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Radikales Familienmodell

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Das Kalifat mag vieles sein, ein Kriegsgebiet, ein Terrorparadies, ein pseudoislamischer Primitivstaat, eine Plage von historischem Ausmaß. Dass das Territorium des Islamischen Staats (IS) im Irak und in Syrien aber so etwas wie ein Familien- und Kinderparadies sein soll, auf diesen Gedanken kommen wohl die wenigsten. Die Militanten des Kalifen Ibrahim sehen das anders. Einige Dschihadisten bringen ihre Frauen und Kinder mit in den Heiligen Krieg, leben mit ihren Familien im Kalifat-Staat:



Sudanesischer Islamist: Die radikalen Kämpfer binden teilweise ihre Familien mit in den Kampf ein

Schließlich war ja auch der Prophet Mohammed 622 aus dem damals heidnischen Mekka in die Muslimhochburg Medina gezogen; nach dieser „Hidschra“, diesem Auszug, wurde der Islam stark. Und manche der nun in ihrem Heiligen Land des 21. Jahrhunderts angekommenen Radikal-Islamisten scheuen nicht einmal mehr davor zurück, ihre Kinder vor den Leichen der Feinde zu fotografieren, sie mit deren abgeschnittenen Köpfen posieren zu lassen oder die eigenen Söhne als Selbstmordbomber auszubilden: der Dschihad als kollektive Lebensform.

Dass über das Leben im Kalifat-Staat relativ viel bekannt wird, obwohl westliche Reporter dort nicht hinreisen können, hat seinen Grund. Wenn die Militanten nicht kämpfen, twittern sie begeistert, schreiben auf Netzwerken wie Facebook über ihr Leben im Kriegsgebiet und seinem Hinterland. Manche haben keine Hemmungen mehr, ihren Namen zu nennen, sich unmaskiert zu zeigen. Sie halten das Kalifat für ein Zukunftsmodell, wollen dort bleiben, brauchen dann auch Strafverfolgung in ihren Heimatstaaten nicht mehr zu fürchten.

Manche zeigen ihre Kinder, stellen sie der Welt als zukünftige Heilige Krieger oder Märtyrer vor. Da ist der Fall eines Australiers, über den der australische Premier Tony Abbott sich zutiefst angewidert äußerte angesichts „dieser Barbarei“: Das über Twitter verbreitete Foto aus Rakka in Nordost-Syrien zeigt einen vielleicht fünf bis sieben Jahre alten Jungen mit Polo-Hemd und Baseballkappe, der mit beiden Händen einen abgeschnittenen Kopf in die Höhe hält. Der Vater, auch er Mitkämpfer des Islamischen Staats, schrieb stolz darunter: „Das ist mein Sohn.“ Wahnsinnige im Heiligen Krieg.

Der Australier ist der australischen Justiz und Polizei bekannt. Khaled Scharouf war an der Planung von Attentaten in Melbourne und Sidney beteiligt, saß deshalb von 2009 an vier Jahre in Haft. Nach seiner Freilassung hatte er ein Ausreiseverbot; mit dem Reisepass seines Bruders kam der Islamist aber offenbar problemlos mit mehreren seiner Kinder durch die australischen Zollkontrollen. Er flog in die Türkei, ging wie Tausende andere Dschihad-Anwärter über die syrische Grenze und schloss sich dem Islamischen Staat an. Nun scheint er in Rakka zu leben, es ist die Hochburg des Islamischen Staats und zusammen mit dem irakischen Mossul so etwas wie eine Hauptstadt im jungen Kalifat-Staat, den die Militanten im Juli ausgerufen haben.

Für brutale Twitter-Nachrichten hat der australische Militante eine Vorliebe. Auf seinem Konto waren Fotos eines anderen Kämpfers aus Australien zu sehen, der ebenfalls abgetrennte Häupter syrischer Soldaten in die Kamera hielt. Auch die Söhne Scharoufs sind in den sozialen Netzwerken offenbar häufiger zu finden. Auf einem Foto sollen alle drei Kinder Gewehre in der Hand halten, vor der schwarzen Flagge des Islamischen Staats, dem Zeichen des Kalifats.

Der pseudoreligiös begründete Kindesmissbrauch ist bei den Dschihadisten offenbar populär. Arabische Medien berichteten über einen Mann aus Saudi-Arabien namens Nasser al-Schayek, der sich mit seinen beiden Söhnen auf den Weg ins Kalifat gemacht habe. Der Saudi hatte sich von seiner Ehefrau getrennt, sich mit den zwei Söhnen später zu einer angeblichen Urlaubsreise verabschiedet. Die Kinder hatte er da praktisch schon gekidnappt – statt an den Persischen Golf flog er in die Türkei. Von dort aus ging es über die syrische Grenze, später erschien sein Bild in den sozialen Netzwerken. Das Foto zeigt den Saudi lachend vor der schwarzen Flagge, seine Söhne vor sich. Sie halten jeder eine Kalaschnikow in der Hand, der eine dazu noch eine Handgranate.

Seine entsetzte Frau ließ der Dschihadist wissen, dass er sich dem IS angeschlossen habe und die Söhne nun „Paradiesvögel“ seien. Der poetische Begriff wird in der arabischen Welt für kleine Kinder verwendet, die durch einen Unfall, eine Krankheit sterben. Die „Märtyrerkinder“ Abed und Ahmed scheint aber etwas ganz anderes zu erwarten. Die Jungen „werden das nötige Training erhalten, bevor sie aufs Schlachtfeld geschickt werden“, hieß es in IS-nahen Netzwerken. Mit dem Schlachtfeld gemeint sein kann nur der Einsatz eines Elfjährigen und seines zehnjährigen Bruders als Selbstmordbomber in einer syrischen oder irakischen Stadt. Kinder als lebende Bomben.

Die Führer der Militanten sehen in Kindern Sprengsätze für Attentate in einem gottgefälligen Krieg, in dem einem Dschihadisten jedes Mittel erlaubt ist. Und die Einfältigen unter den Militanten – es sind die meisten – betrachten einen solchen Tod im Heiligen Krieg selbst für Kleinkinder als Ehre und Geschenk: Wer im Dschihad stirbt, kommt direkt ins Paradies.

Wie weit solches Denken verbreitet ist unter den radikalen Fundamentalisten, zeigt eine Dokumentation, die im Internet zu sehen ist. Ein Reporter der Agentur „Vice“ interviewt in Rakka mit Genehmigung des Islamischen Staats einen arabischen Militanten. Der Mann wendet sich im Lauf des Gesprächs seinem kleinen Sohn zu und fragt: „Was willst du später werden, Junge: Selbstmordbomber oder Dschihad-Kämpfer?“

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