Es ist in den vergangenen Monaten viel von Solidarität die Rede gewesen, von europäischer Lastenteilung in der Flüchtlingskrise. Doch tatsächlich offenbaren so manche Staaten der Europäischen Union in der Misere ihren Egoismus und ihre Ignoranz gegenüber EU-Recht: Sie nehmen kaum Flüchtlinge auf und zeigen allenfalls laues Interesse an einer gemeinsamen Verantwortung für die Hunderttausenden Syrer, Iraker oder Somalier, die jedes Jahr in die EU kommen. „Die fehlende Solidarität zwischen den EU-Ländern ist möglicherweise unsere größte Herausforderung“, sagte kürzlich die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström.
Diese Kernfrage hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) denn auch ausgeblendet, wenn er an diesem Dienstag den internationalen Flüchtlingsgipfel in Berlin eröffnet. Stattdessen beraten Minister und Regierungsvertreter aus Dutzenden Ländern sowie UN-Repräsentanten darüber, wie sie den Nachbarstaaten Syriens helfen können, die mit Abstand die meisten Schutzsuchenden aus dem Bürgerkriegsland aufnehmen. Die Bundesregierung kann dabei auf ihr Hilfsprogramm für die Region verweisen, für das sie seit 2012 gut 630 Millionen Euro investiert hat. Davon entfallen etwa 300 Millionen Euro auf humanitäre Hilfe, Mitarbeiter des Technisches Hilfswerkes versorgen zudem Flüchtlinge in Jordanien und im Nordirak mit Wasser.
Steinmeier (SPD, r.) mit dem libanesischen Ministerpräsident Salam
Je länger die Flüchtlinge jedoch in den Nachbarländern ausharren müssen und je schlechter ihre Perspektive auf eine Rückkehr wird, desto lauter werden die Fragen, wo sie langfristig unterkommen sollen. Denn trotz aller Unterstützung für die Türkei, den Libanon, Irak und Jordanien können die Flüchtlinge dort nicht alle bleiben – und sie wollen dies auch nicht. Viele machen sich auf den Weg in die EU – womit sich erneut die Frage nach der Verteilung dort stellt.
Dass Deutschland und andere Länder im Zentrum der EU die Lasten an die Grenzstaaten im Süden abschieben, gilt schon lange nicht mehr. Dies zeigt ein Blick auf die Zahl der Asylbewerber im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Länder. Diese muss man fairerweise berücksichtigen, da es einen großen Unterschied macht, ob ein kleines Land wie Luxemburg 50000 Flüchtlinge aufnimmt – oder ein großes wie Frankreich. Demnach empfängt Schweden mit gut 7000 Flüchtlingen pro einer Million Bürgern die meisten Schutzsuchenden in der EU, gefolgt von Malta und Luxemburg. Deutschland steht an vierter Stelle. Die Zahlen sind klein im Vergleich zu den Nachbarn Syriens, jedoch groß mit Blick auf Länder wie Portugal, Rumänien oder Tschechien, an denen der Flüchtlingsstrom nahezu vollständig vorbeigeht.
Natürlich geben diese offiziellen Zahlen nicht das ganze Bild wieder. Denn nachdem ein Flüchtling seinen Asylantrag gestellt hat, wird per Datenbank geprüft, ob nach den Regeln des sogenannten Dublin-Systems ein anderer EU-Staat für sein Asylverfahren zuständig ist, nämlich der, den der Schutzsuchende zuerst betreten hat. Es werden also Flüchtlinge nachträglich umverteilt. Dies ändert das Bild jedoch nicht entscheidend: Deutschland zum Beispiel hat vergangenes Jahr etwa 4700 Asylbewerber in einen anderen EU-Staat abgeschoben und 1900 aufgenommen – bei insgesamt fast 110000 neuen Asylanträgen. Deshalb skizzieren die offiziellen Asylzahlen trotz allem gut die Lage.
