Dieser Schatten vor dem Schaufenster, in der blauen Stunde der Hamburger Dämmerung. Steht da wer? Auf dem Kopfsteinpflaster hinter dem Bahnhof spiegelt sich Neonlicht: Videoshow-Pink. Erotikclub-Gelb.
Der Kragen seiner schweren Jacke ist hochgeschlagen, gegen den Regen und gegen die Zeit. Der Mann muss warten, bis sich gegenüber was tut, in der versteckt liegenden Moschee. Aber könnte er sagen, worauf? Und weiß er, dass er ein Dinosaurier ist, kurz vor dem Aussterben, der Letzte seiner Art?
Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle.
Günther Bachmann ist ein deutscher Geheimdienstmann. Für Männer wie ihn muss einst das Wort „Schlapphut“ erfunden worden sein. Längst klingt es wie aus der Zeit gefallen – genau wie Spione, die wirklich noch im Nieselregen draußen stehen und den Kragen hochschlagen. Statt einfach, omnipräsent und entspannt, im Hightechbüro in ihren Sesseln zu lümmeln und durch gehackte Smartphones in die Schlafzimmer ihrer Opfer zu starren.
Dieser Bachmann war jedenfalls einst in Beirut und hat dabei zu viel gesehen. Jetzt muss er im Inland weiterspionieren. Auch die Lage erfordert es. Denn in den Hamburger Moscheen beten vielleicht Attentäter, neue Dschihadisten könnten dort heranreifen. Was nun wirklich niemanden wundern würde, siehe Mohammed Atta. Siehe auch: 9/11, die Vorgeschichte.
Philip Seymour Hoffman stattet diesen deutschen Helden – denn ein solcher ist er zweifellos, auch noch und sogar besonders am Ende der Geschichte – mit seiner einzigartigen Präsenz aus. Was man hier wirklich ein Geschenk nennen muss.
Wenn er so vor der Moschee lauert und schließlich den jungen Informanten herauskommen sieht, den er mühevoll angeworben hat, sie beide in einen Kiosk gehen, ohne sich anzuschauen, und unter der Hand ein Päckchen Zigaretten austauschen, das dann geheime Informationen enthält – da spürt man eine große Romantik, ja fast schon ein blutendes Herz.
So war sie einmal, die Geheimdienstarbeit. Persönlich, fußläufig, nur durch Kreppsohlen vom Boden der Tatsachen getrennt. Alles dagegen, was heute ist – Massenabhörwahn, Drohnenkrieg, Big Data – wirkt dagegen wie die reinste Barbarei.
So zumindest suggerieren es der britische Schriftsteller John le Carré in seiner Romanvorlage und der holländische Regisseur Anton Corbijn, die sich für die Verfilmung von „A Most Wanted Man“ zu einem kongenialen Nostalgie-Gespann zusammengefunden haben.
Und wer weiß: Vielleicht hat John le Carré, der als junger Agent des Secret Service einmal selbst in Hamburg stationiert war, tatsächlich manch geheime Zigarettenschachtelbotschaft im Rotlicht des Bahnhofsviertels ausgetauscht. Davon will er jedenfalls erzählen, auch mehr als fünfzig Jahre nach der Erfindung seines Meisterspions George Smiley und nach „Der Spion, der aus der Kälte kam“, seinem Durchbruch und Welterfolg.
Nur heute sind es eben interessanterweise die Deutschen, denen le Carré solch ehrlich-unzeitgemäße Geheimdienstarbeit noch zutraut. Die Amerikaner, hier verkörpert von Robin Wright, verbindlich im Ton, aber am Ende völlig skrupellos, schweben in ihren Cybersphären und greifen am Ende nur rachsüchtig die Ergebnisse ab. Die Briten wiederum sind derart von den Amerikanern dominiert, dass sie es aus dem Roman gar nicht mehr in den Film geschafft haben.
