schrieb. Als ich ihm meinen autobiografischen Roman „Im Wolfspelz“ hinlegte, hatte ich mir so fest vorgenommen, ihn nicht um seine Meinung zu fragen.

Und?
Irgendwann fragte ich doch, ob er das Buch, das da lag, geöffnet hätte. Seine Antwort war: „Ja, aber hoffentlich hast du die anderen Geschäfte auch im Griff.“ So glaubte er wohl sein zu müssen. Ich würde von mir selber gerne wissen, ob ich an den verschiedenen Vaterfiguren wachse oder scheitere.

Aber Sie suchen sie?
Ja, um sie zu ignorieren. Ich denke, das trifft am meisten.

Langweilig war Ihnen nicht, als Sie ein paar Jahre mal keine Mode machten?
Nein, und ich habe das erste Mal gespürt, dass ich wohlhabend war. Durch den Verkauf der Marke war das eine neue Dimension. Allerdings war ich als freiberuflicher Designer schon vorher finanziell sehr erfolgreich gewesen. Vom ersten Geld hatte ich Kunst gekauft und mich später teilweise davon getrennt, um für eigene Werke Platz zu machen. Das richtige Timing beim Kaufen und Verkaufen zu finden ist im Leben wohl die größte Kunst. Ebenso das rechtzeitige Auf-und Abtreten. Kurz nach dem Mauerfall bekam ich von Super-Illu und auch von meiner Hauspostille Spiegel das fragwürdige Kompliment, 007 von der DDR-Eminenz Schalck-Golodkowski gewesen zu sein. Erst heute finde ich den absurden Verdacht amüsant. Ich war gerade in New York und wollte deshalb nicht zurück nach Deutschland. Damals habe ich lange gesucht, um ein schönes Penthouse zu finden, und als ich es später wieder verkaufen wollte, fand ich lange keinen Käufer. So ist es wohl immer: Wenn man etwas sucht, ist es nicht da, und wenn man es loswerden will, will es keiner haben.

Trotz der Spion-Berichterstattung kamen Sie zurück nach Deutschland.
Wunderkind lockte mich zurück. Die Modewelt hatte mich trotz Pause nicht abgeschrieben gehabt, und ich spürte die Erwartungshaltung, mein Kreativpotenzial endlich sichtbar zu machen. Mein Lebenspartner Edwin leitete das junge Unternehmen in Potsdam, und ich musste partnerschaftlich 2003 dazukommen.

Also doch wieder Mode.
Ich wollte ein biografisches Werk abgeben. Mit den Mitteln, die ich in langen Jahren gelernt hatte. Das ist nun mal mein Dauerflirt mit der launischen Geliebten Mode. Ich wollte den internationalen Modemarkt mit einem Produkt „Made in Potsdam“ überraschen, von dem er bisher nicht wusste, dass es gefehlt hatte.

Warum Potsdam? War das noch Heimat wegen Ihrer Kindheit auf dem Gut?
Ja. Mit dem Geld, das ich durch den Verkauf von Joop! verdiente, konnte ich das Gut Bornstedt für meine Mutter restaurieren. Leider ist das Werk von meinen Töchtern, denen das Gut heute gehört, nicht in meinem Sinn vollendet worden. Aber die Hypothek ist auch riesig, diese Verantwortung kann erdrückend sein. Meine Töchter wollen ja auch ihren eigenen Weg gehen. Der ist nicht einfach, denn durch meine verschiedenen Erfolge habe ich auch Standards gesetzt. Mein Erfolg ist durch nichts zu erklären (lacht). Jedenfalls nicht mit Fleiß allein. Jeder Erfolg ist eine Verabredung mit dem Zeitpunkt, der ihn zulässt. Ich staune immer noch, dass mir so viel gelang, wo ich mich doch früher für alles zu blöd fand: in der Schule im Wachkoma, und ängstlich war ich auch.

Haben Sie nicht durch die Liebe Ihrer Mutter Sicherheit gewonnen?
Ich habe mich selten sicher gefühlt. Und auf dieses Gefühl hat sich auch meine Mutter selbst am wenigsten verlassen.

Haben Sie versucht, Ihren Kindern Sicherheit zu vermitteln?
Ich habe ihnen Märchen erzählt. Ich glaube, besonders in den Märchen von Hans Christian Andersen sind alle Wahrheiten und Prüfungen verborgen. Zum Beispiel die Wahrheit, dass man Glück eher auf einem als auf hundert Quadratmetern findet. Und nicht der Mangel macht depressiv, sondern der Überfluss. Ich denke da an das Märchen von der chinesischen Nachtigall.

