Eine streng gläubige Katholikin steht auf den Priester ihrer Gemeinde, eine Buchhändlerin träumt von Sex mit Fremden, und ein Architekt würde seine Freundin gerne mit einem anderen Mann teilen – Beispiele aus dem Buch „Sex im Kopf“ des Autors Gerhard Haase-Hindenberg, der Annoncen in Magazinen, Zeitungen und sozialen Netzwerken geschaltet hat, um möglichst viele Deutsche zu ihren sexuellen Phantasien zu befragen. 1445 Menschen meldeten sich, 40 Prozent Frauen, 60 Prozent Männer. Das Buch, das an diesem Freitag erscheint, will Einblick geben in die Wunschwelt der Deutschen.
SZ: Herr Haase-Hindenberg, Sie haben Bücher über Ägypten und afrikanischen Geisterglauben geschrieben, in dem Film „Operation Walküre“ spielten Sie Reichsmarschall Göring. Wie kamen Sie nun auf die erotischen Phantasien der Deutschen?
Haase-Hindenberg: Ich hatte mal wieder das Buch von Nancy Friday in den Händen, die vor 40 Jahren die so überhaupt nicht prüden Phantasien amerikanischer Frauen beschrieben hat. Was mich dabei fasziniert hat, war der Widerspruch zwischen innerem Erleben und äußerem Verhalten.
In Ihrem Buch bezeichnen Sie Deutschland als „schwarz-rot-geile Republik“. Ist das nicht ein wenig übertourt?
Wir leben auf jeden Fall in einer sehr sexualisierten Gesellschaft. Die Klickzahlen für Internet-Pornografie sind irrsinnig hoch. Und es gibt mittlerweile ziemlich viele Möglichkeiten, sexuelle Phantasien auszuleben: im Swinger-Club etwa, oder auf Sadomaso-Treffen. Und jeden Tag gehen 1,2 Millionen Männer ins Bordell.
Sie haben anonym die erotischen Phantasien von 1445 Menschen gesammelt. Was wünschen die sich denn insgeheim?
Es gibt einen sehr starken Trend zu verruchtem Sex und sadomasochistischen Praktiken. Neben physischen Äußerungen wie Schlagen und Beißen sind das vor allem dominante Rollenspiele, bei denen einfach nur klare Ansagen gemacht werden. Es gibt aber auch ganz andere Rollenspiele, zum Beispiel Ehepaare, die sich in einer Bar anonym verabreden und so tun, als ob sie sich nicht kennen.
Wie unterscheiden sich denn die Geschlechter in Ihrer Umfrage?
Viele Frauen sehnen sich wohl auch nach sexueller Zärtlichkeit, aber von denen haben nicht viele an der Befragung teilgenommen. Unter den Teilnehmerinnen dominiert ein Hang zu devoten Phantasien. Die dominante Seite ist hingegen relativ unterrepräsentiert bis fast nicht vorhanden.
Erotik-Messe 'Venus': Worauf stehen die Deutschen?
Sexuell bleibt die Frau also in alten Rollenmustern hängen?
Eine devote Haltung ist ja keineswegs ein Zeichen der Schwäche. In dem Moment, in dem sie sich lebhaft devote Praktiken vorstellt, ist sie ja eine Frau, die ganz selbstbestimmt ihre Sexualität lebt. Das ist das Gegenteil von mangelnder Emanzipation.
Und was wollen Männer insgeheim?
Sie haben eher dominante Phantasien. Außerdem ist die Menage-à-trois sehr beliebt – manchmal handelt es sich um einen Mann mit zwei Frauen, häufiger aber um zwei Männer und eine Frau. 127 der befragten Männer gaben an, diese Phantasie zu hegen, nur vier Frauen hatten ähnliche Wünsche. Frauen wollen laut meiner Umfrage entweder einen Mann oder gleich mehrere – aber nicht zwei.
Welche Rolle schreiben Sie dem Netz bei der Entwicklung intimer Wünsche zu?
Das Internet hat ganz viel in Gang gesetzt, bei beiden Geschlechtern. Ständig verfügbare Pornofilme geben Menschen offenbar die Möglichkeit, Vorlieben zu entdecken, von denen sie zuvor nichts ahnten. Manchmal braucht es neue Eindrücke, um eine Neigung aus der Latenz zu befreien – oder einen Partner, der einen ganz bestimmten Wunsch in einem auslöst.
Pornos sollen der Selbstfindung dienen?
Nicht zwingend, aber das Netz hat die zwischenmenschliche Erotik im Ganzen befreit. Heute gibt es spezielle Portale, auf denen sich Menschen austauschen – und sich zum Beispiel auf dem Parkplatz zum Sex verabreden.
Sie haben mit Bauarbeitern, Anwälten, Beratern und Putzfrauen gesprochen. Was gibt es da für Unterschiede?