Günther Bachmann dagegen würde man die spezielle Agentenfähigkeit noch zutrauen, die George Smiley immer ausgezeichnet hat – innerhalb von Sekunden in einer Menschenmenge zu verschwinden. Vielleicht ist er kein legitimer Nachfolger, aber ein illegitimer. Dazu passt, dass seine Einheit nicht mal einen Namen hat. „Wir existieren nicht“, sagt Bachmann. Auch le Carré weiß, dass deutsche Spione nicht einfach in Hamburg anwenden können, was sie in Beirut gelernt haben.
Im konkreten Fall geht es darum, einem besonders angesehenen und moderaten Imam, der keineswegs Hass predigt, eine Falle zu stellen – weil aus seinem engsten Kreis die Information kommt, dass er mit Spendengeldern Terroristen finanziert. Nun braucht es Beweise, und dafür kommt ein gläubiger und zugleich völlig unschuldiger Tschetschene ins Spiel, der Asyl sucht und als Schachfigur missbraucht wird – mit ihm, hat le Carré gesagt, wollte er dem Guantanamo-Opfer Murat Kurnaz eine Art Denkmal setzen.
Mit unter die Räder geraten eine deutsche Asylanwältin (Rachel McAdams) und ein Hamburger Bankier mit Gewissensbissen (Willem Dafoe). Bachmann aber ist der Schachspieler, unterstützt von tollen Kollegen (Nina Hoss, Daniel Brühl), die alles für ihn tun würden. Weil er, trotz seiner illegalen und zum Teil recht rabiaten Methoden, niemanden vernichten will. Umdrehen, die Täter auf die andere Seite ziehen, darum geht es. Alte George-Smiley-Schule. Aber auch Smiley konnte nie sicher sein, dass er nicht selbst nur eine Schachfigur war, in einem noch größeren Spiel.
Wenn man Philip Seymour Hoffman jetzt in dieser Rolle sieht, kann man das natürlich nicht mehr trennen von dem Wissen, dass der Schauspieler zum Zeitpunkt der Dreharbeiten heroinabhängig war. Dass er – nach vielen Jahren ohne Drogen, unbemerkt selbst von den Kollegen am Set – rückfällig geworden war. Und dass ihn diese Sucht, im Februar in New York, das Leben kosten würde.
Aber diese bodenlos tiefe Erschöpfung, die man zu spüren glaubt, wenn seine Augen in diesem Film manchmal leer werden – ist das wirklich nur die Figur oder Einbildung im Nachhinein? Dieser Weltekel in seinem Blick, dieses Immer-wieder-Aufraffen nach der letzten Niederlage? Da schwingen doch erstaunliche Resonanzen mit, die widerhallen in der Realität dieses hochbegabten, furchtlosen, unbedingten und viel zu kurzen Lebens.
Andererseits strahlt auch ein Kampfgeist aus dieser Performance. Eine starrköpfige Weigerung, den anderen einfach das Feld zu überlassen – all den Nichtskönnern und Schleimscheißern, den vorsichtigen Zynikern und den Lügnern, deren Wort nichts zählt und denen ein zerstörtes Menschenleben nicht mehr wert ist als ein Schulterzucken. Auch die gibt es ja überall, nicht nur in Geheimdienstkreisen.
Günther Bachmann, am Ende unter Druck von seinen Vorgesetzten und Kollegen und von den Amerikanern und eigentlich von allen Seiten, weigert sich, einfach so abzutreten. Er will es noch einmal wissen. Das wird zwar nichts ändern, aber es wird sein Erbe sein.
Die letzte Sequenz, in der diesem Mann buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen wird, von Kräften, die so viel stärker sind als er selbst – sie fällt nun zusammen mit dem Abschied eines großen Schauspielers. Und fügt dem Werk von Philip Seymour Hoffman noch einmal ein unauslöschliches Bild hinzu.