Waren Sie ein besserer Vater als Ihrer?
Ich denke, ja. Ich wollte das Autoritäre weglassen und versuchte, Botschaften und Emotionen mit den Märchen zu vermitteln, die ich vorlas oder erzählte. Florentine hat mir immer rechtzeitig ein Taschentuch gereicht, weil sie wusste, an welcher Stelle ich losheulen würde. Die beiden sind sehr unterschiedlich mit meiner Art umgegangen. Jette hat früh entschieden, dass man mit zu viel Emotionen in Bedrängnis kommt. Und Florentine sucht die Erfüllung emotionaler Versprechen bis heute. Sie sucht den romantischen Antihelden, einen Typus, den ich selbst gern abgeben würde. Mein weißes Pferd wäre gesattelt und wartet, losgebunden zu werden. Jette versucht, die Romantik im Zaum zu halten, weil sie denkt, das Pferd könnte mit ihr durchgehen.

Sie haben also andere Fehler gemacht als Ihr Vater?
Die Option, als Elternteil alles falsch zu machen, ist riesig. Zu viel Nähe, zu wenig Nähe, zu wenig Geld, zu viel Geld. Ich habe die Haltung, dass sich niemand an mir schuldig gemacht hat. Ich klage meine Eltern nicht an. Auch mein Vater ist unschuldig. Er war eingebettet in seine Wertvorstellung, in seine Biografie. Er musste lernen, dass das Schicksal grausam sein kann. Er musste in einen Krieg ziehen für ein System, an das er nicht glaubte. Er kam dann entwürdigt und entkräftet aus der Kriegsgefangenschaft wieder, das Kind war ihm entfremdet, die Frau auch. Er hat das alles als sehr ungerecht empfunden. Und ich wollte dann auch noch seine Autorität unterwandern und schwärmte deshalb für alles, was er hasste. Heute bin ich meinen Eltern sogar dankbar für das, was ich nicht hatte. Denn so habe ich gelernt, mich aus Notwehr neu zu erfinden und selbst aus Minus ein Plus zu machen.

Fühlen Sie sich hier wohl, in Ihrer Heimat?
Als meine Mutter starb, habe ich begriffen, dass der Ort Heimat ein emotionaler Ort ist und kein geografischer. Auf dem Gut wartet niemand mehr auf mich, deshalb gehe ich kaum mehr hin. Diese emotionale Aufräumarbeit schaffe ich nicht, werde ich wahrscheinlich nie schaffen. Ich bin kein Restaurator, obwohl ich mir mit dieser Arbeit mein erstes Taschengeld verdiente.

Wie war es, als Ihre Mutter starb?
In ihrer Agonie habe ich sie gezeichnet. Drei Zeichnungen in ungefähr drei Tagen oder Nächten. Ich besitze die Zeichnungen noch, habe sie aber nie wieder angeschaut. Nur durch die Übersetzung der Wahrheit auf meinem Zeichenblock konnte ich die stumme Nähe und den Abschied zugleich ertragen. Mich erinnert diese Situation an das Gemälde von Anselm Feuerbach: Der Maler und der Tod. Der Maler malt, der Tod schaut ihm über die Schulter, der Maler malt.

Sie werden Ende des Jahres 70.
Gut, dass Sie das erwähnen, denn das ist noch lange hin. Aber um zu unserem Thema vom Anfang zurückzukehren: Um mich selbst zu spüren, arbeite ich weiter. Ich finde dieses Ausgewogene, Überlegte, Abgesicherte und Unradikale unseres modernen Lebens eher beängstigend. Uns fehlen die Ecken, an denen wir uns reiben können. Die Sicherheit und das „Good life“, das wir schon so lange genießen, kommt uns vor wie eine virtuelle Inszenierung. Es braucht nur einen Knopfdruck, und alles kann vorbei sein. Allerdings scheint das keiner zu glauben. Ich allerdings bin ein Kind meiner Zeit, das im Schatten der realen Bedrohung des Kalten Krieges alles infrage stellte und vor allem nie erwachsen werden wollte.

Sie kritisieren den Kapitalismus, verkaufen aber Kleider für 4000 Euro?
Dieser Widerspruch ist anstrengend und gleichzeitig das teure Parfum, nach dem die Wunderkind-Kleider riechen und immer die coolste Trägerin wie von alleine finden.

Aber Sie steigen nicht aus, sondern machen weiter.
Ich plane den Ausstieg. Täglich. Und mache genau an diesem Tag weiter (lacht laut).

Sie werden einfach immer weitermachen?
Gedacht habe ich mir das nicht, aber es wird wohl so sein. Bis irgendwann wie bei einer alten Waschmaschine ein bis zwei Schrauben rausfallen: Dann rattert und schäumt es noch eine Weile, und sie bleibt einfach stehen. Aber jetzt ist noch nicht die Zeit dafür.

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