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Der große Schritt

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New York – Stephan Herrlich ist kein Typ für das Silicon Valley. Der 35-Jährige trägt glänzende Lederschuhe und Sakko mit Einstecktuch – keine Turnschuhe und Kapuzenpullis, die Uniform der Start-up-Gründer aus Kalifornien. Von endlosen Networking-Treffen mit anderen Gründern hält er nicht viel. Durch sein neues Büro fährt niemand Skateboard, es gibt keinen Kickertisch. Seine Mitarbeiterin und er sitzen still an dunklen Schreibtischen. Draußen brummt der Verkehr von Manhattans Third Avenue, drinnen wird gearbeitet.



Immer noch Anziehungspunkt für Gründer: New York.

Als Herrlich entschieden hat, dass seine Münchner Software-Firma Intraworlds nun reif für die Expansion nach Amerika ist, stand für ihn sofort fest: New York muss es werden, nicht das Silicon Valley. „Wir gehen dorthin, wo der Markt ist“, sagt der Jungunternehmer. „Hier können wir mit der U-Bahn zu 100 möglichen Kunden fahren. Keine Stadt der Welt bietet mehr Zugang zu potenziellen Kunden.“ Intraworlds hat eine Software entwickelt, die Unternehmen hilft, eine „Talent-Community“ aufzubauen. Es geht darum, geeignete Mitarbeiter aufzuspüren, anzusprechen und an das Unternehmen zu binden, zum Beispiel ehemalige Praktikanten. Herrlichs Zielgruppe sind Kanzleien, Unternehmensberatungen, Banken und große Konzerne – und die sitzen oft in New York.

Seit Anfang des Jahres ist Herrlich hier, zuerst immer nur ein paar Tage am Stück, inzwischen lebt er hier. Seine Frau kommt im Januar nach. Bei dem großen Schritt hat ihm der German Accelerator geholfen, eine Initiative, die deutsche Start-ups auf dem Weg nach Amerika unterstützt. Sie bekommen einen Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro und Berater zur Seite gestellt, die Tipps über den US-Markt geben und helfen, Kontakte zu knüpfen. Deutsche Unternehmen wie die Telekom und VW sponsern das Programm. Auch das Bundeswirtschaftsministerium schießt zu, von nächstem Jahr an werden es zwei Millionen Euro sein. Der Standort in New York ist neu. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist kürzlich in die Stadt gekommen, um ihn zu eröffnen. „Für die meisten Start-ups ist eine frühe Internationalisierung insbesondere in Richtung des amerikanischen Marktes eine Überlebensfrage“, sagt er. Das gilt schon allein, weil der amerikanische Absatzmarkt so viel größer ist als der deutsche. Zwölf Start-ups pro Jahr holt der Accelerator nach New York, 24 ins Silicon Valley.

Wer nach New York kommt, sucht etwas anderes als im Silicon Valley. Gründer wie Herrlich von Intraworlds haben die technischen Fragen für ihre Unternehmensidee meist schon gelöst. Sie kommen nach Amerika, um ihr fertiges Produkt zu verkaufen und um Geld bei amerikanischen Investoren einzusammeln. Denn Kapital für Gründer ist noch immer ein Problem in Deutschland – trotz der wachsenden Start-up-Szene vor allem in Berlin. Es fehle nicht an Ideen im Land, sagt Gabriel, und wer eine gute Idee hat, finde meist auch einen Wagniskapitalgeber für die ersten kleineren Summen. „Das Problem ist die Wachstumsphase, da fehlt jungen Unternehmen oft das Geld. Es ist sehr schwer, zehn oder 20Millionen Euro für die Internationalisierung zu bekommen“, so der Minister. „Die Wagniskapital-Kultur ist bei uns längst nicht so ausgeprägt wie in Amerika. Viel weniger Großkonzerne sind bereit, Venture-Capital-Töchter zu gründen.“

