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Die Häme der Männer

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Die britische Europaabgeordnete Sharon Bowles wagt den Angriff auf eine Bastion: Sie bewirbt sich für den Chefposten der Bank of England

Getuschelt wird viel in diesen Tagen über Sharon Bowles. Politikerkollegen und Banker halten die britische Europaabgeordnete für übergeschnappt. Bowles lässt das kalt. Sie hat gelernt, sich in Männerriegen durchzusetzen - egal ob in London, Brüssel oder Straßburg. Nun allerdings fordert sie die Platzhirsche in einem ganz besonderen Rückzugsgebiet heraus: Bowles will Chefin der britischen Notenbank, der Bank of England, werden. Sollte sie tatsächlich gekürt werden, wäre es das erste Mal, dass eine Frau an die Spitze der 318 Jahre alten Zentralbank rückt.



Wagt den Schritt in die Männerdomäne: Die britische Europaabgeordnete Sharon Bowles

'Ich bin unabhängig. Ich bin nicht von einer Bank oder aus der Londoner City', antwortet die 59-jährige Abgeordnete der Liberalen Partei auf die Frage, warum sie sich beworben hat - und lächelt charmant. Doch Kollegen bezeugen ihr einen eisernen Willen. So hat sie es auch geschafft, in die engere Auswahl, auf die sogenannte Shortlist für die Kandidatenkür zu kommen. Im Dezember will der konservative Finanzminister George Osborne bekannt geben, wer Nachfolger von Mervyn King wird, der sich in den Ruhestand verabschiedet. Es gibt mächtige Konkurrenten für Bowles: Lord Burns, Aufsichtsratsvorsitzender der britischen Niederlassung der spanischen Großbank Santander, Lord Turner, der Chef der Londoner Finanzaufsicht FSA, sowie Sir John Vickers, der Vorsitzende der Bankenreform-Kommission. Die besten Chancen werden allerdings Paul Tucker zugerechnet, dem Vizechef der Bank of England, obwohl der durch die Affäre um Manipulationen des Interbankenzinssatzes Libor belastet ist.

Doch die starke Konkurrenz ist für Bowles kein Grund, sich geschlagen zu geben. Im Gegenteil: Bei ihrem Vorstellungsgespräch im Finanzministerium habe sie mit 'intelligenten und schlagfertigen Antworten geglänzt', heißt es an der Themse. Da schwingt also auch Achtung für die Außenseiterin mit. Ein Insider beschreibt Bowles Strategie im Machtkampf um den Spitzenposten als 'shock and awe'-Strategie - also Schrecken und Ehrfurcht. So lässt die resolute Dame auch keinen Zweifel daran, dass sie von der 'versammelten akademischen Elite' in der Bank of England, die traditionell Oxford- oder Cambridge-Absolventen rekrutiert, nicht viel hält. Die Fachleute hätten jedenfalls bei der Vorhersage der Finanzkrise 2008 jämmerlich versagt, so Bowles. 'Wir brauchen ein starkes Signal für Veränderung in der City', lautet ihre Schlussfolgerung.

Die Europaabgeordnete, die Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses ist, macht deutlich, dass sie es besser könnte. Die gelernte Patentanwältin mit Studienabschlüssen in Mathematik und Physik plädiert für eine harte Regulierung der privaten Geschäftsbanken.

Keinen Hehl macht Bowles aus ihrer Überzeugung, dass sich die 'Old Lady von der Threadneedle Street', wie die Bank of England in Anspielung auf ihre Londoner Adresse genannt wird, in Zukunft mit der Europäischen Zentralbank eng abstimmen sollte. Für europaskeptische Tory-Politiker grenzt das schon fast an Ketzerei. Doch von solchen Vorwürfen lässt sich Bowles nicht einschüchtern. Sie gehört zu einer Minderheit von britischen Politikern, die sich noch offen als Europa-Fan ausgeben. Und ganz nebenbei nutzt sie ihre öffentlichen Auftritte immer wieder dazu, sich für mehr Frauen in Führungspositionen der Europäischen Zentralbank einzusetzen.

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