Die Hauptursache für die Lastenverschiebung ist der faktische Zusammenbruch des Dublin-Systems. Begonnen hat er mit gravierenden Mängeln im griechischen Asylsystem. Die vielen Flüchtlinge, die über die Türkei kommen, überfordern das Land. Die Asylverfahren haben Mängel, ebenso viele Unterkünfte. Tausende Flüchtlinge strandeten auf der Straße. Dies erklärt die niedrigen offiziellen Asylzahlen Griechenlands, obwohl weiterhin Zehntausende Flüchtlinge in das Land kommen. Nach einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2010 schieben deutsche Behörden nicht mehr nach Griechenland ab. Faktisch bedeutet dies: Jeder, der über Griechenland einreist, bekommt in Deutschland ein Asylverfahren.
Ähnlich verhält es sich mit Italien. Rom hatte jahrelang eine Lastenteilung gefordert, war jedoch weitgehend auf taube Ohren gestoßen. Die EU-Partner unterstützten Italien nur beim Grenzschutz und Abkommen mit Nachbarstaaten, um die Flüchtlinge zurückzuhalten. Darunter Deutschland, das vor fünf Jahren noch weniger als 30000 Asylbewerber registrierte. Spätestens in diesem Jahr sind die italienischen Behörden jedoch dazu übergegangen, viele Flüchtlinge nicht oder nicht vollständig zu registrieren. Sie reisen einfach weiter, in die Schweiz, nach Deutschland oder Schweden. Eigentlich wäre Italien für sie zuständig, da sie aber nicht in der europaweiten Datenbank Eurodac erfasst sind, lässt sich dies für die Behörden der anderen Länder kaum noch nachweisen. Damit verstößt Italien gegen EU-Recht und hebelt das Dublin-System aus.
Hinzu kommt die sehr unterschiedliche Wirtschaftslage. Italien und Griechenland leiden noch immer an der Krise, es gibt viele Arbeitslose. Deutschland, aber auch Luxemburg oder der Schweiz geht es vergleichsweise gut, hier haben auch Flüchtlinge gewisse Chancen auf einen Job. Und auf eine Arbeit hoffen viele Asylbewerber. Die Krise in Südeuropa führt dazu, dass auch die Flüchtlinge weiterwandern, Richtung Norden, dem Wohlstand hinterher.
Diese Kernfrage hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) denn auch ausgeblendet, wenn er an diesem Dienstag den internationalen Flüchtlingsgipfel in Berlin eröffnet. Stattdessen beraten Minister und Regierungsvertreter aus Dutzenden Ländern sowie UN-Repräsentanten darüber, wie sie den Nachbarstaaten Syriens helfen können, die mit Abstand die meisten Schutzsuchenden aus dem Bürgerkriegsland aufnehmen. Die Bundesregierung kann dabei auf ihr Hilfsprogramm für die Region verweisen, für das sie seit 2012 gut 630 Millionen Euro investiert hat. Davon entfallen etwa 300 Millionen Euro auf humanitäre Hilfe, Mitarbeiter des Technisches Hilfswerkes versorgen zudem Flüchtlinge in Jordanien und im Nordirak mit Wasser.
Steinmeier (SPD, r.) mit dem libanesischen Ministerpräsident Salam
Je länger die Flüchtlinge jedoch in den Nachbarländern ausharren müssen und je schlechter ihre Perspektive auf eine Rückkehr wird, desto lauter werden die Fragen, wo sie langfristig unterkommen sollen. Denn trotz aller Unterstützung für die Türkei, den Libanon, Irak und Jordanien können die Flüchtlinge dort nicht alle bleiben – und sie wollen dies auch nicht. Viele machen sich auf den Weg in die EU – womit sich erneut die Frage nach der Verteilung dort stellt.
