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„Es kann ja nicht jeder ein Genie sein“

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Annie Hall aus „Der Stadtneurotiker“ machte die Schauspielerin Diane Keaton berühmt – sie würde das abstreiten, aber Annie mit ihren Männerklamotten hatte viel zu tun mit der Frau, die sie spielte, Diane Keaton, geborene Hall. Sie bekam einen Oscar für diesen Auftritt – und blieb seither eine der ungewöhnlichsten Erscheinungen des amerikanischen Kinos, ob in ernsten Rollen, als Komödiantin oder als Regisseurin. Mit „Was das Herz begehrt“ hat sie vor einem Jahrzehnt die romantische Komödie verändert: Sie war Ende fünfzig und durfte sich noch mal verlieben. Ihr neuer Film „Das grenzt an Liebe“ ist wieder eine romantische Komödie, diesmal erobert sie Michael Douglas.



Diana Keaton spricht im Interview über Rollenbilder, die wilden Sechziger und romantische Rollen mit fast 70.

SZ: Hatten Sie immer schon viel Pioniergeist? Etablierten Rollenbildern haben Sie sich ja von Anfang an nicht untergeordnet, Sie waren, Anfang der Siebziger, alles andere als eine konventionelle Schauspielerin.
Diane Keaton: Das war wegen Woody Allen – er sagte: Denk nicht mal drüber nach, mach einfach. So machte man das sonst nicht, ich hatte ja auch schon mit anderen Leuten gearbeitet. Als ich in „Der Pate“ mitspielte, war das furchteinflößend – und mit Woody war Filmemachen wie ein Camping-Trip. Er spricht nicht viel über Schauspielerei, aber er hat viel Gefühl dafür. Dafür bin ich Woody sehr dankbar.

Ein bisschen mehr Mut als andere müssen Sie doch aber selbst mitgebracht haben – Sie haben einige Male Regie geführt, das war für Schauspielerinnen Ihrer Generation absolut ungewöhnlich.
Ja, ich war immer ein bisschen seltsam, neben der Spur. Ich wollte es halt gern versuchen! Ich folge gerne meinen Impulsen.

Warum haben Sie nach „Hanging Up“ aufgehört?
Es war halt ein Flop! Ich liebte die Mädchen, und Walter Matthau – und hey, das war sein letzter Film.! Ich mochte die Arbeit daran, aber es kam kein guter Film dabei heraus. Und Sie können sich vorstellen: Ich hatte damals ein großes Budget, und ich hatte Meg Ryan, Amerikas Sweetheart – und setzte es in den Sand. Ich war am Boden zerstört. Wenn jemand viel Geld in dich investiert hat, und du setzt es in den Sand – das ist für jeden ein Desaster.

Also, dass die Leute, die letztes Jahr mit „Lone Ranger“ 250 Millionen Dollar in den Sand gesetzt haben, nie wieder einen Film machen, halte ich nicht für gesichert.

Da reden wir in ein paar Jahren drüber! Ich sage Ihnen, die werden nie wieder dieselben sein. Niemand versagt gern. Ich durfte damals immerhin 50 Millionen Dollar ausgeben für eine romantische Komödie, das war eine Riesensumme.

Was wäre wohl aus Ihnen geworden, wären Sie 30 Jahre früher geboren worden?
Darüber denke ich manchmal nach, ich hätte ziemlich oft in der Tinte gesteckt. Ich kann eigentlich nicht viel außer dem, was ich tue. Ich bin kein Managertyp. Wahrscheinlich hätte ich geheiratet und einen armen Ehemann unglücklich gemacht. Ich wäre abhängig gewesen. Nicht mein Ding. Ich möchte von keinem abhängig sein.

Wussten Sie die Sechziger damals zu schätzen? Sie sind ja dann just in den Zeiten aufgewachsen, in denen Sie einen anderen Weg hätten wählen können.

