Es gibt viele gute Gründe, in die Schweiz zu fahren. In Großbritannien hat der Ausdruck „Going to Switzerland“ allerdings mittlerweile einen makabren Beigeschmack bekommen: Er ist ein Euphemismus dafür, in der Schweiz mittels Sterbehilfe den Tod zu suchen. Dort bieten inzwischen sechs Organisationen den „assistierten Suizid“ an. Anders als in den meisten Ländern ist die Sterbehilfe weder ausdrücklich verboten, noch ist genau festgelegt – wie etwa in den Niederlanden oder im US-Staat Oregon – unter welchen Umständen sie gesetzlich gestattet werden kann.
Im Nebel untergetaucht - Sterbewillige reisen öfter in die Schweiz
Rechtsmediziner und Juristen der Universität Zürich haben den „Suizid-Tourismus“ der vergangenen Jahre untersucht und detaillierte Zahlen erhoben. Die Motivation für ihre Arbeit kann man durchaus im Alltag der Wissenschaftler finden: 950Fälle von assistiertem Suizid sind allein für den Kanton Zürich für den Zeitraum von 2008 bis 2012 verzeichnet. Da jeder dieser Todesfälle eine juristische Abklärung inklusive rechtsmedizinischer Untersuchung nach sich zieht, sind die Ärzte „fast jeden Tag mit assistiertem Suizid konfrontiert“. Zudem kostet die Bearbeitung pro Fall ungefähr 3000 Schweizer Franken – die nicht von den Gebühren gedeckt werden, die Sterbewillige an die jeweilige Organisation entrichten müssen.
Die Analyse der Wissenschaftler um Saskia Gauthier, die an diesem Donnerstag im Journal of Medical Ethics (online) erscheint, hat in den fünf Jahren zwischen 2008 und 2012 insgesamt 611 Fälle von Suizid-Tourismus aus dem Ausland im Kanton Zürich aufgeführt, Tendenz steigend. Da fast alle Sterbewilligen sich an Dignitas wendeten, die ihren Hauptsitz in Pfäffikon im Kanton Zürich haben, dürften damit die meisten assistierten Suizide in der Gesamtschweiz erfasst sein.
Die Mehrzahl der Sterbewilligen im Untersuchungszeitraum kam aus Deutschland (268) und Großbritannien (126). Auch aus Frankreich (66), Italien (44), den USA (21), Österreich (15) und Kanada (12) sind immer wieder Menschen zum Sterben in die Schweiz gekommen. Von 2008 auf 2009 sank die Anzahl der sterbewilligen Ausländer in der Schweiz, was die Wissenschaftler vor allem auf die Berichterstattung über vier qualvolle Todesfälle zurückführen. Mit dem Kopf in Plastiksäcken, die mit Helium gefüllt waren, hätten die Sterbewilligen friedlich und schnell ersticken sollen. Als „fast nicht zumutbar“ bezeichnete der leitende Oberstaatsanwalt seinerzeit die Videobilder von Sterbenden, die sich „mehrere zehn Minuten lang“ bewegt hätten.In allen anderen Fällen wurde das rezeptpflichtige Pentobarbital als Hauptbestandteil tödlicher Medikamente verwendet.
Seit 2009 sind von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen zum Sterben in die Schweiz gefahren. Waren es 2009 noch 86, die dort den Tod suchten, wurden im Kanton Zürich 2011 schon 140 Fälle registriert – 2012 hatte sich die Anzahl mit 172 Sterbewilligen im Vergleich zu 2009 sogar verdoppelt. 2009 suchten aus Deutschland 37Menschen Sterbehilfe in der Schweiz, 2012 waren es 77 Personen.
Bemerkenswert ist auch, dass der größte Anteil der Sterbewilligen nicht an Tumoren, sondern an schweren neurologischen Leiden wie Lähmungen, Parkinson, Multipler Sklerose oder Amyotropher Lateralsklerose erkrankt war. Diese Erkrankungen gaben 47 Prozent der Sterbewilligen an, während 37 Prozent eine unheilbare Krebserkrankung als Grund nannten, warum sie nicht mehr leben wollten. Rheumatische Erkrankungen mit starken Schmerzen waren eine weitere häufig genannte Ursache.
