Als die Kanzlerin vorfährt, ist der Widerstand schon längst da – fast so wie früher. Kürzlich in Lindau, an einer Mauer gegenüber der „Inselhalle“ hängen Plakate. Eines zeigt die Kanzlerin auf einem Panzer. „Merkels marktkonforme Demokratie“, so steht da zu lesen, „bedeutet Terror der Ökonomie.“ Andere Banner fordern Wirtschaftsnobelpreisträger auf, sich zu schämen für ihre neoliberalen Gedanken, wieder andere fragen: „Ist Ethik ein Fremdwort in den Wirtschaftswissenschaften?“ Wenn die globale Ökonomen-Elite sich alle paar Jahre in Lindau versammelt, zumal in Anwesenheit der Kanzlerin, dann ist die Welt für die Kapitalismuskritiker von Attac wieder wie früher. Oder fast wie früher.
Hinter den Plakaten ist die Stimmung mäßig. Lothar Höfler steht da, 70 Jahre alt, einer der Köpfe von Attac in Lindau. Vor zehn Jahren hatte sich die Gruppe dort gebildet, damals im Kampf gegen die Privatisierung eines Krankenhauses. Heute zählen die Nobelpreisträger-Treffen am Bodensee zu den seltenen Highlights. „Der erste Reiz ist weg“, sagt Löffler. „Jetzt kommt die Knochenarbeit.“ Es gebe Veranstaltungen, da kriege man mit Mühe ein Dutzend Leute zusammen. „Die Leute kriegen den Hintern nicht mehr hoch“, klagt der Aktivist.
Manche Forderungen von einst sind inzwischen Gemeingut.
Wie anders war das zu Beginn des Jahrtausends. Nach dem Liberalisierungs-Jahrzehnt der Neunziger hatte sich weltweiter Protest gegen eine zügellose Globalisierung formiert. Einen Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle hatten Demonstranten schon Ende 1999 vereitelt. In Genua machten sie im Sommer 2001 einen G-8-Gipfel zum Schauplatz des Protestes. Attac, ursprünglich gegründet zur Durchsetzung einer Finanztransaktionssteuer, wurde zu einem der entscheidenden Sprachrohre dieser Bewegung, zur Avantgarde der Kapitalismuskritik. In Deutschland wurde sie später noch befeuert durch Montagsdemos und den Widerstand gegen die Hartz-Reformen.
Und heute? „Attac ist fast gesichtslos geworden“, sagt Peter Grottian, emeritierter Politologe und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac. „Es gibt kaum noch Kampagnen, die wirklich verfangen.“ Grundsätzlich sei es schwerer geworden, Leute zum Bohren dicker Bretter zu motivieren, erst recht für soziale Belange. Mal abgesehen davon, dass manches dicke Brett schon zu Beginn des Jahrtausends überraschend schnell Löcher bekam.
Die Steuer auf Finanztransaktionen, die sich heute noch hinter dem Akronym „Attac“ verbirgt, forderte 2001 plötzlich auch die französische Regierung und kurz darauf der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Später wurde sie zu einer der bevorzugten Lehren aus der Finanzkrise. Der Kampf gegen Steueroasen, seinerzeit ein Kernanliegen der Globalisierungskritiker, steht mittlerweile auf der Tagesordnung von G-8-Gipfeln. Das letzte größere Privatisierungsvorhaben hierzulande, der Börsengang der Deutschen Bahn, ging 2008 grandios baden – nach massiven Protesten auch von Attac und unter tätiger Mithilfe der Finanzkrise.
Wo aber neue große Konflikte entstehen, etwa um umstrittene Freihandelsabkommen wie das transatlantische TTIP, ist Attac nur noch eine Stimme unter vielen neben Linkspartei und Grünen, Künstlerverbänden oder Gewerkschaften. „Trotzdem agiert Attac weiter wie eh und je“, sagt Sven Giegold, einst Mitgründer von Attac und heute Grünen-Abgeordneter im Europaparlament. „Das kann keinen neuen Aufbruch bringen.“ Attac werde sich jedenfalls nicht dadurch mehr Gehör finden, dass es lauter schreie als andere, so der Europa-Parlamentarier.
