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Tod und Spiele

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Immer wenn Anita Sarkeesian ihr Smartphone zur Hand nimmt, rechnet sie mit einer Todesdrohung. Die Anwürfe kommen per Mail, werden im Netz veröffentlicht oder in sozialen Netzwerken. „Ich werde dich umbringen und es wie einen Suizid aussehen lassen“, ist noch eine der sachlicheren Nachrichten. Erst am Dienstag musste die Expertin für Computerspiele einen Vortrag an der Universität Utah absagen – Attentatsdrohung. So geht das jetzt seit Wochen. Auch mussten Sarkeesian und zwei ihrer Kolleginnen ihre Wohnungen verlassen, standen zeitweise unter Polizeischutz, das FBI ermittelt. Und alles nur, weil sich da eine Frau in die Spieleszene einmischt?

Anita Sarkeesians Aufgabe ist es, Computerspiele zu bewerten, eine Position, die der einer Filmkritikerin ähnelt. Zudem hat sich die Amerikanerin ein gefährliches Spezialthema gesucht: In einer Video-Reihe mit dem Namen „Tropes vs. Women“ veröffentlicht sie Analysen, in denen sie zeigt, wie sexistisch die Spiele oft sind. Die Rolle der Frau sei dort über Jahrzehnte unverändert geblieben. Die weiblichen Spielefiguren würden oft auf ihren Sex-Appeal reduziert oder misshandelt, sie dienten Dekorationszwecken und fielen beim Sterben möglichst so zu Boden, dass man ihnen unter den Rock gucken kann. „Über Jahrzehnte hinweg hat sich die Spiele-Industrie ausschließlich an weiße, heterosexuelle Männer gerichtet“, kritisiert Sarkeesian. Und Experten wie der mehrfach ausgezeichnete Spielejournalist Dan Golding pflichten ihr bei. Über die Jahrzehnte sei eine extrem selbstbezogene Gamer-Identität entstanden, schreibt Golding. Der Gamer sehe sich als Randfigur und entwickle dabei eine starke Bindung zu Gleichgesinnten. „Diese Gamer fühlen sich nun angegriffen, und das sollten sie auch“, denn es sei in der Szene ein kultureller Wandel zu beobachten.



Gamer-Szene: Morddrohungen gegen Kritiker

Die Spiele-Industrie ist längst kein Nischen-Phänomen mit pixeliger Grafik mehr, sondern ein Markt, der jährlich knapp 100 Milliarden Dollar umsetzt. Spiel-Turniere füllen Stadien. Blockbuster-Spiele haben ein Budget im dreistelligen Millionenbereich und verkaufen sich am ersten Tag elf Millionen Mal. Es ist ein zweites Hollywood entstanden.

Anita Sarkeesian hat auf diese Entwicklung reagiert und behandelt Spiele mit dem kulturellen Anspruch, der auch an Filme und Bücher gestellt wird. Damit adelt sie das Computerspiel sogar und wird von Entwicklern ausgezeichnet. Doch Teile der extremen Gamer-Szene verstehen Sarkeesians Auseinandersetzung mit den Spiele-Inhalten nicht als Fortschritt, sondern als Angriff auf ihr Hobby. Sie bedrohen die Amerikanerin deswegen mit dem Tod oder photoshoppen Bilder von ihr in Pornos. „Ich werde seit zwei Jahren terrorisiert, aber die vergangenen Monate waren die schlimmsten“, sagt Sarkeesian.

In den letzten 30 Tagen wurden auf Twitter unter dem Hashtag „Gamergate“ 1,4 Millionen Tweets abgesetzt. Es geht um wüste Pöbeleien, Verschwörungstheorien und die Reaktionen darauf. Es ist das Aufbäumen einer Community, der jedes Mittel recht ist, den Wandel in der Welt der Spiele aufzuhalten. Dan Golding formuliert es so: „Die Gamer haben sehr gut erkannt, dass ihnen ihr Spielzeug weggenommen wird. Ihre Baumhäuser werden zugenagelt.“

Die Entertainment Software Association, die größte Spiele-Organisation in den USA, hat nach der Bombendrohung von Utah gefordert, jede Art von Belästigung und Gewalt müsse sofort aufhören. Sarkeesian indes kündigte an: „Ich werde meine Arbeit fortsetzen. Ich werde weiterhin meine Meinung sagen.“

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