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Jeder Horst in der Verwaltung will ein Künstler sein

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Schauspieler müsste man sein. Schauspieler müssen nicht kreativ sein. „Was vorne reingesteckt wird, kommt hinten wieder raus“, sagt Astrid Meyerfeldt – und wenn es nach dem Turbodiskursmeister René Pollesch geht, ist das auch gut so. Pollesch hat sich in seiner Produktion „Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist“ im Kammertheater des Stuttgarter Schauspiels des Themas Arbeit angenommen. Die, so seine Diagnose, existiert in Reinkultur kaum mehr, sondern wird überlagert vom Mythos Kreativität. Arbeit als Herzensangelegenheit, Berufung, narzisstischer Kitzel. „Jeder Horst in der Verwaltung denkt plötzlich, er müsste ein Künstler sein.“



Arbeiten wir noch oder sind wir nur "kreativ"?

Ganz Kulturpessimist trauert Pollesch der guten alten Zeit nach, als Handeln noch nicht dem Kreativitätsdiktat gehorchen musste: „Die Einzigen, die sich nicht diesem Befehl permanenter Innovation unterworfen haben, sind doch die Besucher eines Gottesdienstes.“ Er reflektiert aber auch das Theater selbst, das Realität simuliert und mit diesem Als-ob Gesellschaft spiegelt: Wirklichkeit ist das, was behauptet wird. Aber da Wirklichkeit auch das Ergebnis von Taten ist, verheddert sich „Du weißt einfach nicht, was die Arbeit ist“ immer wieder im Gestrüpp philosophischer Abgründe. Wie manifestiert sich Glaube, wird einmal gefragt. Wenn die Gläubigen „niederknien und die Hände falten“.

Die Bühne von Janina Audick, auf der Kruzifix, Sichel und ein riesiger, aufblasbarer Hammer liegen, bleibt fast den gesamten Abend über leer – „Ich möchte nicht raus, das ist nur eine Aufforderung, kreativ zu sein.“ Deshalb verstecken sich die Schauspieler auf der Hinterbühne und entwickeln kuriose Szenen, die per Video übertragen werden. Vieles ist absurd – wie die kolossal gescheiterte Kommunikation zwischen einem Schwerhörigen und einem Kurzsichtigen. Die Schauspieler sind brillant, allen voran Peter Kurth als stoischer Brummbär mit Mitra und Zigarette – ein Pollesch-Neuling – sowie die Pollesch-erprobte Astrid Meyerfeldt, die pathetisch Theaterfloskeln zelebriert und über Renés Video-Leidenschaft herzieht: „Da flipp ich aus!“

Getrieben von den komplexen Satzungetümen, hasten die Schauspieler wie stets bei Pollesch den Gedanken hinterher – wobei auch sie die Texte nicht immer zu begreifen scheinen. Polleschs Stärke ist, das Selbstverständliche zu demontieren und das Diktatorische in vermeintlicher Freiheit zu entlarven. Die neue Produktion ist ihm aber etwas zu routiniert und im Detail unpräzise geraten. Kapitalismuskritik lässt sich leicht als „Pseudokapitalismuskritik“ geißeln, aber Schlagworte ersetzen noch keine Argumentation. Vor allem wird das Phänomen Kreativität nicht differenziert, sondern meint allein den Kampfbegriff der Generation Kreativwirtschaft. Weshalb Pollesch sich, wie er im Programmheft erklärt, natürlich auf keinen Fall „als Kreativen bezeichnen“ würde.

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