Die Konkurrenz ist mittlerweile groß, nicht selten reifte sie sogar in den eigenen Reihen. Etwa die „Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit“, die auch vielen Attac-Mitgliedern eine parteipolitische Heimat bot und später in der Linkspartei aufging. Oder die Kampagnenorganisation Campact, die Widerstand im Internet organisiert: Mit ihren Mailaktionen erreicht sie mittlerweile locker 1,4 Millionen potenzielle Unterstützer, ob gegen TTIP oder Fracking. Die Zentrale ist in jenem Ökozentrum in Verden an der Aller untergebracht, in dem einst Attac entstanden war.
Doch während Campact öffentlichen Widerstand organisiert, verzettelt sich Attac in langen inhaltlichen Diskussionen über Was und Wie und Wann. Entscheidungen fallen nur im Konsens, egal ob im Koordinierungskreis oder in der Mitgliederversammlung, dem so genannten „Ratschlag“. Besonders dynamisch macht das die Arbeit nicht. Eine Reihe von „Attacis“ will deshalb beim nächsten Ratschlag eine unabhängige Evaluierung beantragen, um eigene Schwächen aufzuspüren.
Es wäre ein neues Kapitel einer Sinnsuche, die schon seit mehr als sieben Jahren währt. Damals traten die letzten Vertreter des alten Koordinationskreises ab, viele von ihnen hatten sich in den Anfangsjahren profiliert. Bekannte Gesichter verschwanden, unbekannte übernahmen. „Das war damals eine bewusste Entscheidung“, sagt Jutta Sundermann, seit Jahren Mitglied in der Attac-Spitze. „Ob es richtig war, weiß ich nicht.“ Immerhin wachse Attac mit seinen mehr als 27000 Mitgliedern weiter, gebe es überall im Land Ortsgruppen, organisiere das Netzwerk Bildungsveranstaltungen wie die „Sommeruniversität“. Insgesamt aber sei die Arbeit mühsamer geworden. Muss sich Attac womöglich stärker professionalisieren? „Das ist eine sehr gute Frage“, sagt Sundermann.
Attac-Vordenker wie Giegold, bis 2005 selbst im „Ko-Kreis“, fordern genau das. „Entweder, die Organisation wird kapitalismuskritisch und erweitert den Gründungskonsens gegen den Neoliberalismus, oder sie professionalisiert sich, wird pragmatischer und konzentriert sich stärker auf Kampagnen, wie es viele Umweltverbände auch tun“, sagt er. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass Attac weiterdümpelt.“
In Lindau ist zumindest in jenen Nobelpreisträger-Tagen von Dümpelei nicht viel zu spüren. Am Abend lädt Attac zu einer Podiumsdiskussion, es geht drei Stunden lang um das Versagen des Kapitalismus im Allgemeinen und die Rolle der Banken im Speziellen. Der Saal ist proppenvoll.
Hinter den Plakaten ist die Stimmung mäßig. Lothar Höfler steht da, 70 Jahre alt, einer der Köpfe von Attac in Lindau. Vor zehn Jahren hatte sich die Gruppe dort gebildet, damals im Kampf gegen die Privatisierung eines Krankenhauses. Heute zählen die Nobelpreisträger-Treffen am Bodensee zu den seltenen Highlights. „Der erste Reiz ist weg“, sagt Löffler. „Jetzt kommt die Knochenarbeit.“ Es gebe Veranstaltungen, da kriege man mit Mühe ein Dutzend Leute zusammen. „Die Leute kriegen den Hintern nicht mehr hoch“, klagt der Aktivist.
Manche Forderungen von einst sind inzwischen Gemeingut.
Wie anders war das zu Beginn des Jahrtausends. Nach dem Liberalisierungs-Jahrzehnt der Neunziger hatte sich weltweiter Protest gegen eine zügellose Globalisierung formiert. Einen Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle hatten Demonstranten schon Ende 1999 vereitelt. In Genua machten sie im Sommer 2001 einen G-8-Gipfel zum Schauplatz des Protestes. Attac, ursprünglich gegründet zur Durchsetzung einer Finanztransaktionssteuer, wurde zu einem der entscheidenden Sprachrohre dieser Bewegung, zur Avantgarde der Kapitalismuskritik. In Deutschland wurde sie später noch befeuert durch Montagsdemos und den Widerstand gegen die Hartz-Reformen.
Und heute? „Attac ist fast gesichtslos geworden“, sagt Peter Grottian, emeritierter Politologe und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von Attac. „Es gibt kaum noch Kampagnen, die wirklich verfangen.“ Grundsätzlich sei es schwerer geworden, Leute zum Bohren dicker Bretter zu motivieren, erst recht für soziale Belange. Mal abgesehen davon, dass manches dicke Brett schon zu Beginn des Jahrtausends überraschend schnell Löcher bekam.
