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Tolerant? Sind wir selber!

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Tom (Kostja Ullmann) ist der Star-Friseur von Berlin-Mitte. Tom residiert in einer glamourösen Wohnung und hat einen so klugen wie zärtlichen Freund (Ken Duken), der ihm auf die mit Wasserdampf beschlagene Duschkabine Herzchen malt. Nur eines hat Tom zu seinem Leidwesen nicht: Ahnung von Frauen.

Genau damit fangen in Marco Kreuzpaintners Komödie „Coming In“ die Probleme an. Tom hat eine hocherfolgreiche und landesweit beworbene Haarprodukt-Linie für Männer entwickelt, die er nun für Frauen kopieren soll. Aber wie? Zur Feldforschung schickt man den verwirrten Coiffeur zu Heidi (Aylin Tezel), die in Berlin-Neukölln den chaotischen Kiez-Friseursalon „Bel Hair“ betreibt.

Vorsichtshalber agiert Tom undercover, mit Proll-Perücke, Union-Berlin-Trikot und unter dem Pseudonym Horst – also so, wie er sich einen typischen Heterosexuellen vorstellt. Doch als Heidi ihm zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange drückt, weicht er erschrocken zurück und kreischt:

„Ich bin schwul, verdammt noch mal! Homosexuell, andersrum, ’ne Tucke!“.Kreuzpaintners Film ist, im Gewand einer klassischen romantischen Komödie, ein lustig-fieser Kommentar zur aktuellen „Reverse Discrimination“-Debatte. Also zu jenem Streit um die Frage der umgekehrten Diskriminierung, der schon seit geraumer Zeit in den USA geführt wird und der mittlerweile auch in Deutschland angekommen ist.



Kostja Ullmann und Aylin Tezel in "Coming In"

Konservative und vor allem religiös-fundamentalistische Gruppierungen in Nordamerika werfen den Gay-Rights-Verfechtern vor, dass ausgerechnet sie, die stets Toleranz einfordern, sich selbst vollkommen intolerant gegenüber Andersdenkenden verhalten würden. Ein leicht durchschaubarer rhetorischer Trick, mit dem in erster Linie verhindert werden soll, dass in weiteren Bundesstaaten die Homosexuellenehe, die bislang nur in fünf US-Staaten möglich ist, durchgesetzt wird. Dass die Diskussion um Reverse Discrimination in den USA so erbittert wie ideologisch geführt wird, mag auch einer der Gründe dafür sein, warum Kreuzpaintner seinen Film nicht wie zunächst geplant in Amerika, sondern in Berlin gedreht hat.

Dort ist er auch nicht der Erste, der sich dem Problem in der Kunstform des pointierten Sketches widmet. Unter dem Titel „Tolerant? Sind wir selber“ hat zum Beispiel die Publizistin Carolin Emcke (die auch in der SZ Kolumnen schreibt) gemeinsam mit der Regisseurin Angelina Maccarone diesen Sommer drei Netz-Clips gedreht, die mit listigem Witz auf alte und neue Vorurteile gegen Homosexuelle aufmerksam machen.

Da sitzt zum Beispiel eine Wohngemeinschaft versammelt am Esszimmertisch beim Abendessen. Der Salat wird hübsch angerichtet, die Weingläser gefüllt, eine junge Frau erzählt mit leuchtenden Augen davon, dass sie sich gerade heftig verliebt hat. Trotzdem zeichnet sich negative Spannung in den Mitbewohner-Gesichtern ab, die der Verliebten gut zureden: „Ach, das ist ganz bestimmt nur eine Phase, und die geht vorüber!“. Oder: „Und der Sex, der war doch ganz bestimmt eklig?“ Die Verliebte widerspricht, es klingelt, und an der Tür erscheint ihr Geliebter, es gibt einen innigen Kuss zur Begrüßung.

Gegenschuss: Die sechs Wohngemeinschaftler blicken betreten drein, und jetzt erst wird offenbar, das es drei schwule beziehungsweise lesbische Pärchen sind. Eine Satire auf das ewige Abwerten und Ausgrenzen alles Andersartigen und Fremden – was auch immer schon ein Urthema des Kinos war.

Um die Rollen zu vermischen und Vorurteile hochkochen zu lassen, verliebt sich in „Coming In“ der schwule Tom in seine neue Chefin Heidi, die Aylin Tezel mit hinreißendem Audrey-Hepburn-Charme spielt. Und natürlich verguckt auch sie sich in ihren schrägen Paradiesvogel-Praktikanten.

Vor zehn Jahren präsentierte Kreuzpaintner mit „Sommersturm“ bereits einen Film zum Outing-Thema, ebenfalls mit Kostja Ullmann in einer der Hauptrollen. Die Geschichte eines jungen Sportlers, der entdeckt, dass sein Begehren doch eher Männern als Frauen gilt. Ein schwieriges Coming-out, aber erzählt mit Leichtigkeit und Charme. Der neue Tonfall überraschte, nach all den mit Klischees überfrachteten Filmen, die in Deutschland das Thema Homosexualität entweder derb verwitzelten oder mit tragischer Schwere überdramatisierten. Kreuzpaintner erklärte, dass er hier zwar nicht seine Autobiografie erzähle, aber doch Schlüsselmomente seines eigenen Coming-outs verarbeitet habe.

Der Plot von „Coming In“, dass ein Schwuler seine heterosexuelle Ader entdeckt, ist allerdings nicht ganz neu. In dem gleichnamigen Fernsehfilm von 1997 erzählte Thomas Bahmann bereits von einem schwulen Werbetexter, der sich in seine Sekretärin verliebt. Und 2012 gab es die italienische Komödie „Mal was anderes?“, in der sich ein bekennend schwuler Bürgermeisterkandidat in seine Wahlkampfmanagerin verguckt.

„Coming In“ aber erzählt die Schwuler-wandelt-sich-zum-Frauenliebhaber-Story zum ersten Mal im Mainstream-Muster einer romantischen Komödie. Die Befürchtung, die vor den Dreharbeiten hier und da geäußert wurde, dass der Film einen „Verrat an der schwulen Sache“ begehe, ist glücklicherweise gegenstandslos.

„Coming In“ zeichnet alle Figuren ungemein liebenswert und ist ein herrlich aufgebrezeltes, selbstironische Funken sprühendes Jonglieren mit Homo-Hetero-Klischees. Unter dem Vorwand einer herzigen Romanze werden die Welten von Homos und Heteros satirisch auf Crash-Kurs gebracht.

Tatsächlich versuchen Toms schwule Freunde, die ihn als Promi-Schwulen nicht verlieren wollen, die Romanze als Verrat hinzustellen und zu sabotieren. Aber nein, sie ergehen sich nicht in Intoleranz, schnell kehrt Reue ein, und sie entschuldigen sich für ihr Schubladendenken. Den ehernen Genremustern einer romantischen Komödie gehorchend, folgt das Finale der allseitigen Versöhnung, nach dem Motto: Es gibt keine Hierarchie des Begehrens, jeder darf und soll seinen eigenen Gefühlen folgen.

Coming In, Deutschland 2014 - Regie: Marco Kreuzpaintner. Buch: Marco Kreuzpaintner, Jane Ainscough. Kamera: Daniel Gottschalk. Mit: Kostja Ullmann, Aylin Tezel, Ken Duken, Katja Riemann, August Zirner, Denis Moschitto, Tilo Prückner, Hanno Kofler, Frederik Lau. Warner Bros., 104 Minuten.

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