Die erotischen Phantasien unterscheiden sich nicht sehr stark. Erstaunlicherweise sind zum Beispiel sadomasochistische Phantasien in allen sozialen Gruppen präsent. Wenn es um Rollenspiele und Dirty Talk geht, sind die Unterschiede größer. Für Bürgerliche und Intellektuelle, die sehr auf eine respektvolle Sprache achten, sind schmutzige Wörter eine ganz andere Hürde als für jemanden, der jeden Tag Schimpfworte benutzt.
Wie viele setzen ihre Phantasien überhaupt jemals in die Tat um?
Nach allem, was ich im Netz und in einigen sexualwissenschaftlichen Studien gelesen habe, leben derzeit zwei Drittel der Deutschen ihre Phantasien nicht aus. Tendenz steigend.
Sind Phantasien nicht gerade deswegen spannend, weil man sie eben nicht auslebt?
Natürlich gibt es Phantasien, die die Menschen eigentlich gar nicht ausleben wollen – oder welche, die in der Realität gar nicht funktionieren können.
Zum Beispiel?
Eine Frau, die eine Vergewaltigungsphantasie hat, möchte natürlich nicht in der Realität vergewaltigt werden. In ihrer Vorstellung bestimmt sie alles, vom Setting bis zum Mann. Sie ist und bleibt die Beherrscherin der Situation.
Die anonymen Protokolle, aus denen Sie zitieren, sind ja sehr drastisch. Teilweise klingen die Protokolle wie schlechte Pornodrehbücher – oder sehr ernstzunehmende Psychogramme.
Ich bin Chronist und werte nicht. Und ich bin nicht sicher, ob alle Menschen, die das Buch lesen, zu Ihrem Schluss kommen.
Gleich das erste Protokoll schildert das Begehren eines Busfahrers nach jungen Mädchen. Es verwundert, dass solche Neigungen bei Ihnen unkommentiert bleiben.
Wie gesagt: Ich sage meinen Lesern nicht, was sie zu denken haben, das war schon immer mein Prinzip beim Schreiben.
Der Buchrücken wirbt mit dem Spruch „Bekenntnisse einer Nation“. Aber eine repräsentative Umfrage liegt Ihrem Buch ja nicht wirklich zugrunde.
Es wird zu diesem Thema nie eine repräsentative Umfrage geben, das war auch nicht mein Anspruch. Sexuelle Phantasien sind immer noch ein Tabu; es ist quasi unmöglich, einen breiten Bevölkerungsanteil zu diesem Thema zu befragen.
Ein paar Geheimnisse braucht der Mensch halt doch noch.
Man muss seine Wünsche ja auch nicht unbedingt öffentlich ausbreiten. Aber so zu tun, als gäbe es sie überhaupt nicht, halte ich für sträflich in unserer sexualisierten Zeit. Phantasien sind Teil unserer Persönlichkeit.
SZ: Herr Haase-Hindenberg, Sie haben Bücher über Ägypten und afrikanischen Geisterglauben geschrieben, in dem Film „Operation Walküre“ spielten Sie Reichsmarschall Göring. Wie kamen Sie nun auf die erotischen Phantasien der Deutschen?
Haase-Hindenberg: Ich hatte mal wieder das Buch von Nancy Friday in den Händen, die vor 40 Jahren die so überhaupt nicht prüden Phantasien amerikanischer Frauen beschrieben hat. Was mich dabei fasziniert hat, war der Widerspruch zwischen innerem Erleben und äußerem Verhalten.
In Ihrem Buch bezeichnen Sie Deutschland als „schwarz-rot-geile Republik“. Ist das nicht ein wenig übertourt?
Wir leben auf jeden Fall in einer sehr sexualisierten Gesellschaft. Die Klickzahlen für Internet-Pornografie sind irrsinnig hoch. Und es gibt mittlerweile ziemlich viele Möglichkeiten, sexuelle Phantasien auszuleben: im Swinger-Club etwa, oder auf Sadomaso-Treffen. Und jeden Tag gehen 1,2 Millionen Männer ins Bordell.
Sie haben anonym die erotischen Phantasien von 1445 Menschen gesammelt. Was wünschen die sich denn insgeheim?
Es gibt einen sehr starken Trend zu verruchtem Sex und sadomasochistischen Praktiken. Neben physischen Äußerungen wie Schlagen und Beißen sind das vor allem dominante Rollenspiele, bei denen einfach nur klare Ansagen gemacht werden. Es gibt aber auch ganz andere Rollenspiele, zum Beispiel Ehepaare, die sich in einer Bar anonym verabreden und so tun, als ob sie sich nicht kennen.
Wie unterscheiden sich denn die Geschlechter in Ihrer Umfrage?
Viele Frauen sehnen sich wohl auch nach sexueller Zärtlichkeit, aber von denen haben nicht viele an der Befragung teilgenommen. Unter den Teilnehmerinnen dominiert ein Hang zu devoten Phantasien. Die dominante Seite ist hingegen relativ unterrepräsentiert bis fast nicht vorhanden.