Die Steuer auf Finanztransaktionen, die sich heute noch hinter dem Akronym „Attac“ verbirgt, forderte 2001 plötzlich auch die französische Regierung und kurz darauf der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Später wurde sie zu einer der bevorzugten Lehren aus der Finanzkrise. Der Kampf gegen Steueroasen, seinerzeit ein Kernanliegen der Globalisierungskritiker, steht mittlerweile auf der Tagesordnung von G-8-Gipfeln. Das letzte größere Privatisierungsvorhaben hierzulande, der Börsengang der Deutschen Bahn, ging 2008 grandios baden – nach massiven Protesten auch von Attac und unter tätiger Mithilfe der Finanzkrise.
Wo aber neue große Konflikte entstehen, etwa um umstrittene Freihandelsabkommen wie das transatlantische TTIP, ist Attac nur noch eine Stimme unter vielen neben Linkspartei und Grünen, Künstlerverbänden oder Gewerkschaften. „Trotzdem agiert Attac weiter wie eh und je“, sagt Sven Giegold, einst Mitgründer von Attac und heute Grünen-Abgeordneter im Europaparlament. „Das kann keinen neuen Aufbruch bringen.“ Attac werde sich jedenfalls nicht dadurch mehr Gehör finden, dass es lauter schreie als andere, so der Europa-Parlamentarier.
Die Konkurrenz ist mittlerweile groß, nicht selten reifte sie sogar in den eigenen Reihen. Etwa die „Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit“, die auch vielen Attac-Mitgliedern eine parteipolitische Heimat bot und später in der Linkspartei aufging. Oder die Kampagnenorganisation Campact, die Widerstand im Internet organisiert: Mit ihren Mailaktionen erreicht sie mittlerweile locker 1,4 Millionen potenzielle Unterstützer, ob gegen TTIP oder Fracking. Die Zentrale ist in jenem Ökozentrum in Verden an der Aller untergebracht, in dem einst Attac entstanden war.
Doch während Campact öffentlichen Widerstand organisiert, verzettelt sich Attac in langen inhaltlichen Diskussionen über Was und Wie und Wann. Entscheidungen fallen nur im Konsens, egal ob im Koordinierungskreis oder in der Mitgliederversammlung, dem so genannten „Ratschlag“. Besonders dynamisch macht das die Arbeit nicht. Eine Reihe von „Attacis“ will deshalb beim nächsten Ratschlag eine unabhängige Evaluierung beantragen, um eigene Schwächen aufzuspüren.
Es wäre ein neues Kapitel einer Sinnsuche, die schon seit mehr als sieben Jahren währt. Damals traten die letzten Vertreter des alten Koordinationskreises ab, viele von ihnen hatten sich in den Anfangsjahren profiliert. Bekannte Gesichter verschwanden, unbekannte übernahmen. „Das war damals eine bewusste Entscheidung“, sagt Jutta Sundermann, seit Jahren Mitglied in der Attac-Spitze. „Ob es richtig war, weiß ich nicht.“ Immerhin wachse Attac mit seinen mehr als 27000 Mitgliedern weiter, gebe es überall im Land Ortsgruppen, organisiere das Netzwerk Bildungsveranstaltungen wie die „Sommeruniversität“. Insgesamt aber sei die Arbeit mühsamer geworden. Muss sich Attac womöglich stärker professionalisieren? „Das ist eine sehr gute Frage“, sagt Sundermann.
Attac-Vordenker wie Giegold, bis 2005 selbst im „Ko-Kreis“, fordern genau das. „Entweder, die Organisation wird kapitalismuskritisch und erweitert den Gründungskonsens gegen den Neoliberalismus, oder sie professionalisiert sich, wird pragmatischer und konzentriert sich stärker auf Kampagnen, wie es viele Umweltverbände auch tun“, sagt er. „Andernfalls besteht die Gefahr, dass Attac weiterdümpelt.“
In Lindau ist zumindest in jenen Nobelpreisträger-Tagen von Dümpelei nicht viel zu spüren. Am Abend lädt Attac zu einer Podiumsdiskussion, es geht drei Stunden lang um das Versagen des Kapitalismus im Allgemeinen und die Rolle der Banken im Speziellen. Der Saal ist proppenvoll.