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Die junge Frau, die da durch die Nacht fährt, auf dem Weg nach Hollywood, kehrt zurück. Vor vielen Jahren musste sie von hier weg, nach einem schweren Unfall, noch als Kind, verstoßen von ihrer Familie. Die vergangenen Jahre hat sie in einer Psychiatrie verbracht, aber davon sehen wir nichts. Alles beginn mit ihrer Wiederkehr. Als sei sie nie irgendwo anders als in diesem Fernbus gesessen, als wäre sie schon ewig durch die Nacht gefahren, als hätte sie sich längst in ein Gespenst verwandelt.

Diese bleiche junge Frau, gespielt von der sehr bleichen und sehr ätherischen Mia Wasikowska, trägt nicht zufällig den Namen Agatha Weiss. Woher sie denn komme, wird sie einmal gefragt, und sie antwortet: vom Jupiter. In „Maps to the Stars“ wird sie nun ihre Familie heimsuchen, die ihrerseits viel mit Gespenstern zu tun hat. Agathas Bruder zum Beispiel, ein schwer verstörter 13-jähriger Kinderstar, der gerade seinen ersten Drogenentzug hinter sich hat, wird vom Geist eines verstorbenen Mädchens verfolgt, das er bei einer Charity-Aktion noch im Krankenhaus besucht hatte.



Der Filmregisseur David Cronenberg erforscht die Abgründe Hollywoods.

Der Vater (John Cusack) wiederum ist ein Psycho-Guru, der Geld dafür kassiert, den Hollywood-Stars in dramatischen Séancen die Dämonen auszutreiben. Seine beste Kundin ist die alternde Schauspielerin Havana Segrand (Julianne Moore), der regelmäßig ihre tote Mutter erscheint, seitdem sie in einem Remake die Rolle spielen soll, die diese einst berühmt gemacht hat. Damit will sie gewissermaßen selbst zum Gespenst werden.

David Cronenberg geht es hier nicht einfach um die Wiederkehr des Verdrängten in der Stadt der Träume. Er weiß, dass Filme immer Gespenster erzeugen, die man nie mehr loswird – auch seine eigenen: eine ewige, kosmische Wiederkehr. Während Robert Pattinson in Cronenbergs letztem Film durch „Cosmopolis“ kutschiert wurde, fährt er diesmal selbst als Chauffeur durch Los Angeles. Und Havanas sehr physische Psycho-Séancen, in denen sie von ihren Erinnerungen und Ängsten körperlich gebeutelt und geschüttelt wird, erinnern an die Therapiesitzung am Anfang von „A Dangerous Method“, Cronenbergs vorletztem Film.

Cronenbergs Auseinandersetzung mit den gewaltsamen Prägungen und Transformationen der Körper hat nun ihre subtilste Stufe erreicht – die Gespensterebene. Schon mit „History of Violence“ hatte er die fleischlichen Mutationen und Wucherungen seiner früheren Filme, also die Re-Kombinationen des Menschen mit Tieren, Videorekordern oder Autos, verlassen. Seither interessiert er sich mehr für die Oberfläche, für die Haut seiner Figuren – und für die Frage, welche Zeichen ihres Innenlebens, ihrer Identität darauf erscheinen.

Da schlummerten etwa unter der Haut des braven Familienvaters in „A History of Violence“ die jederzeit reaktivierbaren Instinkte eines professionellen Killers, markierten die Tattoos auf dem Körper des russischen Mafioso in „Eastern Promises“ gleichzeitig den Undercover-Agenten bei Scotland Yard.

Mit „A Dangerous Method“, seinem Film über Sigmund Freud und C.G. Jung, war die zerrissene Innerlichkeit seiner Figuren dann nicht mehr auf den Körpern sichtbar: Diese wurden nur noch in heftigen Konvulsionen von der psychoanalytischen „Sprechkur“ geschüttelt, während das ultrascharfe, glatte, digitale Bild alle Narben und Risse längst vernäht hatte.

Und in „Cosmopolis“ schienen die vielen Gespräche über einen zunehmend dematerialisierten Kapitalismus, die Robert Pattinson in seiner Limousine führte, den fetischisierten Körper des „Twilight“- Stars längst in eine blutleere Plastikikone verwandelt zu haben, während vor den Fenstern ein immer außen gehaltenes, virtuelles New York vorbeizog, ein neoliberaler Kosmos, reduziert auf die Virtualität eines Bildschirms.

Sowohl „Dangerous Method“ als auch „Cosmopolis“ haben Cronenbergs Kritiker vorgeworfen, zu pädagogisch, zu demonstrativ vorzugehen, nur Phrasen über Psychoanalyse und Kapitalismus zu wiederholen. Als könnte ein Film über Freud und Jung ernsthaft die Lektüre ihrer Texte ersetzen, als bräuchte es heute noch eine Verfilmung von „Cosmopolis“, um die Natur des Neoliberalismus zu erklären. In beiden Filmen ging es viel eher darum, wie ein Diskurs zu einem Körper wird, von ihm Besitz ergreift, ihn formt.

Bei „Maps“ scheint ein ähnliches Missverständnis nahezuliegen. Brauchen wir diesen Film, um uns zu vergewissern, wie schrecklich und abgründig es in Hollywood zugehen kann? Nein. Immer wieder wird, wie ein Text, der von einer Figur zur anderen wechselt, ein Gedicht von Paul Éluard zitiert, „Liberté“. Refrainartig kehrt die Passage „schreibe ich deinen Namen...“ wieder, etwa „...auf die Abwesenheit ohne Begehr / auf die nackte Einsamkeit / auf die Stufen des Todes“. Cronenberg weiß, dass im Kino die Form, also die Freiheit eines Schreibens mit Bildern, vor jedem Inhalt und jeder Ideologie kommen, ja von dieser freigestellt sein muss.

Nach zwei sprechlastigeren Filmen ist es also nun diese von allen beschworene, elegante und diskrete Schrift, die sich wie ein Geist hinter allen Geistern in die Körper eindrückt, sie formt wie schon in seiner William-S.-Burroughs-Verfilmung „Naked Lunch“. Nur diesmal nicht als pralle Drogenphantasmagorie. Die Geister der Toten bemächtigen sich der Welt frontal, hell und direkt. Sie liegen in der Badewanne, sprechen mit den Lebenden oder durch sie hindurch. Das Bild ist so klar und glatt wie ein Sternenhimmel. Was bleibt: eine blasse Gespensternarbe auf Agathas Gesicht, und Schläge, von denen ihr Bruder einmal sagt, sie würden keine Spuren hinterlassen.

Maps to the Stars, CA/D 2013 – Regie: David Cronenberg, Buch: Cronenberg, Bruce Wagner. Kamera: P. Suschitzky. Mit Julianne Moore, Robert Pattinson, Mia Wasikowska, John Cusack. MFA, 107 Min.

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