Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

São Paulo ertrinkt in Gewalt

$
0
0
Die Polizei in Brasiliens größter Stadt schafft es nicht, die Banden unter Kontrolle zu bringen. In den Favelas ist die Gewalt besonders groß.

Buenos Aires - Auch am Donnerstag erwachte São Paulo mit Horrormeldungen, es ist schon Routine. Zeitungen und Fernsehen zeigten Bilder wie diesen mit Blut gefleckten Steinboden der Bar Vila Michelina im Süden. Am Mittwochabend waren Unbekannte mit einem Motorrad vorgefahren und hatten in eine Gruppe geschossen, die einer Band zuhörte. Zwei Männer und eine Frau starben. In anderen Vierteln endeten Schießereien zwischen Militärpolizei und Kriminellen mit vier Toten. Nach Mitternacht wurde dann in Franco de Rocha im Norden der Metropole die Busfahrerin Odete Lino dos Santos getötet. Elf Ermordete und acht Verletzte zählten die Behörden binnen acht Stunden in Brasiliens größter Stadt.



Tagtägliche Gewalt: Polizisten unterwegs in den Favelas von São Paulo

Das erinnert an eine düstere Vergangenheit, dabei war die Megalopolis jahrelang ziemlich friedlich. Ende der neunziger Jahre galt São Paulo als gefährlich, danach ging die Gewalt erheblich zurück. Zuletzt zählte das Häusermeer mit seinen 20 Millionen Einwohnern zu den sichersten Gegenden des Landes. Nun wurden dort allein im Oktober 253 Morde registriert, fast doppelt so viele wie ein Jahr zuvor, die meisten in den Randbezirken. 2012 sind es im gesamten Bundesstaat bereits 4100 Tote, unter ihnen 95 Polizisten. 'Im Großraum São Paulo werden mehr Menschen umgebracht als bei den Attacken in Gaza', glaubt der brasilianische Kabinettschef Gilberto Carvalho. Den Vergleich hält der oppositionelle Gouverneur Geraldo Alckmin zwar für unglücklich, aber inzwischen muss auch er zugeben, dass sein Revier ein Problem hat. Lange hatte Alckmin beschwichtigt, die Lage beruhige sich bald wieder. Am Mittwoch jedoch trat sein Sicherheitsbeauftragter zurück, denn seine Strategie ist offenbar ein Desaster.

Zu Jahresbeginn ging die Regionalregierung in eine umstrittene Offensive gegen die Verbrecherorganisation PCC. Dieses Primeiro Comando da Cidade, das 'Erste Kommando der Stadt', entstand 1993, nachdem Polizisten im Gefängnis von Carandiru 111 Häftlinge massakriert hatten. Die meisten Gangs Brasiliens fanden in Haftanstalten zusammen. Unterdessen verdient das PCC mit Drogenhandel und anderen Delikten, die Bande beherrscht den Rauschgiftverkauf in São Paulo. Ihre Basis haben die Gangster ähnlich wie die Kollegen in Rio de Janeiro in den Armenvierteln, den Favelas. Die Staatsgewalt kam da nur gelegentlich vorbei, die Korruption verbindet manche Delinquenten und Staatsdiener sogar. Jetzt herrscht wieder Krieg, fast wie im Mai 2006.

Damals hatten die PCC-Verbrecher Brasiliens Finanz- und Industriezentrum nahezu lahm gelegt. Nun wiederholt sich die Schlacht in Ansätzen. Gejagt wird die PCC vor allem von der Militärpolizei und einer Spezialeinheit namens Rota, das martialische Sonderkommando erinnert an die Elitetruppe Bope aus Rio. Im Zweifel erschießen die Rota-Leute Verdächtige, statt sie festzunehmen. Das PCC richtet im Gegenzug Polizisten hin, bei Razzien fanden Fahnder Listen mit Namen und Adressen von Opfern. Die Militärpolizistin Marta Umbelina da Silva, 44, zum Beispiel wurde vor ihrer Haustür erschossen. Neben ihrer Tochter, die so schockiert ist, dass sie nicht einmal mit Psychologen über die Tat sprechen kann.

Menschenrechtler sind entsetzt, das aufstrebende Brasilien leidet ohnehin unter einem Exzess an Schusswaffen. 'Wir kehren in eine Zeit zurück, in der man dachte, man könne das Verbrechen allein mit Kugeln bekämpfen', klagt Luciana Guimarães, vom Institut Sou da Paz (Ich bin des Friedens). Das PCC hat nach Schätzungen mehr als 1300 Mitglieder und führt seine Geschäfte mit Mobiltelefonen auch aus Zellen. Ein PCC-Anführer, Francisco Antonio Cesário da Silva alias Piauí, wurde kürzlich in eine Haftanstalt nach Porto Velho im Amazonasgebiet verlegt. Die Gefängnisse von São Paulo, so heißt es, seien fest in der Hand des PCC.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345