Der German Accelerator in New York vermittelt auch Kontakte zu amerikanischen Geldgebern. „Ich habe ja selbst schon öfter Kapital für meine Start-ups gesammelt, jetzt kann ich anderen dabei helfen“, sagt Christian Jörg, einer der Mentoren der New Yorker Start-up-Schmiede. Er hat schon drei Firmen in der Medien- und Musikbranche gegründet und für Konzerne wie Bertelsmann gearbeitet. „Die anderen Mentoren und ich können die Gründer vorstellen, wir kennen die richtigen Leute in fast allen Branchen hier.“ Und er hilft bei den kulturellen Unterschieden. „Amerikaner sind wesentlich lockerer, besonders in der Start-up-Szene“, sagt er. „Gleichzeitig muss man aggressiver sein. Alles geht hier viel schneller, besonders in New York.“

Gründer Herrlich schwärmt von den guten Kontakten seines Mentors, eines Software-Industrie-Veteranen. Bei einer möglichen Partnerfirma konnte der Deutsche direkt beim Unternehmenschef vorbeischauen. „Ohne die Empfehlung hätte der mich vielleicht gar nicht reingelassen“, sagt Herrlich. Auch dank des Netzwerks seines Mentors hat Intraworlds schon neue Kunden in Amerika gewonnen, unter anderem die US-Tochter von Bosch. Herrlichs amerikanische Tochterfirma verdient bereits genug, um ihre eigenen Kosten zu tragen. Vor ein paar Monaten hat er seine erste amerikanische Mitarbeiterin eingestellt. „Das war ein tolles Gefühl“, sagt er. Zwei weitere Stellen hat er gerade ausgeschrieben. Herrlich hat noch drei Monate im Accelerator vor sich, dann will er es allein versuchen. Gerade hat er ein Investorenvisum bekommen – es war ein ziemlicher Papierkrieg mit 200 Seiten Antragsformular. Der Accelerator hat ihm eine Anwältin vermittelt, die ihm dabei geholfen hat. Jetzt kann er fünf Jahre in den USA bleiben.

Viele von Herrlichs deutschen Gründer-Kollegen haben Angst vor dem Schritt nach Amerika: zu groß, zu weit weg, zu viel Konkurrenz, fremde Kultur, fremde Sprache, die Zeitverschiebung. Manch deutsches Start-up ist an der US-Bürokratie bereits gescheitert, etwa Wummelkiste aus Berlin, das Kisten mit Bastel- und Spielsachen an Kinder verschickt, aber an harten amerikanischen Zollvorschriften nicht vorbeikam und das US-Geschäft wieder schloss. Vor so etwas soll der Accelerator schützen. In der neuen Runde ab 2015 sind unter anderem deutsche Jungunternehmen im New Yorker Accelerator, die an einem Handy-Bezahlsystem, einer iPad-Zeitung oder an Soundtechnik für Live-Konzerte arbeiten. Das Interesse an Plätzen ist groß, es bewerben sich weit mehr Gründer, als Plätze verfügbar sind, meist aus den Branchen, die in der Metropole groß sind: Medien, Musik, Finanzen, Werbung.

Manche Deutsche haben es auch ohne Accelerator in New York geschafft, zum Beispiel das Unternehmen Kitchensurfing. Das Start-up des gebürtigen Hamburgers Borahm Cho vermittelt Profi-Köche an Leute, die gern zu Hause bekocht werden wollen – es ist ein Riesenerfolg, inzwischen gibt es Kitchensurfing in acht Städten, auch in Berlin. New York war der richtige Standort, um sein Start-up zu gründen, sagt Cho. „Hier in der Stadt sind die Leute experimentierfreudig. Und jeder redet übers Essen.“ Auch die Start-up-Kultur an der amerikanischen Ostküste hat ihn angezogen. „Das Leben ist gut hier, aber die Leute sind hier, weil sie etwas tun wollen, sie wollen nicht nur reden, sondern handeln.“

Intraworlds-Gründer Herrlich hat viel gelernt, seit er in New York ist. Zum Beispiel über den Wettbewerb. Die Konkurrenten in Amerika wirkten aus der Ferne viel schillernder, als sie wirklich sind. „Man ist da leicht eingeschüchtert. Wenn man sich die Unternehmen dann anschaut, sieht man, dass sie ein Produkt bewerben, das es noch gar nicht gibt. Die Amerikaner sind besser darin, sich zu vermarkten“, sagt er. Wenn er das gewusst hätte, hätte er schon früher den großen Schritt nach New York gewagt, sagt er. „Für uns ging hier vieles leichter und schneller als gedacht. Man sollte die Herausforderungen nicht überschätzen.“



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