Die Schweizer Autoren postulieren in ihrer Auswertung, dass der zunehmende Sterbehilfe-Tourismus in den besonders betroffenen Herkunftsländern – Deutschland, Großbritannien und Frankreich – zu Regulierungsvorschlägen geführt hätte. In Deutschland, wo die Musterberufsordnung für Ärzte Beihilfe zur Selbsttötung untersagt, wurde ein Gesetzentwurf zur Regelung der Sterbehilfe aus dem Herbst 2012 allerdings fallengelassen. Umfragen hatten ergeben, dass drei Viertel der Bevölkerung nicht zugestimmt hätten.
Charles Foster von der Universität Oxford lobt zwar die Auswertung der Schweizer Autoren, ist aber bezogen auf Großbritannien nicht der Meinung, dass der Sterbehilfe-Tourismus die Gesetze geändert habe – sondern allenfalls die Einstellung. „Die öffentliche Meinung wird mit der Zeit liberaler, schon aus Gewöhnung“, sagt Foster. „Zudem wächst die Wahrnehmung dafür, dass es intellektuell und moralisch langsam unbequem wird, ein anderes Land die Drecksarbeit machen zu lassen.“
Für Alison Twycross sind in der Diskussion um Sterbehilfe nicht neue Gesetze nötig, sondern eine bessere Betreuung am Lebensende. „Gute Palliativmedizin ist nicht billig und in Zeiten immer neuer Sparzwänge im Gesundheitswesen nicht leicht zu haben“, schreibt die Herausgeberin einer Pflegezeitschrift. Die meisten Schwerkranken hätten Angst vor Schmerzen und unzureichender Versorgung und würden nur deshalb auf den Gedanken an Sterbehilfe kommen. Ließen die Gesetze assistierten Suizid zu, würden viele vernachlässigte alte und kranke Menschen unter Druck geraten, ihrem Leben auf diese Weise ein Ende zu setzen. „Autonomie ist wichtig“, schreibt sie. „Aber wenn es um Leben und Tod geht, kann man nicht die Freiheit für wenige erreichen, ohne der Mehrheit Schutz und Sicherheit zu nehmen.“
Im Nebel untergetaucht - Sterbewillige reisen öfter in die Schweiz
Rechtsmediziner und Juristen der Universität Zürich haben den „Suizid-Tourismus“ der vergangenen Jahre untersucht und detaillierte Zahlen erhoben. Die Motivation für ihre Arbeit kann man durchaus im Alltag der Wissenschaftler finden: 950Fälle von assistiertem Suizid sind allein für den Kanton Zürich für den Zeitraum von 2008 bis 2012 verzeichnet. Da jeder dieser Todesfälle eine juristische Abklärung inklusive rechtsmedizinischer Untersuchung nach sich zieht, sind die Ärzte „fast jeden Tag mit assistiertem Suizid konfrontiert“. Zudem kostet die Bearbeitung pro Fall ungefähr 3000 Schweizer Franken – die nicht von den Gebühren gedeckt werden, die Sterbewillige an die jeweilige Organisation entrichten müssen.
Die Analyse der Wissenschaftler um Saskia Gauthier, die an diesem Donnerstag im Journal of Medical Ethics (online) erscheint, hat in den fünf Jahren zwischen 2008 und 2012 insgesamt 611 Fälle von Suizid-Tourismus aus dem Ausland im Kanton Zürich aufgeführt, Tendenz steigend. Da fast alle Sterbewilligen sich an Dignitas wendeten, die ihren Hauptsitz in Pfäffikon im Kanton Zürich haben, dürften damit die meisten assistierten Suizide in der Gesamtschweiz erfasst sein.
