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Ohne Hoffnung

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Umringt von einer Schar von Leibwächtern hat es sich Mahmud Sahar gemütlich gemacht. Entspannt lehnt er sich zurück in seinem Ohrensessel. Dann hebt er an zur großen Abrechnung. „Wir haben keine Angst vor Israel“, sagt er, „wir können weiterkämpfen, und wir werden siegen.“

Mahmud Sahar ist einer der Gründerväter der Hamas. Ein gelernter Kinderarzt und leidenschaftlicher Prediger, der wahrscheinlich schon mit erhobenem Zeigerfinder auf die Welt gekommen ist. Innerhalb der islamistischen Organisation gilt er als der Führer der Falken, unnachgiebig, unerbittlich in seinem Hass auf Israel. Seit dem jüngsten Krieg hat er noch einmal kräftig Auftrieb bekommen. „Wir haben gewonnen, die Hamas ist nun zur unangefochtenen Vormacht geworden“, erklärt er. Der Blick schweift nun stolz in die Ferne, doch seine Worte wären gewiss noch wirkungsvoller, wenn die Aussicht nicht gar so grotesk wäre. Denn Sahars Sessel samt Beistelltischen für Saft und Smartphone steht auf dem Bürgersteig genau gegenüber seiner Villa. Vom Sieg künden hier ein zerschossenes Dach und fünf Stockwerke hoch zerborstene Mauern.



Das Ausmaß der Zerstörung in Gaza ist gewaltig.

„Zum vierten Mal schon haben die Israelis mein Haus zerstört“, sagt Sahar, der den 50 Tage dauernden Krieg in einem sicheren Untergrund-Versteck überstanden hat. Nach dem Waffenstillstand vom 26.August ist er, so wie alle anderen Hamas-Granden auch, wieder aufgetaucht wie Phoenix aus der Asche, um die Ruinen mit Siegesparolen zu füllen. „Der Feind hat nichts erreicht“, verkündet er. „Aber wir haben es zum ersten Mal geschafft, den Krieg nach Israel hineinzutragen, wir haben Raketen bis nach Haifa geschossen und kein Quadratmeter war mehr sicher.“

Zudem sei dies der „längste Krieg in der Geschichte Israels gewesen“, auch das erfüllt ihn mit Freude. Dass es damit auch der längste Krieg für die Palästinenser war, erwähnt er nicht, genauso wenig wie die mehr als 2100 Toten, die 10000 Verletzten, die 100000 Obdachlosen und all die anderen, die alles einschließlich der Hoffnung verloren haben. Nichts davon lastet aus seiner Sicht auf ihm und der Hamas, denn dies ist ja das verheerende Werk des Feindes. „Es ist ein Sieg für uns, dass wir der Welt die wahre Natur Israels gezeigt haben“, sagt er.

In der Welt des Mahmud Sahar ist die Hamas für den Lorbeer verantwortlich, nicht für die Dornen – und damit auch nicht für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Gazastreifens . „Das ist die Aufgabe der Regierung“, erklärt er. Tatsächlich ist es ja so, dass seit Juni eine von den verfeindeten Brüdern der Fatah und Hamas gebildete Einheitsregierung für alle Palästinenser verantwortlich sein soll. Offiziell hat sich die Hamas seitdem zurückgezogen. Sie regiert also nicht mehr – kontrolliert in Wahrheit aber immer noch alles.

Von der beschworenen Einigkeit zwischen Hamas und Fatah ist allerdings längst nichts mehr zu spüren. Präsident Mahmud Abbas spricht von einer „Schattenregierung“ der Hamas in Gaza und droht damit, die Einheitsregierung platzen zu lassen, wenn die Hamas nicht bereit sei, „alle bewaffneten Kräfte unter ein Kommando zu stellen“. Doch Mahmud Sahar beeindruckt das wenig. Den Präsidenten nennt er einen „großen Lügner“ und einen „Mann Israels“, der Einheitsregierung gibt er gönnerhaft „höchstens noch zwei oder drei Monate“. Und dann? „Der letzte Krieg war nur einer in einer langen Reihe“, sagt er. „Das wird weitergehen bis zur Auslöschung Israels.“

Es sind diese düsteren Drohungen, die letztlich alles lähmen in Gaza. Wer will sich schon an den Wiederaufbau seines Hauses und seines Lebens machen, wenn die nächste Katastrophe ohnehin bald kommt? Die Hoffnungslosigkeit hat ihre Widerhaken ausgeworfen über dem schmalen Küstenstreifen, die Menschen sagen, der Krieg war schlimm wie nie – und alles danach wird auch nicht besser. Normalität und Alltag funktionieren höchstens an der Oberfläche. Die Geschäfte haben wieder geöffnet, die Kinder gehen wieder zur Schule. Doch längst noch nicht in jeder Schule ist Platz für den Unterricht.

Vor den Klassenzimmern der Jungenschule „Königreich Bahrain“, die im Namen den edlen Spender ehrt, trocknet viel Wäsche in der prallen Sonne. Im Hof steht ein Tankwagen für Trinkwasser, aus einem Lastwagen werden Kisten mit Konserven geladen. Insgesamt 3200 Menschen, deren Häuser im heftig umkämpften Stadtteil Schedschaija komplett zerstört worden sind, haben hier Unterschlupf gefunden und werden von UN-Helfern versorgt.