Dass Deutschland und andere Länder im Zentrum der EU die Lasten an die Grenzstaaten im Süden abschieben, gilt schon lange nicht mehr. Dies zeigt ein Blick auf die Zahl der Asylbewerber im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Länder. Diese muss man fairerweise berücksichtigen, da es einen großen Unterschied macht, ob ein kleines Land wie Luxemburg 50000 Flüchtlinge aufnimmt – oder ein großes wie Frankreich. Demnach empfängt Schweden mit gut 7000 Flüchtlingen pro einer Million Bürgern die meisten Schutzsuchenden in der EU, gefolgt von Malta und Luxemburg. Deutschland steht an vierter Stelle. Die Zahlen sind klein im Vergleich zu den Nachbarn Syriens, jedoch groß mit Blick auf Länder wie Portugal, Rumänien oder Tschechien, an denen der Flüchtlingsstrom nahezu vollständig vorbeigeht.
Natürlich geben diese offiziellen Zahlen nicht das ganze Bild wieder. Denn nachdem ein Flüchtling seinen Asylantrag gestellt hat, wird per Datenbank geprüft, ob nach den Regeln des sogenannten Dublin-Systems ein anderer EU-Staat für sein Asylverfahren zuständig ist, nämlich der, den der Schutzsuchende zuerst betreten hat. Es werden also Flüchtlinge nachträglich umverteilt. Dies ändert das Bild jedoch nicht entscheidend: Deutschland zum Beispiel hat vergangenes Jahr etwa 4700 Asylbewerber in einen anderen EU-Staat abgeschoben und 1900 aufgenommen – bei insgesamt fast 110000 neuen Asylanträgen. Deshalb skizzieren die offiziellen Asylzahlen trotz allem gut die Lage.
Die Hauptursache für die Lastenverschiebung ist der faktische Zusammenbruch des Dublin-Systems. Begonnen hat er mit gravierenden Mängeln im griechischen Asylsystem. Die vielen Flüchtlinge, die über die Türkei kommen, überfordern das Land. Die Asylverfahren haben Mängel, ebenso viele Unterkünfte. Tausende Flüchtlinge strandeten auf der Straße. Dies erklärt die niedrigen offiziellen Asylzahlen Griechenlands, obwohl weiterhin Zehntausende Flüchtlinge in das Land kommen. Nach einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 2010 schieben deutsche Behörden nicht mehr nach Griechenland ab. Faktisch bedeutet dies: Jeder, der über Griechenland einreist, bekommt in Deutschland ein Asylverfahren.
Ähnlich verhält es sich mit Italien. Rom hatte jahrelang eine Lastenteilung gefordert, war jedoch weitgehend auf taube Ohren gestoßen. Die EU-Partner unterstützten Italien nur beim Grenzschutz und Abkommen mit Nachbarstaaten, um die Flüchtlinge zurückzuhalten. Darunter Deutschland, das vor fünf Jahren noch weniger als 30000 Asylbewerber registrierte. Spätestens in diesem Jahr sind die italienischen Behörden jedoch dazu übergegangen, viele Flüchtlinge nicht oder nicht vollständig zu registrieren. Sie reisen einfach weiter, in die Schweiz, nach Deutschland oder Schweden. Eigentlich wäre Italien für sie zuständig, da sie aber nicht in der europaweiten Datenbank Eurodac erfasst sind, lässt sich dies für die Behörden der anderen Länder kaum noch nachweisen. Damit verstößt Italien gegen EU-Recht und hebelt das Dublin-System aus.
Hinzu kommt die sehr unterschiedliche Wirtschaftslage. Italien und Griechenland leiden noch immer an der Krise, es gibt viele Arbeitslose. Deutschland, aber auch Luxemburg oder der Schweiz geht es vergleichsweise gut, hier haben auch Flüchtlinge gewisse Chancen auf einen Job. Und auf eine Arbeit hoffen viele Asylbewerber. Die Krise in Südeuropa führt dazu, dass auch die Flüchtlinge weiterwandern, Richtung Norden, dem Wohlstand hinterher.