A Most Wanted Man, GB/D 2014 – Regie: Anton Corbijn. Buch: Andrew Bovell. Kamera: Benoît Delhomme. Mit Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Willem Dafoe. Senator, 122 Minuten.
Der Kragen seiner schweren Jacke ist hochgeschlagen, gegen den Regen und gegen die Zeit. Der Mann muss warten, bis sich gegenüber was tut, in der versteckt liegenden Moschee. Aber könnte er sagen, worauf? Und weiß er, dass er ein Dinosaurier ist, kurz vor dem Aussterben, der Letzte seiner Art?
Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle.
Günther Bachmann ist ein deutscher Geheimdienstmann. Für Männer wie ihn muss einst das Wort „Schlapphut“ erfunden worden sein. Längst klingt es wie aus der Zeit gefallen – genau wie Spione, die wirklich noch im Nieselregen draußen stehen und den Kragen hochschlagen. Statt einfach, omnipräsent und entspannt, im Hightechbüro in ihren Sesseln zu lümmeln und durch gehackte Smartphones in die Schlafzimmer ihrer Opfer zu starren.
Dieser Bachmann war jedenfalls einst in Beirut und hat dabei zu viel gesehen. Jetzt muss er im Inland weiterspionieren. Auch die Lage erfordert es. Denn in den Hamburger Moscheen beten vielleicht Attentäter, neue Dschihadisten könnten dort heranreifen. Was nun wirklich niemanden wundern würde, siehe Mohammed Atta. Siehe auch: 9/11, die Vorgeschichte.
Philip Seymour Hoffman stattet diesen deutschen Helden – denn ein solcher ist er zweifellos, auch noch und sogar besonders am Ende der Geschichte – mit seiner einzigartigen Präsenz aus. Was man hier wirklich ein Geschenk nennen muss.
Wenn er so vor der Moschee lauert und schließlich den jungen Informanten herauskommen sieht, den er mühevoll angeworben hat, sie beide in einen Kiosk gehen, ohne sich anzuschauen, und unter der Hand ein Päckchen Zigaretten austauschen, das dann geheime Informationen enthält – da spürt man eine große Romantik, ja fast schon ein blutendes Herz.
So war sie einmal, die Geheimdienstarbeit. Persönlich, fußläufig, nur durch Kreppsohlen vom Boden der Tatsachen getrennt. Alles dagegen, was heute ist – Massenabhörwahn, Drohnenkrieg, Big Data – wirkt dagegen wie die reinste Barbarei.
So zumindest suggerieren es der britische Schriftsteller John le Carré in seiner Romanvorlage und der holländische Regisseur Anton Corbijn, die sich für die Verfilmung von „A Most Wanted Man“ zu einem kongenialen Nostalgie-Gespann zusammengefunden haben.
Und wer weiß: Vielleicht hat John le Carré, der als junger Agent des Secret Service einmal selbst in Hamburg stationiert war, tatsächlich manch geheime Zigarettenschachtelbotschaft im Rotlicht des Bahnhofsviertels ausgetauscht. Davon will er jedenfalls erzählen, auch mehr als fünfzig Jahre nach der Erfindung seines Meisterspions George Smiley und nach „Der Spion, der aus der Kälte kam“, seinem Durchbruch und Welterfolg.
Nur heute sind es eben interessanterweise die Deutschen, denen le Carré solch ehrlich-unzeitgemäße Geheimdienstarbeit noch zutraut. Die Amerikaner, hier verkörpert von Robin Wright, verbindlich im Ton, aber am Ende völlig skrupellos, schweben in ihren Cybersphären und greifen am Ende nur rachsüchtig die Ergebnisse ab. Die Briten wiederum sind derart von den Amerikanern dominiert, dass sie es aus dem Roman gar nicht mehr in den Film geschafft haben.