Das war mir, glaube ich, damals nicht klar. Ich wurde Schauspielerin, meine Eltern hinderten mich an nichts.

Nicht mal, als Sie in „Hair“ auftraten, haben sie gesagt: oh Gott!?
Nein, die haben mich immer unterstützt, egal was ich wollte. Schauspielern. Sängerin werden!

In „Das grenzt an Liebe“ durften Sie ja endlich mal sehr viel in einem Film singen – Ihre Figur singt, mit so viel Gefühl, dass sie dauernd dabei in Tränen ausbricht.
Darum habe ich gebeten, sie sollte Sängerin sein, eigentlich sollte sie Wandteppiche machen. Fand ich uninteressant, da sitzt man doch nur rum. Ich wollte lieber eine gescheiterte Sängerin sein. Ich glaube, das ist einfach eine bessere Idee für die Rolle.

Selbst gestalten ist wichtig für Sie, bei allem, oder?
Irgendwie schon. Ich galt immer als ungewöhnlich. Aber mir haben immer andere geholfen, es war keine Reise, die ich allein gemacht habe. Es war eine geteilte Erfahrung.

Auch die Schauspielerei?
Für mich ja. Es gibt Leute, die kommen rein, und die Szene gehört ihnen. Jennifer Lawrence, die mit Anfang zwanzig schon so viele unterschiedliche Rollen gespielt hat, oder Melissa McCarthy, die als Komikerin etwas macht, was noch keine Frau vor ihr geschafft hat und ein damit Star geworden ist. Großartig. Zu meiner Zeit war Jane Fonda radikal, total unabhängig, aber viel mehr gab es damals nicht.

Romantische Rollen mit fast siebzig – das war damals jedenfalls nicht vorstellbar für eine Schauspielerin. Was das Sprengen der Altersgrenze in romantischen Komödien betrifft, haben Sie mit „Was das Herz begehrt“ ja wirklich Pionierarbeit geleistet – und legen jetzt mit „Das grenzt an Liebe“ noch mal nach.
„Was das Herz begehrt“ war das Verdienst von Nancy Meyers, und natürlich von Jack Nicholson. Ich meine, das war ein Coup – Jack Nicholson in einem Chick-Flick.

Sie neigen dazu, den anderen die Lorbeeren zu überlassen!
Weil sie es doch aber verdienen!

Jack Nicholson sah das offensichtlich anders – er hatte bei „Was das Herz begehrt“ einen viel besseren Vertrag als Sie und hat Ihnen von seinem Anteil an den Einspielergebnissen abgegeben.
Na ja, vielleicht hat er das gedacht. Aber er ist großartig, so großzügig und hinreißend.

Das sagt nicht jeder über ihn. Bei „The Departed“ soll er Martin Scorsese regelrecht gequält haben...
Ich habe davon gehört... Kann eine andere Lebensphase gewesen sein, oder? Ich meine, es kommt auch darauf an, ob man eine Rolle, die man spielt, wirklich mag.

Sie mochten die Schriftstellerin Louise Bryant nicht, die Sie in „Reds“ gespielt haben, stimmt das? Das war doch ein grandioser Auftritt!
Also, ich mochte sie nicht. Sie war so unglücklich darüber, dass sie kein Genie war, ich meine, es kann ja nicht jeder eins sein – ist das Leben nichts wert, wenn man kein Genie ist? Ich hoffe nicht, ich bin nämlich keins. Ich fand sie rau, manipulativ – sie wollte unbedingt der Sidekick von John Reed sein, damit er sie weiterbringt. Nein, ich mochte sie nicht – aber das ist natürlich alles nur in meinem Kopf: Man findet nicht heraus, wie jemand wirklich war, nur weil man über ihn liest. So, wie Warren Beatty die Rolle geschrieben hat, macht sie ja auch eine Entwicklung durch – und das ist immer interessant. So ergeht es der Figur, die Michael Douglas in „And so it goes“ spielt, ja auch – er verändert sich, findet die wahre Liebe.

