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Es ist angerichtet

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Die Zukunft erschien düster, damals im Sommer 2013, als der Skandal um die National Security Agency brodelte. Die Empörung über das große Spähen des amerikanischen Geheimdienstes wurde in Europa von Tag zu Tag größer. Internetfirmen aus den USA würden Millionen, wenn nicht gar Milliarden verlieren, warnten Experten. „Wenn europäische Cloud-Kunden der US-Regierung nicht mehr trauen, dann trauen sie vielleicht auch den Cloud-Anbietern nicht mehr“, sagte die damalige EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes. Anbieter in Europa würden von dem Vertrauensbruch profitieren, war allerorten zu hören. Fast hätte man glauben können, dass auf dem alten Kontinent aus Sorge um die Datensicherheit eine Revolution losrollt. Bald würden den US-Firmen die Kunden davonlaufen, aus Furcht vor der Überwachung durch Amerika.

Nun, mehr als ein Jahr später, ist von dieser Stimmung wenig übrig. Hoffnungsvolle europäische Aspiranten auf die Thronfolge in der IT-Industrie sucht man weiter vergeblich. Die alten Player sind obenauf. Dazu muss man in diesen Tagen nur nach Frankfurt blicken. Dorthin, wo die Datenströme aus aller Welt am Knotenpunkt DE-CIX zusammenlaufen. Dort, wo der Zugang zum weltweiten Netz am besten ist, hat der Internetkonzern Amazon am Donnerstag zwei neue Rechenzentren eröffnet. Dabei geht es nicht etwa darum, die Webseite des Unternehmens schneller zu machen. Amazon ist, das muss man wissen, längst mehr als nur ein digitales Einkaufshaus. Der Konzern bietet unter dem Namen „Amazon Web Services“ ein umfangreiches Sammelsurium digitaler Infrastruktur an.



Angst vor Überwachung? Nicht bei den deutschen Unternehmen.

Die Nachfrage nach diesen Diensten in Deutschland sei groß wie nie, teilt das Unternehmen nun mit. Deshalb habe man die Rechenzentren in Frankfurt eröffnet. Zu Details wie Größe, genauem Standort oder Speicherkapazität schweigt das Unternehmen – aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Man darf aber davon ausgehen, dass im großen Stil Kapazitäten aufgebaut werden. Dabei ist der Konzern aus Seattle nicht das einzige US-Unternehmen, das in die digitale Infrastruktur in Europa investiert. Schließlich wartet ein heiß umkämpfter Milliardenmarkt: Konkurrent Oracle hatte erst kürzlich bekannt gegeben, ebenfalls zwei Rechenzentren in Deutschland zu eröffnen. Google baut im niederländischen Eemshaven für 600 Millionen Dollar auf 440 000 Quadratmetern einen Server-Standort. Amazon hatte seine europäischen Kunden bislang aus Irland mit Rechenpower beliefert. Die reicht nun nicht mehr aus, um die Nachfrage zu decken.

Wer eine Internetseite oder sonstige IT-Dienste anbietet, kann sich in diesen Zentren einmieten. „Cloud Computing“ heißt das in der Fachsprache, weil Daten wie in einer Wolke ausgelagert werden. Cloud-Anbieter wie Amazon oder die Konkurrenz von Salesforce, Microsoft, Oracle und Google kommen nicht etwa vorbei und stellen die Server bei ihren Kunden auf, sondern die Daten sind in ihren Rechenzentren gespeichert, selbst wenn der Kunde irgendwo Hunderte Kilometer entfernt sitzt.

Obwohl man bei dieser Art der Datenspeicherung die Kontrolle über die Daten abgibt, wird sie populärer. Alle Prognosen deuten auf eine große Zukunft hin. Die Analysefirma Gartner geht für das Jahr 2015 von einem weltweiten Umsatz von 3,1 Milliarden Dollar aus. 2013 waren es noch um die 2,1 Milliarden. Auch die deutsche Wirtschaft steht der Auslagerung der Rechenkapazitäten aufgeschlossen gegenüber. Der Branchenverband Bitkom geht von jährlichen Wachstumsraten von mehr als 30 Prozent bis ins Jahr 2016 aus.

Doch warum vertraut die deutsche Wirtschaft ihre Daten Anbietern an, die durch den Patriot Act zur Herausgabe von Daten gezwungen werden könnte, die im Ausland gespeichert sind? „Es gibt nur eine dumpfe Unsicherheit“, sagt Helmut Krcmar, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität München. In deutschen Unternehmen herrsche der Eindruck vor, dass NSA und andere Geheimdienste ohnehin zuschauten. Dann sei es auch egal, wo die Daten gespeichert werden. Im Zweifel seien die Daten bei einem Anbieter wie Amazon sogar besser geschützt als auf den eigenen Servern, meint Krcmar. Den Sicherheitsbedenken stehen auf der anderen Seite die Vorteile der Cloud gegenüber. Wer sich mit IT-Verantwortlichen unterhält, hört immer wieder dieselbe Erklärung: geringere Kosten, mehr Rechenpower und eine höhere Flexibilität, weil sich bei den Cloud-Anbietern unkompliziert und schnell Rechenkapazitäten hinzubuchen lassen.

Wie viele Firmenkunden auf Amazon setzen, hält das Unternehmen geheim. Die Zahl dürfte aber vielfach höher sein als die Zahl der Institutionen, die bei Amazon Rechenleistung einkaufen. Amazon zählt eigenen Angaben zufolge weltweit mehr als 800 Regierungsbehörden und mehr als 3000 Bildungseinrichtungen zu seinen Kunden. Für Schlagzeilen sorgte der Konzern mit seinem Speicherdienst zuletzt, weil er einen Großauftrag der CIA an Land gezogen hatte. Als Gegenleistung für 600 Millionen Dollar sollen Amazons Server die 17 amerikanischen Geheimdienste miteinander vernetzen. Außerdem, so erzählte der IT-Chef der CIA im Frühsommer, plane man, die Rechner des Konzerns auch zur Datenanalyse einzusetzen. Amazon, das kann man so sagen, will die CIA bei der Überwachung unterstützen.

Wenn es jedoch um die eigenen Server geht, verspricht Europa-Chef Steve Midgley ein hartes Vorgehen gegen die Geheimdienste. „Wenn wir das Gefühl haben, dass eine Anfrage auf Datenherausgabe zu umfassend ist, werden wir dagegen vorgehen“, sagte er der SZ.

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