Günther Bachmann dagegen würde man die spezielle Agentenfähigkeit noch zutrauen, die George Smiley immer ausgezeichnet hat – innerhalb von Sekunden in einer Menschenmenge zu verschwinden. Vielleicht ist er kein legitimer Nachfolger, aber ein illegitimer. Dazu passt, dass seine Einheit nicht mal einen Namen hat. „Wir existieren nicht“, sagt Bachmann. Auch le Carré weiß, dass deutsche Spione nicht einfach in Hamburg anwenden können, was sie in Beirut gelernt haben.
Im konkreten Fall geht es darum, einem besonders angesehenen und moderaten Imam, der keineswegs Hass predigt, eine Falle zu stellen – weil aus seinem engsten Kreis die Information kommt, dass er mit Spendengeldern Terroristen finanziert. Nun braucht es Beweise, und dafür kommt ein gläubiger und zugleich völlig unschuldiger Tschetschene ins Spiel, der Asyl sucht und als Schachfigur missbraucht wird – mit ihm, hat le Carré gesagt, wollte er dem Guantanamo-Opfer Murat Kurnaz eine Art Denkmal setzen.
Mit unter die Räder geraten eine deutsche Asylanwältin (Rachel McAdams) und ein Hamburger Bankier mit Gewissensbissen (Willem Dafoe). Bachmann aber ist der Schachspieler, unterstützt von tollen Kollegen (Nina Hoss, Daniel Brühl), die alles für ihn tun würden. Weil er, trotz seiner illegalen und zum Teil recht rabiaten Methoden, niemanden vernichten will. Umdrehen, die Täter auf die andere Seite ziehen, darum geht es. Alte George-Smiley-Schule. Aber auch Smiley konnte nie sicher sein, dass er nicht selbst nur eine Schachfigur war, in einem noch größeren Spiel.
Wenn man Philip Seymour Hoffman jetzt in dieser Rolle sieht, kann man das natürlich nicht mehr trennen von dem Wissen, dass der Schauspieler zum Zeitpunkt der Dreharbeiten heroinabhängig war. Dass er – nach vielen Jahren ohne Drogen, unbemerkt selbst von den Kollegen am Set – rückfällig geworden war. Und dass ihn diese Sucht, im Februar in New York, das Leben kosten würde.
Aber diese bodenlos tiefe Erschöpfung, die man zu spüren glaubt, wenn seine Augen in diesem Film manchmal leer werden – ist das wirklich nur die Figur oder Einbildung im Nachhinein? Dieser Weltekel in seinem Blick, dieses Immer-wieder-Aufraffen nach der letzten Niederlage? Da schwingen doch erstaunliche Resonanzen mit, die widerhallen in der Realität dieses hochbegabten, furchtlosen, unbedingten und viel zu kurzen Lebens.
Andererseits strahlt auch ein Kampfgeist aus dieser Performance. Eine starrköpfige Weigerung, den anderen einfach das Feld zu überlassen – all den Nichtskönnern und Schleimscheißern, den vorsichtigen Zynikern und den Lügnern, deren Wort nichts zählt und denen ein zerstörtes Menschenleben nicht mehr wert ist als ein Schulterzucken. Auch die gibt es ja überall, nicht nur in Geheimdienstkreisen.
Günther Bachmann, am Ende unter Druck von seinen Vorgesetzten und Kollegen und von den Amerikanern und eigentlich von allen Seiten, weigert sich, einfach so abzutreten. Er will es noch einmal wissen. Das wird zwar nichts ändern, aber es wird sein Erbe sein.
Die letzte Sequenz, in der diesem Mann buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen wird, von Kräften, die so viel stärker sind als er selbst – sie fällt nun zusammen mit dem Abschied eines großen Schauspielers. Und fügt dem Werk von Philip Seymour Hoffman noch einmal ein unauslöschliches Bild hinzu.
A Most Wanted Man, GB/D 2014 – Regie: Anton Corbijn. Buch: Andrew Bovell. Kamera: Benoît Delhomme. Mit Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Willem Dafoe. Senator, 122 Minuten.