Die Mehrzahl der Sterbewilligen im Untersuchungszeitraum kam aus Deutschland (268) und Großbritannien (126). Auch aus Frankreich (66), Italien (44), den USA (21), Österreich (15) und Kanada (12) sind immer wieder Menschen zum Sterben in die Schweiz gekommen. Von 2008 auf 2009 sank die Anzahl der sterbewilligen Ausländer in der Schweiz, was die Wissenschaftler vor allem auf die Berichterstattung über vier qualvolle Todesfälle zurückführen. Mit dem Kopf in Plastiksäcken, die mit Helium gefüllt waren, hätten die Sterbewilligen friedlich und schnell ersticken sollen. Als „fast nicht zumutbar“ bezeichnete der leitende Oberstaatsanwalt seinerzeit die Videobilder von Sterbenden, die sich „mehrere zehn Minuten lang“ bewegt hätten.In allen anderen Fällen wurde das rezeptpflichtige Pentobarbital als Hauptbestandteil tödlicher Medikamente verwendet.
Seit 2009 sind von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen zum Sterben in die Schweiz gefahren. Waren es 2009 noch 86, die dort den Tod suchten, wurden im Kanton Zürich 2011 schon 140 Fälle registriert – 2012 hatte sich die Anzahl mit 172 Sterbewilligen im Vergleich zu 2009 sogar verdoppelt. 2009 suchten aus Deutschland 37Menschen Sterbehilfe in der Schweiz, 2012 waren es 77 Personen.
Bemerkenswert ist auch, dass der größte Anteil der Sterbewilligen nicht an Tumoren, sondern an schweren neurologischen Leiden wie Lähmungen, Parkinson, Multipler Sklerose oder Amyotropher Lateralsklerose erkrankt war. Diese Erkrankungen gaben 47 Prozent der Sterbewilligen an, während 37 Prozent eine unheilbare Krebserkrankung als Grund nannten, warum sie nicht mehr leben wollten. Rheumatische Erkrankungen mit starken Schmerzen waren eine weitere häufig genannte Ursache.
Die Schweizer Autoren postulieren in ihrer Auswertung, dass der zunehmende Sterbehilfe-Tourismus in den besonders betroffenen Herkunftsländern – Deutschland, Großbritannien und Frankreich – zu Regulierungsvorschlägen geführt hätte. In Deutschland, wo die Musterberufsordnung für Ärzte Beihilfe zur Selbsttötung untersagt, wurde ein Gesetzentwurf zur Regelung der Sterbehilfe aus dem Herbst 2012 allerdings fallengelassen. Umfragen hatten ergeben, dass drei Viertel der Bevölkerung nicht zugestimmt hätten.
Charles Foster von der Universität Oxford lobt zwar die Auswertung der Schweizer Autoren, ist aber bezogen auf Großbritannien nicht der Meinung, dass der Sterbehilfe-Tourismus die Gesetze geändert habe – sondern allenfalls die Einstellung. „Die öffentliche Meinung wird mit der Zeit liberaler, schon aus Gewöhnung“, sagt Foster. „Zudem wächst die Wahrnehmung dafür, dass es intellektuell und moralisch langsam unbequem wird, ein anderes Land die Drecksarbeit machen zu lassen.“
Für Alison Twycross sind in der Diskussion um Sterbehilfe nicht neue Gesetze nötig, sondern eine bessere Betreuung am Lebensende. „Gute Palliativmedizin ist nicht billig und in Zeiten immer neuer Sparzwänge im Gesundheitswesen nicht leicht zu haben“, schreibt die Herausgeberin einer Pflegezeitschrift. Die meisten Schwerkranken hätten Angst vor Schmerzen und unzureichender Versorgung und würden nur deshalb auf den Gedanken an Sterbehilfe kommen. Ließen die Gesetze assistierten Suizid zu, würden viele vernachlässigte alte und kranke Menschen unter Druck geraten, ihrem Leben auf diese Weise ein Ende zu setzen. „Autonomie ist wichtig“, schreibt sie. „Aber wenn es um Leben und Tod geht, kann man nicht die Freiheit für wenige erreichen, ohne der Mehrheit Schutz und Sicherheit zu nehmen.“