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Knopf für die Welt

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Die Bilder sind noch alle da. Die Trümmer einer Textilfabrik, in denen Helfer hektisch nach Überlebenden suchen. Die Leichen, die Verzweiflung – und das eigene T-Shirt, „Made in Bangladesh“. Anderthalb Jahre ist es her, dass in der Nähe der Hauptstadt Dhaka eine Fabrik einstürzte: Rana Plaza. 1127 Menschen kamen ums Leben, ein Aufschrei ging um die Welt.

Die Aufräumarbeiten sind bis heute nicht beendet, auch nicht in Deutschland. Nach Informationen der SZ haben bisher nur zwei der fünf betroffenen deutschen Geschäftspartner in einen Entschädigungsfonds eingezahlt, den die UNO für Opfer der Rana-Plaza-Katastrophe organisiert hat. Drei der deutschen Firmen, die dort nähen ließen, wollen sich ihrer Verantwortung offenbar nicht stellen.



Ein neues Siegel soll die nächste Rana-Plaza-Katastrophe verhindern.

An einer anderen Front geht es dagegen voran: Seit fünf Monaten verhandeln Händler, Hersteller, Gewerkschaften und Entwicklungsorganisationen über einen neuen Standard für die Textilproduktion. „Wir sind jetzt in der heißen Phase der Verhandlungen“, sagt Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), der die Initiative im April ins Leben gerufen hat. Ziel sei eine Art „grüner Knopf“ an Textilien: „Der dokumentiert, dass Näherinnen einen Mindestlohn bekommen zum Überleben, und dass die Kloake der Fabriken nicht ungeklärt in Flüsse und Meere schwappt“, sagte Müller der SZ. Noch im Oktober soll ein entsprechendes Textilbündnis entstehen, es wäre das Fundament für den späteren „grünen Knopf“.

Es ist ein ambitioniertes Vorhaben. Denn trotz der Katastrophe im Rana Plaza war die Initiative anfangs auf Widerstand gestoßen in der Textilbranche. „Gerd Müller schießt daneben“, kalauerte der Textilverband Südwest in diesem Frühjahr in Anspielung auf den Fußballgott Müller. Zum Tor werde sein Vorstoß vermutlich nicht taugen. Inzwischen ist nach vielen Gesprächen ein wenig Gelassenheit eingekehrt: „Grundsätzlich ziehen wir mit, weil die Produktionsbedingungen mitunter problematisch sind und die meisten Textilunternehmer auch persönliche Verantwortung spüren und sich ordentlich verhalten wollen“, sagt etwa Uwe Mazura, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Textil+Mode.

Allerdings sei die Frage: Was ist der beste Weg, das zu erreichen? Muss es wirklich ein eigenes neues deutsches Label sein, es gibt doch schon so viele? Und die Beteiligten müssten bei den Anforderungen an ein Siegel aufpassen. „Sie müssen auch in der Realität umsetzbar und erfüllbar sein.“ Kleine Unternehmen könnten sich etwa kaum aufwendige Kontrollen leisten. Die Frage sei auch, von welchen Standards man rede, etwa bei Löhnen. Schließlich würde selbst in Deutschland der Mindestlohn von 8,50 Euro nicht immer ein gutes Auskommen ermöglichen.

Geht es nach Müller, dann schafft das Textilbündnis fürs Erste eine neue Form sozialer und ökologischer Verantwortung. Wer ihm beitrete, verpflichte sich damit verbindlich auf die Einhaltung anspruchsvoller Vorgaben. „Textilunternehmen müssen ihre Lieferkette auf Mindeststandards verpflichten, wie sie Verbraucher in Europa erwarten dürfen.“ Andernfalls würden Normen, wie sie in Europa mühevoll erkämpft worden seien, durch Importe unterlaufen. „Aus Sicht der Menschenrechte, auch der Würde der Arbeitnehmer, können wir das nicht akzeptieren.“

Lange war unklar, ob das Bündnis nur eine fixe Idee Müllers ist oder wirklich Chancen hat. Zuletzt war er obendrein noch in die Kritik geraten, weil er ausgerechnet mit der Herstellung der deutschen Nationalmannschafts-Trikots argumentiert, dabei aber ein paar Fakten durcheinandergeworfen hatte. Doch das Stadium der Details hat Müller hinter sich. „Mir geht es nicht nur um T-Shirts und Hosen“, sagt er. „Es gibt Hunderte von Produkten, die unter Bedingungen produziert werden, die menschenunwürdig sind und die Umwelt ruinieren.“ Was für Textilien gelte, könne beim Bau von Elektrogeräten ganz ähnlich sein. Selbst auf der Tagesordnung der G 7 werde sich die Frage internationaler Arbeitsbedingungen wiederfinden, wenn Deutschland der Industriestaaten-Gruppe vorsitzt. Es gehe um nicht weniger als Sozialreformen und ein Ende der Ausbeutung in den Herkunftsländern, findet Müller.

Das sehen mittlerweile auch die Unternehmen so. Gerade Bangladesch habe ein Problem mit der Korruption, sagt Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland. Das könne man nur in einer gemeinsamen Aktion von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in den Griff bekommen. Ein Siegel für deutsche Händler hält er dabei für den „eher“ falschen Weg, vielmehr müsse man etwa Arbeitnehmerrechte vor Ort stärken: „Es müssen sich freie Gewerkschaften entfalten können, die über die einzelnen Firmen hinaus auch Brandschutz, Gebäudesicherheit und Mindestlöhne thematisieren.“

Und so sind nach den Vorgesprächen auch Entwicklungsorganisationen wie Oxfam mittlerweile verhalten optimistisch. „Am Anfang sahen wir die Initiative kritisch“, sagt Oxfam-Aktivistin Franziska Humbert. Inzwischen zeige sich aber, dass sich selbst Konzerne wie Aldi, Lidl oder C&A in dem Bündnis engagierten. „Dieses Momentum sollten wir nutzen.“

Oxfam und Co. wollen über das Bündnis vor allem erreichen, dass die Konzerne ihre Einkaufspolitik ändern, etwa offensiv Aufträge an ordentlich arbeitende Fabriken vergeben – und so immer öfter bessere Bedingungen bei Zulieferern durchsetzen. „Was wir uns sparen können, ist ein inhaltsleeres Siegel, mit dem sich Firmen reinwaschen, ohne etwas zu tun“, sagt Humbert. „Der Knackpunkt wird im Oktober sein.“

Viele Organisationen haben ihre Erwartungen ohnehin schon runtergeschraubt, so auch Sandra Dusch Silva von der Christlichen Initiative Romero. Hundertprozentig könne man nichts absichern, das sei auch den Entwicklungsgruppen klar. Aber nach und nach müsse es möglich sein, die Produktionsketten unter Kontrolle zu bringen. Der klare Test, ob es funktioniere, sei die Näherin vor Ort: Bekommt sie einen vernünftigen Lohn? Ist der Arbeitsplatz sicher? Kann sie sich im Zweifel bei einer unabhängigen Stelle beschweren?

Das Argument, dass so etwas zu viel kostet, lässt Dusch nicht gelten, die an den Verhandlungen teilnimmt. Nicht nur hochpreisige Outdoor-Hersteller wie Vaude verhielten sich ordentlich: „Auch Takko ist inzwischen auf einem guten Weg.“ Und da sind Klamotten in der Tat nicht besonders teuer. Der Zeitplan, möglichst viele in diese Richtung zu bringen, sei natürlich ambitioniert, sagt Dusch. „Aber wir dürfen nicht warten, bis das nächste Unglück passiert.“

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