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World Wide Weben

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Web – dabei dachte man zuletzt immer nur an das eine. Ans digitale Fenster zur Welt, ans World Wide Web. Doch auf einmal sprechen junge Menschen „Web“ wieder aus wie: Weberei. Oder: Webstuhl. Der Grund dafür sind die „Rainbow Loom Bands“ – der neueste Wahnsinn in Kindergärten, auf Schulhöfen und in Jugendzimmern. Bisher verhaltensunauffällige Heranwachsende verknüpfen hier bunte Haushaltsgummis auf einer Art Nagelbrett zu Armbändern, Würsten oder süßen Tierkörpern. Die Anleitungen dafür fischen sie sich aus dem World Wide Web.



Die "Rainbow Loom Bands" kamen von den Kindergärten, Schulhöfen und Jugendzimmern zu den Stars. Auch Miley Cyrus trägt sie.

Erfunden hat das alles vor vier Jahren Cheong Choon Ng aus Novi nahe Detroit/Michigan. Der 45 Jahre alte Maschinenbauer chinesischer Abstammung war einst aus Malaysia in die USA ausgewandert und hatte hier zuletzt Gurte einer japanischen Automarke eingefädelt. Durch die Analyse von Crash-Tests sollte Cheong ein neues Sicherheitsgurt-System entwickeln. Daheim aber konnte der Ingenieur nach der Arbeit beobachten, wie seine Töchter Teresa und Michelle eine ungeheure Fertigkeit beim Verknoten von Haus-und Haargummis entwickelten. War ihr Handwerk für die Welt vielleicht noch richtungsweisender als jeder japanische Autogurt?

Das Leben am Faden – spätestens seitdem sich Theseus mit Ariadnes Garn erfolgreich durch die Unterwelt bewegt hatte, ist das doch ein interessantes Thema. Philosoph Philon nannte die Welt „das schöne Gewebe Gottes“, Goethe schrieb vom „sausenden Webstuhl der Zeit“ – daraus muss doch auch im Gummizeitalter etwas zu machen sein.

Cheong Choon Ng nahm also 10000 Dollar aus der Haushaltskasse und entwickelte mit Frau und Töchtern einen ersten, noch hölzernen Webrahmen, durch den die Kinder ihre Spindel schon deutlich effizienter schießen konnten. Sodann schaute er sich nach einem chinesischen Groß-Produzenten um, der ihm eine Art Starter-Kit kostengünstig produzierte. Als die ersten, 26-mal überarbeiteten Loom-Bretter fertig waren, wurde Cheong seine Idee jedoch einfach nicht los. Ein Brett und ein paar Hundert Haushaltsgummis? Was soll das? Kein Mensch kapierte, dass sich dahinter eine textile Revolution verbarg.

Also ließ Cheong seine Töchter weiter Ketten und Armreifen herstellen, filmte sie dabei und veröffentlichte die Aufnahmen als Anleitung im Internet. Dann, im Sommer 2013, nahm die Erfindung plötzlich Fahrt auf. Trotz Hautrötungen und Abschnürgefahren – die New York Times erklärte Rainbow Loom zum beliebtesten Kinderspiel des Jahres. Bereits im Herbst 2013 fanden sich 66 Making-of-Videos im Rainbow-Loom-Youtube-Channel oder auf der App InstaLoom – keineswegs nur von den Töchtern des Erfinders hochgeladen. Und auch, wenn Experten vor möglichen Folgen für Fische und Vögel, für Mensch und Umwelt warnten: Die Looms (Webstühle) wurden zum Welterfolg. Seit wenigen Wochen gibt es sie jetzt auch in Deutschland.

Cheong ist mittlerweile ein gemachter Mann, laut dem britischen Mirror ist seine Firma schon mehr als 100 Millionen Euro wert. Fast beruhigend zu wissen, dass er weiterhin ein zwölf Jahre altes Auto lenkt und sich gemeinsam mit seiner Frau darüber freut, „dass wir jetzt die Ausbildung unserer Töchter bezahlen können“. Während Cheong also einen kühlen Kopf bewahrt, verheddert sich die Welt im gordischen Gummi-Knoten: Von Kentucky bis Kärnten scheint es vor allem unter jungen Mädchen kein anderes Thema mehr zu geben. Schulen erlassen Verbote, Spielzeug-Grossisten kommen mit den Starter-Kits nicht nach, und US-Patentanwälte streiten über die Frage, wer welche Rechte am Haushaltsgummi besitzt.

Der natürliche Tod eines jugendlichen Trends beginnt naturgemäß dann, wenn sich auch Erwachsene für ihn begeistern. In diesem Fall sind es Miley Cyrus, One-Direction-Sänger Harry Styles und die Familie Windsor, die den Kindern bald die Lust an ihrer originellen Spinnerei nehmen könnten: All jene wurden nämlich bereits mit selbstgewebten Gummi-Armbändern gesehen, Kate und William beispielsweise während ihrer Down-Under-Tour. Aber auch Familie Beckham soll Elastisches mittlerweile auch außerhalb des Körpers tragen.

Höhepunkt adulter Anwanzung war wohl der Auftritt Jimmy Kimmels in seiner Late-Night-Show. Kimmel hatte sich von seinen Fans Zehntausende Rainbow-Loom-Bands schicken und daraus einen „Suit of the Loom“-Anzug weben lassen. (Hoffentlich nicht von einem Kind.) Sein Outfit wurde später für 40000Dollar für einen guten Zweck versteigert. Lustig: Ausgerechnet Cheong Choon Ng kaufte es. Das selbst gewebte Gummi-Kleid von Abigail Baker, elf, aus dem britischen Desborough, brachte es bei Ebay kürzlich auf vergleichsweise schlappe 200 Euro. Abigails Eltern zeigten sich gegenüber der Daily Mail dennoch schwer begeistert. Ihr Kind, sagten sie, „loome“ ja ohnehin pausenlos – da sei man auch mit weniger Taschengeld zufrieden.

Lösungsmittel, Hautausschlag, Strangulationsgefahr: Es wird spannend zu beobachten sein, ob die neueste Fitzelmode zumindest die Sommerferien noch überdauert. Von Herbst an könnte ja die nächste Strickliesel durchs Dorf getrieben werden. Und dann lägen die Plastik-Webrahmen plötzlich ganz hinten im Regal, gleich neben den nur halb vollen WM-Sammelalben sowie Monster-High-Puppen mit gebrochenem Kniegelenk. Bei Web würde dann jeder nur noch an das eine denken.

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