Erotik-Messe 'Venus': Worauf stehen die Deutschen?
Sexuell bleibt die Frau also in alten Rollenmustern hängen?
Eine devote Haltung ist ja keineswegs ein Zeichen der Schwäche. In dem Moment, in dem sie sich lebhaft devote Praktiken vorstellt, ist sie ja eine Frau, die ganz selbstbestimmt ihre Sexualität lebt. Das ist das Gegenteil von mangelnder Emanzipation.
Und was wollen Männer insgeheim?
Sie haben eher dominante Phantasien. Außerdem ist die Menage-à-trois sehr beliebt – manchmal handelt es sich um einen Mann mit zwei Frauen, häufiger aber um zwei Männer und eine Frau. 127 der befragten Männer gaben an, diese Phantasie zu hegen, nur vier Frauen hatten ähnliche Wünsche. Frauen wollen laut meiner Umfrage entweder einen Mann oder gleich mehrere – aber nicht zwei.
Welche Rolle schreiben Sie dem Netz bei der Entwicklung intimer Wünsche zu?
Das Internet hat ganz viel in Gang gesetzt, bei beiden Geschlechtern. Ständig verfügbare Pornofilme geben Menschen offenbar die Möglichkeit, Vorlieben zu entdecken, von denen sie zuvor nichts ahnten. Manchmal braucht es neue Eindrücke, um eine Neigung aus der Latenz zu befreien – oder einen Partner, der einen ganz bestimmten Wunsch in einem auslöst.
Pornos sollen der Selbstfindung dienen?
Nicht zwingend, aber das Netz hat die zwischenmenschliche Erotik im Ganzen befreit. Heute gibt es spezielle Portale, auf denen sich Menschen austauschen – und sich zum Beispiel auf dem Parkplatz zum Sex verabreden.
Sie haben mit Bauarbeitern, Anwälten, Beratern und Putzfrauen gesprochen. Was gibt es da für Unterschiede?
Die erotischen Phantasien unterscheiden sich nicht sehr stark. Erstaunlicherweise sind zum Beispiel sadomasochistische Phantasien in allen sozialen Gruppen präsent. Wenn es um Rollenspiele und Dirty Talk geht, sind die Unterschiede größer. Für Bürgerliche und Intellektuelle, die sehr auf eine respektvolle Sprache achten, sind schmutzige Wörter eine ganz andere Hürde als für jemanden, der jeden Tag Schimpfworte benutzt.
Wie viele setzen ihre Phantasien überhaupt jemals in die Tat um?
Nach allem, was ich im Netz und in einigen sexualwissenschaftlichen Studien gelesen habe, leben derzeit zwei Drittel der Deutschen ihre Phantasien nicht aus. Tendenz steigend.
Sind Phantasien nicht gerade deswegen spannend, weil man sie eben nicht auslebt?
Natürlich gibt es Phantasien, die die Menschen eigentlich gar nicht ausleben wollen – oder welche, die in der Realität gar nicht funktionieren können.
Zum Beispiel?
Eine Frau, die eine Vergewaltigungsphantasie hat, möchte natürlich nicht in der Realität vergewaltigt werden. In ihrer Vorstellung bestimmt sie alles, vom Setting bis zum Mann. Sie ist und bleibt die Beherrscherin der Situation.
Die anonymen Protokolle, aus denen Sie zitieren, sind ja sehr drastisch. Teilweise klingen die Protokolle wie schlechte Pornodrehbücher – oder sehr ernstzunehmende Psychogramme.
Ich bin Chronist und werte nicht. Und ich bin nicht sicher, ob alle Menschen, die das Buch lesen, zu Ihrem Schluss kommen.
Gleich das erste Protokoll schildert das Begehren eines Busfahrers nach jungen Mädchen. Es verwundert, dass solche Neigungen bei Ihnen unkommentiert bleiben.
Wie gesagt: Ich sage meinen Lesern nicht, was sie zu denken haben, das war schon immer mein Prinzip beim Schreiben.
Der Buchrücken wirbt mit dem Spruch „Bekenntnisse einer Nation“. Aber eine repräsentative Umfrage liegt Ihrem Buch ja nicht wirklich zugrunde.
Es wird zu diesem Thema nie eine repräsentative Umfrage geben, das war auch nicht mein Anspruch. Sexuelle Phantasien sind immer noch ein Tabu; es ist quasi unmöglich, einen breiten Bevölkerungsanteil zu diesem Thema zu befragen.
Ein paar Geheimnisse braucht der Mensch halt doch noch.
Man muss seine Wünsche ja auch nicht unbedingt öffentlich ausbreiten. Aber so zu tun, als gäbe es sie überhaupt nicht, halte ich für sträflich in unserer sexualisierten Zeit. Phantasien sind Teil unserer Persönlichkeit.