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Das Geld aus dem Netz

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Wie sich der Schweizer Konzern Ringier auf eine Zeit einstellt, in der das Printgeschäft nicht mehr wächst.


In diesem Frühjahr ließ der Schweizer Medienkonzern Ringier seinen Jahresbericht von dem italienischen Künstler Maurizio Cattelan in Form einer Rolle Toilettenpapier gestalten und machte den einstigen Tennisprofi Marc Walder zum Konzernchef. Der Gewinn, den der Report auf der Rolle für 2011 auswies, war für Ringier ein zu kleines Geschäft. 23 Millionen Schweizer Franken Gewinn, bei einem Umsatz von 1,1 Milliarden Franken.

Und was hatte Walder aufzubieten, der seit 18 Jahren im Unternehmen ist, Unterhaltungschef beim Boulevardblatt Blick war, Chefredakteur beim Sonntags-Blick und zuletzt das Geschäft in der Schweiz und Deutschland verantwortete? Einer vom Kampfplatz Boulevard? Nicht vom ertragreichen osteuropäischen Schlagzeilenmarkt, wo Ringier seit zweieinhalb Jahren im Joint Venture mit Axel Springer auftritt und Renditen um die 20 Prozent erzielte - sondern aus Zürich, wo der Blick am Bellevueplatz oder vor dem Sprüngli am Paradeplatz mit den Zeitungskästen voller Gratisblätter konkurriert und selbst einen kostenlosen Blick am Abend verteilt?




Zeitgemäße Informationsquelle: auf dem Smartphone und online

Walder kommt von da, wo sich die Veränderung der Medien am deutlichsten zeigt. Sein Verleger Michael Ringier lernte einst bei der Münchner Abendzeitung das journalistische Handwerk und sammelt nun moderne Kunst: Der Boulevardmann Walder, der beim Blick einen gemeinsamen Newsroom für alle Verbreitungswege umsetzte, soll für ihn den finanziell erzkonservativen Konzern krisenfest machen, der neben Deutschland, der Schweiz und Osteuropa auch in China und Vietnam aktiv ist und demnächst nach Afrika erweitern will: Kenia, Ghana, Nigeria, Tansania, Rwanda und Uganda hält man für Wachstumsmärkte, in denen sich mit Online-Portalen Geld verdienen lässt.

Ringier gefiel wohl, wie Walder in den vergangenen fünf Jahren das Schweiz-Geschäft veränderte. Nur noch wenig mehr als 60 Prozent trugen die journalistischen Produkte - auf Papier und im Internet - nach Angaben des Konzernchefs von diesem Sommer zum Umsatz des Verlags in der Eidgenossenschaft bei.

Stattdessen kauft Ringier in der Schweiz seit Jahren jene Firmen ein, die im Internet das fortführen, was einmal das Anzeigengeschäft der Print-Branche war: Portale für Autoverkäufe, Immobilien, Jobangebote, Branchenverzeichnisse, Kleinanzeigen und Haustier-Portale. Zum Konzern gehören der Online-Kartenservice-Agentur Ticketcorner sowie der Sportservice Infront Ringier (gemeinsam mit dem Sportvermarkter Infront), der unter anderem die Swiss Football League vermarktet; und Ringier tritt im Gemeinschaftsunternehmen mit der Deutschen Entertainment AG als Konzertagentur für Klassik und Nachwuchskünstler auf.

'Der Umsatz mit Print-Journalismus wächst weltweit nicht', sagt Walder ohne Umschweife, Ausnahmen bestätigten diese Regel nur.

Das Schweizer Portfolio von Ringier zeigt, dass man sich auf diesen Befund ernsthaft einstellt. Im Juli kündigte Ringier zudem für Blick eine Bezahlschranke im Netz für 2013 an, die für exklusive Boulevard-Storys gelten soll. Wenn man nach seiner Kompetenz frage, sagt Walder, 'dann ist es wohl die, dass ich die Diversifikation unseres Unternehmens innerhalb der Schweiz in den letzten fünf Jahren stark getrieben habe - so dass es auch ein Rollenmodell ist für unsere anderen Länder.'

Zu den jüngsten Nachrichten aus dem Konzern gehören die Meldung von der Mehrheitsbeteiligung am polnischen Portal Onet.pl für das Osteuropa-Joint-Venture sowie die Zustimmung der Schweizer Wettbewerbskommission zum Kauf der Jobbörse job.ch durch Ringier und Tamedia (Tages-Anzeiger, Annabelle). 'In der digitalen Welt herrscht die the-winner-takes-it-all-Regel. Das war im Grunde die Lehre der vergangenen Jahre, das war eine brutale Lehre', berichtet Walder. 'Wir haben uns zum Ziel gesetzt, in jedem Land, in dem wir in größerem Rahmen tätig sind, bei den digitalen Portalen die Nummer eins zu sein.'

Im Grunde weist das Walder-Prinzip in eine Zeit, in der Medienkonzerne sich Journalismus leisten, aber ihre Einnahmen mehr oder weniger unabhängig davon erzielen. Die Frage ist dann, wie viel Journalismus sich der Patron noch leisten mag, wenn man mit allem anderen so gut Geld verdienen kann.

Oder nach welchen Spielregeln der Journalismus funktioniert: Wenn Organisation und Vermarktung eines Konzerts aus einer Firma kommen, die auch Tickets dafür verkauft und den Auftritt in der Zeitung und online ankündigt und rezensiert. Es geht um die journalistische Unabhängigkeit - und damit die Glaubwürdigkeit der Marke.

Den Vorwurf hört Ringier jetzt oft. 'Wenn Sie die Redaktionen fragen, ob der Walder bei ihnen war, damit das Konzert von Madonna oder U2 oder Coldplay besonders gepusht oder später besonders gut beurteilt wird, werden die Journalisten ihnen sagen:nein. Und wenn Madonna schlecht singt, dann wird dies auch genau so geschrieben', behauptet der Konzernchef. So oder so müssten Chefredakteure und Journalisten schon immer aushalten dass sie unabhängig berichten - obwohl kommerzieller Druck vorhanden ist'. Man könne generell nicht konfliktfrei publizistisch über die Außenwelt berichten, glaubt Walder, und deshalb sei 'das ganze System immun gegen eine solche Bevormundung aus dem Management.' Natürlich nehme der Druck 'tendenziell zu, weil die Wirtschaft selber unter Druck steht'. Das habe aber mit der Diversifikation nichts zu tun.

Das lässt sich leicht behaupten. Wie lange braucht Ringier den Journalismus noch? Mit dem Image einer Internetbude will man jedenfalls nichts zu tun haben. Der Journalismus werde, wie Walder sagt jetzt 'in Watte gepackt', bei 'Effizienzsteigerungsmaßnahmen' - sprich Kürzungen - soll nicht an die Redaktionen gerührt werden. Dort sei enorm ' optimiert' worden in den vergangenen zehn Jahren. Sie hätten weniger Geld, 'also weniger Muskeln schlussendlich', und müssen trotzdem ' einen viel höheren Output leisten'. Walder war acht Jahre lang Tennisprofi. Er weiß, dass man Muskeln sehr gut pflegen muss.

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