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Ein Wert an sich

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Als um kurz nach 15 Uhr alles vorbei ist, schleppen sich traurige Gestalten durch das Frankfurter Bankenviertel. Sie sind ausgepumpt, manche können kaum mehr gehen – dabei sollten sie doch laufen. Es ist ein symbolträchtiger Zufall, dass gerade an dem Tag, an dem die Ergebnisse des europäischen Banken-Stresstests verkündet werden, in Frankfurt ein Marathonlauf stattfindet. Die Innenstadt ist komplett abgesperrt, es ist schwer, die Europäische Zentralbank und die Bundesbank zu erreichen, wo jeweils Pressekonferenzen stattfinden.



Die Finanzkrise hat dazu geführt, dass Banken mehr unter die Lupe genommen werden.

Um kurz nach 15 Uhr sind die Marathonläufer bereits mehr als fünf Stunden unterwegs. Die Europäische Zentralbank und die deutschen Finanzaufseher von der Bundesbank sowie der Bafin waren neun Monate unterwegs, um den Stresstest zu bewältigen. Viele sehen darin die wichtigste Übung, die seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 an den Finanzmärkten zu absolvieren war. Schließlich weiß jeder, dass das europäische Bankensystem schwer krankt, dass es ihm an Kapital fehlt. Ein Stresstest ist die Voraussetzung dafür, um die Kapitallücken zu identifizieren, anschließend zu stopfen und damit endlich für Ruhe zu sorgen an den Finanzmärkten. Zugleich ist der Stresstest ein Risiko. Denn wenn zu große Kapitallücken identifiziert werden, löst das neue Unruhe aus.

Wie also haben die Banken abgeschnitten bei ihrem Marathonlauf? Bafin-Chefin Ulrike König und Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret sitzen in einem Bundesbanksaal und bedienen sich reichlich bei Metaphern aus dem Sport. König nennt den Stresstest „einen Marathonlauf, der gleichzeitig ein Hürdenlauf war“. Erleichtert stellt sie fest, dass fast alle deutschen Institute die Ziellinie erreicht hätten, „ohne Hürden zu reißen“.

Mit „fast“ spricht sie die Münchener Hypothekenbank an, das einzige der 25 geprüften deutschen Institute, das formal durch den Test gefallen ist. Seine Kapitaldecke war zum Stichtag Ende 2013 zu dünn. Da die Bank inzwischen aber Kapital aufgenommen hat, besteht kein Bedarf mehr nachzubessern. Das heißt: Faktisch sind alle deutschen Banken durch den Stresstest gekommen; auch die HSH Nordbank, die als Wackelkandidat gegolten hatte; auch die Commerzbank, deren Name seit fünf Jahren kaum ohne den Zusatz „Krise“ fällt. „Die deutschen Institute stehen solide da“, stellt König fest. Und aus Berlin meldet sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu Wort: „Die Ergebnisse bestätigen meinen Eindruck, dass die deutschen Banken gut vorgesorgt haben.“

Aber wie sieht es im Rest Europas aus? Darüber redet im Hochhaus der Europäischen Zentralbank deren Vizepräsident Vítor Constâncio. Auch er macht gute Stimmung. „Diese bislang nicht da gewesene tief gehende Prüfung der Bilanzen der Großbanken wird das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Bankensektor stärken“, sagt er. Doch er muss gleichzeitig verkünden, dass der Stresstest für eine größere Anzahl von Instituten eben doch nicht so glimpflich ausgegangen ist. 13 Geldhäuser im Euro-Raum sind durchgefallen, sie müssen zusammen noch zehn Milliarden Euro Kapital auftreiben (Grafik). Allein vier der Durchfaller kommen aus Italien. Überhaupt hat es vor allem Institute aus südlichen Krisenländern getroffen.

Doch allzu schlimm ist das nicht. „Wie erwartet, gibt es keine dramatischen Enthüllungen“, sagt Clemens Fuest, Chef des Mannheimer ZEW-Wirtschaftsforschungsinstituts. Die wesentliche Wirkung des Tests sei es gewesen, dass die Banken sich vorher darauf eingestellt hätten. Marcel Fratzscher wiederum, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, erwartet, dass die betroffenen Banken den Kapitalbedarf selbst stemmen; im Notfall würden Regierungen und private Gläubiger einspringen. Mehr Sorgen bereitet ihm der hohe Gesamtbetrag fauler Kredite, den der Test offenbarte – er ist um 136 Milliarden höher, als vorher bekannt war und beläuft sich insgesamt auf 879 Milliarden Euro. Unternehmen und Menschen hätten Probleme, ihre Kredite zurückzuzahlen. Das zeige, wie tief die Wirtschaftskrise in Europa ist.

In London gibt es an diesem Tag zwar keinen Marathon, dafür aber auch Stresstest-Ergebnisse. Die Europäische Bankenaufsicht (EBA) präsentiert sie für Institute außerhalb der Euro-Zone, also für Länder wie Großbritannien, Schweden oder Polen. EBA-Chef Piers Haben lobt die Härte des Tests. Das nun getestete Krisen-Szenario belastet das Kapital der Banken bis 2016 um 261 Milliarden Euro. Frühere Tests galten als zu lasch. Und Haben widerspricht der Kritik, die Anlage des Tests bevorzuge große Institute aus großen Ländern. Als Beispiel führt er die Deutsche Bank an: Bei ihr führe das Krisenszenario zu einem überdurchschnittlich hohen Abschmelzen der Kapitalquote. Wie gut, dass die Frankfurter ein vergleichsweise dickes Polster haben.

Viele in der Finanzszene hatten den Tag der Entscheidung mit Bangen erwartet. Daran gemessen lief alles sehr ruhig ab. Die Politiker sind erleichtert, die Notenbanker hoffen, dass die Banken nun, da der Stress vorbei ist, die Unternehmen mit mehr Krediten versorgen und die Wirtschaft wieder anspringt. Und die Aufseher können sich nach dem Stress wieder ihrer eigentlichen Arbeit widmen: die Banken zu kontrollieren.

Alles gut also? Nicht ganz. „Die deutschen Banken dürfen sich jetzt nicht auf den Lorbeeren ausruhen“, sagt Bafin-Chefin König. Bundesbank-Vorstand Dombret spricht davon, dass den Banken der eigentliche Marathonlauf jetzt erst bevorstehe. Sie stünden im internationalen Wettbewerb nicht gut da, die Erträge seien zu gering, die Kosten zu hoch. Dabei bringt der Bundesbanker auch Fusionen ins Spiel: „Wenn zu viele Läufer auf der Strecke sind, behindern sie sich gegenseitig“, sagt er. Gerade in der deutschen Bankenbranche könnten Zusammenschlüsse daher vorteilhaft sein. Die Banken haben beim Stresstest die Ziellinie überschritten, aber, um im Bild zu bleiben: Nach dem Marathonlauf ist vor dem Marathonlauf.

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