Nabila Jendijah lebt mit ihrem Mann und elf Kindern seit zwei Monaten in der Schule. Als sie vor den Panzern der Israelis flohen und hier ankamen, waren die Klassenräume bereits alle überfüllt. So haben sie sich mit Planen und Decken neben der Eingangstür einen kleinen Verschlag eingerichtet. Der Vater schläft mit den Jungen draußen im Hof, unter dem Deckendach gibt es auf dem Boden nicht genug Platz für alle. Was sie aus ihrem Haus retten konnten, steht nun auf zwei hölzernen Schulbänken: ein Gaskocher, ein wenig Geschirr, ein paar Gläser. Und noch etwas haben sie in den Trümmern gefunden, eine der Töchter zeigt es stolz vor wie einen Schatz: Es ist die leere Hülle einer Panzergranate.

Nichts anderes ist ihnen geblieben. Alle paar Tage bekommen sie von den UN-Helfern eine Kiste voller Lebensmittel, alle paar Tage eine Abfuhr von der Hamas. Bei der Gemeinde und bei der Regierung haben sie um Hilfe gebettelt. „Da herrscht nur Chaos“, sagt Nabila Jendijah, „die haben uns einfach vergessen.“ Verzweiflung und Wut wechseln sich ab. Wenn sie niedergeschlagen ist, sagt sie: „Wir haben genug von diesem Leben und keiner erklärt uns, wie es weitergehen soll.“ Wenn sie aber wütend ist, dann sagt sie: „Eines Tages werde ich rausgehen und brüllen, dass die Regierung uns helfen muss. Dann sollen sie mich ruhig erschießen.“

Mahmud Sahar von der Hamas wird solch einen Aufschrei wohl kaum jemals zu hören bekommen. Seine Leibwächter schotten ihn ab, sein Hochmut verleiht ihm einen Panzer. Und auch Nabil Abu Meilik ist in seinem gläsernen Geschäftsturm weit weg von der zum Flüchtlingslager mutierten Schule. Die Fenster seines riesigen Büros sind zugezogen, die Temperatur ist heruntergekühlt auf Polarniveau. Doch in dieser Abgeschirmtheit macht sich Meilik als Chef des Bauunternehmer-Verbands in Gaza den ganzen Tag Gedanken darüber, wie er den Küstenstreifen am schnellsten wiederaufbauen könnte.

Sein Werkzeug dazu ist der Taschenrechner. Pausenlos tippt er Zahlen ein und gibt Ergebnisse bekannt. Die Fakten: „9000 Wohnungen sind total zerstört, 8000 weitere sind unbewohnbar. In 43000 Wohnungen können die Familien nur noch in einem oder zwei Zimmern leben.“ Das ist die Aufgabenstellung. „Gebraucht werden fünf Millionen Tonnen Baumaterial“, fährt er fort, „das entspricht 200000 Lastwagenladungen.“ Nun aber kommt noch eine Unbekannte ins Spiel – die Frage nämlich, wie diese Lastwagenladungen in den Gazastreifen kommen sollen. Denn die Grenzen sind immer noch dicht, die Blockade durch Israel und Ägypten geht nach dem Krieg genauso weiter wie vor dem Krieg.

In seiner Rechnung geht Meilik von einer Grenzöffnung für hundert Lastwagen mit Baumaterial pro Tag aus. „Bei 200 Arbeitstagen im Jahr dauert es eine Dekade“, sagt er. „Und wenn die Israelis weiter unwillig sind, dauert es drei Jahrzehnte.“ Dann lächelt er hilflos, erschöpft vom Rechnen.

Ein wirklicher Wiederaufbau ist also seiner Meinung nach auch mit der Lösung, auf die sich in New York gerade die Israelis mit den UN und der Autonomiebehörde von Präsident Abbas geeinigt haben, kaum zu bewerkstelligen. Denn dabei würde weiterhin jede Einfuhr strengen Kontrollen unterliegen. „Die einzige Lösung ist eine komplette Aufhebung der Blockade, nicht nur eine Lockerung“, sagt er. „Doch davon müsste erstens die Welt Israel noch überzeugen“, sagt er, „und zweitens müssten sich Hamas und Fatah zum Wohle ihres Volkes einigen.“ Als Herr der Zahlen weiß er, dass mit beidem eher nicht zu rechnen ist.

Zurück also in die Wirklichkeit, zurück zu den Trümmern. Im Dörfchen Khuzaa im Süden des Gazastreifens, wo der Krieg mit der Kraft eines Erdbebens gewütet hat, wartet Hamdan al-Nadschar darauf, in einen von insgesamt 100 Wohncontainern einziehen zu können, die dank Hilfsgeldern aus Großbritannien gerade neben der zerbombten Moschee aufgebaut werden. Zwei Zimmer, Kochnische und Klo, alles zusammen vielleicht 30 Quadratmeter – das ist nicht viel für eine 14-köpfige Familie. Doch für al-Nadschar ist es viel besser, als weiter neben den Trümmern seines Hauses zu campieren. Seine größte Sorge aber ist: „Wenn wir einmal im Container sind, dann kümmert sich keiner mehr um uns, und wir werden dort ewig bleiben.“

Zwischen den Trümmern stellt al-Nadschar ein paar Plastikstühle in den Schatten. Er will ein guter Gastgeber sein, auch wenn er nichts mehr anzubieten hat außer dem Kaffee, den seine Frau am offenen Feuer aufbrüht. „30 Jahre habe ich für dieses Haus gearbeitet, und nun ist mir nur noch das geblieben, was ich am Leib trage“, klagt er. Dann blickt er über die von Panzerketten aufgewühlten Felder von Khuzaa. Vor ein paar Wochen standen dort noch seine Olivenbäume, es grasten hier seine Kühe, und die Hühner liefen umher. „Vor dem Krieg war Khuzaa ein Stück vom Himmel“, sagt er. „Wir hatten alles hier: den Garten voller Bäume, saubere Straßen und die Luft war so rein. Jetzt kannst du hier überall den Tod riechen.“

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