Stimmt der Eindruck, den man beim Lesen Ihrer Memoiren hat, dass Ihnen Rollen immer entweder richtig leicht fallen oder richtig schwer?
Schon. Diese hier fand ich beispielsweise richtig einfach, weil Rob Reiner sehr locker ist am Set – das gibt es ja, dass die Atmosphäre sehr angespannt ist, weil der Regisseur versucht, ganz genau das herauszuholen, was er sich vorstellt. Rob sagt: Ich arbeite mit dir und mit Michael, und wir werden versuchen, Spaß daran zu haben, diese Geschichte zu erzählen. So ist es ja nicht immer – manchmal knirscht man auch mit den Zähnen und arbeitet mit verspanntem Kiefer. Was auch in Ordnung sein kann, das kommt auf den Film an.

Diskutieren Sie viel am Set?
Nein – ich warne Regisseure eigentlich, worauf sie sich einlassen, wenn sie mich engagieren: Wissen Sie, ich bin als Schauspielerin ein bisschen schlampig, ich experimentiere gern erst mal ein bisschen herum, und ich muss den Dialog nicht richtig verändern, aber ich habe gern das Gefühl, dass ich mich nicht ganz genau an Vorgaben halten muss. Ich muss in den Moment hineinfinden, mit dem Schauspieler zusammen, mit dem ich da arbeite. Ich habe bei Stanford Meisner gelernt – der hat mir beigebracht, alles mit dem Gegenüber zu entwickeln. Würde ich mit Ihnen eine Szene spielen, würde ich jetzt fragen: Warum legen Sie den Kopf auf die Seite, hey, ich weiß, Sie denken gerade irgendwas, was ist es? Man spielt, was sich da entwickelt – natürlich spielt man auch das, was im Drehbuch steht, aber man kann den tatsächlichen Moment ja dabei nicht ausschalten – man dreht nie zweimal dasselbe Take, jedes ist anders. Das Leben ist eine Komposition aus Momenten, und daraus muss man etwas machen. So habe ich es bei Meisner gelernt.

Die Komposition von Momenten – das passt ganz gut zu einem Satz aus dem Tagebuch Ihrer Mutter, den Sie in „Then Again“ zitiert haben: Es ist die Reise, die zählt. Hatten Sie als Schauspielerin jemals das Gefühl, wirklich irgendwo angekommen zu sein?

Hmm. Was meinen Sie denn da genau?

Beispielsweise bei Ihrem Oscar als beste Schauspielerin für den „Stadtneurotiker“ – das scheinen Sie ja nicht sehr genossen zu haben. Stattdessen hatten Sie den Eindruck, den Preis hätte bestimmt jemand anders mehr verdient.
Es war überwältigend, aber es hat sich eigentlich genauso angefühlt wie der Abend, als ich in der Highschool in einem Musical auftrat, und ich war gut – und ich sah meinen Vater und ich bekam Angst. Denn er strahlte vor Stolz, so habe ich ihn nie wieder gesehen. Es war die Erfüllung eines Traums, und das war auch der Oscar – und ich konnte mir nicht gestatten, das zu genießen. Sich erfüllende Träume und die Liebe sind halt komplizierte Angelegenheiten, da kann man nichts machen. Für mich sind die gewöhnlichen Momente viel außergewöhnlicher: mit dem Hund spazieren gehen, den Sonnenuntergang ansehen und sich gut fühlen. Das klingt blöd, ist aber sehr viel. Es sind Dinge nach dem Oscar passiert, die nur passierten, weil der Traum sich erfüllt hat – die ganze Regiearbeit, beispielsweise, die Rollen, die ich spielte, dass ich einen verrückten kleinen Film namens „Heaven“ gemacht habe. Verstehen Sie mich bloß nicht falsch: Ich bin dankbar. Mein Leben ist großartig gelaufen.

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