Sieglinde Hofmann, lila Bluse, dunkler Blazer, fasste sich kurz. Sie hätte den Richtern des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart damals, im März 2011, so viel sagen können über ihre Geschichte und über die der Roten Armee Fraktion. Aber sie sagte nur: 66 Jahre alt, Rentnerin, „und das reicht“. Rolf Heißler zitterte merklich, als er vor das Gericht trat, auch er wollte nicht mehr beitragen: 65, ohne Beruf, Hartz-IV-Empfänger. Von Waltraud Liewalds Vernehmung ist überliefert, dass junge Aktivisten ein Solidaritätstransparent entrollten; zur Sache sagte sie kein Wort. Nun droht den Schweigenden womöglich ein Verfahren, in dem sie nicht Zeugen sind, sondern Beschuldigte: Die Bundesanwaltschaft hat erneut Ermittlungen gegen ehemalige Terroristen aufgenommen – wegen des Verdachts, am Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen beiden Begleitern im April 1977 beteiligt gewesen zu sein. Nach Zeitungsberichten soll es sich um Hofmann, Heißler und Liewald handeln, sowie um Adelheid Schulz und Angelika Speitel. Und um jemanden, der das Schweigen schon früh gebrochen hatte: um Peter-Jürgen Boock. Auch der Name Rolf Clemens Wagner wurde zunächst genannt, doch der ist bereits im Februar gestorben.
In der Mehrzweickhalle in Stuttgart-Stammheim finden wichtige Prozesse des Oberlandesgerichts. Am Mittwoch hat hier ein Prozess gegen drei mutmaßliche RAF-Unterstützer begonnen.
Ein neues Ermittlungsverfahren, 37 Jahre nach dem Anschlag von Karlsruhe? Gegen ehemalige RAF-Mitglieder, die bereits einen großen Teil ihres Lebens hinter Gittern verbracht haben? Hofmann wurde 1999 nach 19 Jahren Haft entlassen, Heißler kam 2001 nach 22 Jahren frei und Adelheid Schulz wurde 1998 nach 16 Jahren Haft wegen einer schweren Krankheit begnadigt. Auch Angelika Speitel, 1979 wegen einer tödlichen Schießerei bei ihrer Festnahme zu lebenslang verurteilt, kam 1990 durch einen Gnadenerlass frei. Sie habe sich „nachhaltig vom Terrorismus abgewandt ... und ihre Tat aufrichtig bereut“, attestierte ihr der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Auch Boock, der ewige Kronzeuge, hat 18 Jahre verbüßt. Was könnte ein neues Urteil dem hinzufügen?
Die neuerlichen Ermittlungen sind letztlich eine Konsequenz des Stuttgarter Urteils gegen Verena Becker vom 6. Juli 2012. Im Sommer 1976, so hat das OLG festgestellt, hatte sich die RAF in Jemen unter Leitung von Siegfried Haag neu formiert; schon damals war von einem Anschlag auf Buback die Rede. Im Herbst wollte man die Sache bei einem Treffen im Harz in der Nähe von Goslar vorantreiben – doch kurz darauf wurde Haag, der Kopf der Bande, verhaftet. Der Plan musste neu diskutiert werden. Um den Neujahrstag 1977 fand man sich zum entscheidenden Vorbereitungstreffen im holländischen Katwijk zusammen, um die Mordpläne zu konkretisieren.
Verena Becker war in jeder Phase dabei, in Jemen, im Harz, in Holland. Vor allem beim letzten Treffen hat sie laut OLG zu jenen gehört, welche die Forderung der Stammheimer Häftlinge („Der General muss weg“) mit Nachdruck vertreten haben. Freilich war sie damals nicht die Einzige, die die Hand für Bubacks Ermordung gehoben hat. Als Peter-Jürgen Boock, der redselige RAF-Logistiker, damals gefragt wurde, ob Becker den Anschlagsplan „mit Vehemenz“ vertreten habe, antwortete er offenherzig: „So wie ich auch.“
Und wie die anderen, die dabei waren: Sieglinde Hofmann, Adelheid Schulz, Angelika Speitel, Rolf Heißler – sie alle waren in Katwijk, hat das OLG festgestellt. Nach der Logik des Becker-Urteils würde dies Beihilfe zum Mord bedeuten. Nur bei Boocks Ex-Frau Waltraud Liewald, die im Harz, nicht aber in Holland dabei war, wird man hier einige Abstriche machen müssen, sie saß Ende 1976 bereits im Gefängnis, festgenommen nach einem Banküberfall in Wien. Gegen sie wäre allenfalls der Vorwurf einer „Verabredung“ zum Mord denkbar.
Wenn man die Sache mit der Brille des Formaljuristen betrachtet, wäre gegen die Ermittlungen also wenig einzuwenden – Mord verjährt nicht. Freilich hatte sich die Bundesanwaltschaft schon vor Jahrzehnten von solchen formalen Kategorien gelöst. Unter Generalbundesanwalt Kurt Rebmann galt die Regel: Kein neues Verfahren gegen RAF-Terroristen, gegen die bereits eine lebenslange Haftstrafe verhängt worden ist – es sei denn, jemand war eigenhändig und unmittelbar an dem Verbrechen beteiligt. Dass eine späte Anklage wegen Beihilfe den früheren Urteilen wenig hinzufügen kann, hat sich auch im Becker-Prozess gezeigt. Ins Gefängnis musste sie nicht mehr, denn ihre vierjährige Haftstrafe wurde teilweise mit früheren Verurteilungen verrechnet und im Übrigen zur Bewährung ausgesetzt. Der von Siegfried Bubacks Sohn Michael erhobene Vorwurf, sie sei die Todesschützin gewesen, hatte sich in Stuttgart nicht nachweisen lassen.
Ob die Ermittlungen je in eine Anklage münden, wird man daher mit einem großen Fragezeichen versehen müssen. Dass etwa Adelheid Schulz – sie war nahe an der Karlsruher Gruppe dran, die für den Anschlag auf Buback verantwortlich war – noch einmal vor Gericht muss, dürfte äußerst unwahrscheinlich sein. Sie sitzt schwer krank im Rollstuhl.
Hinzu kommt: Jedes neue Strafverfahren dürfte das eiserne Schweigen, das bis heute in den Reihen der Ex-Terroristen herrscht, eher noch undurchdringlicher machen. Ihr Auftritt im Stuttgarter Prozess war in dieser Hinsicht eine eindrucksvolle Demonstration, dass die Parole auch heute noch gilt, die 1973 in einem Brief an die RAF-Gefangenen vertreten worden war: „Keiner spricht mit den Bullen. Kein Wort!“ Eine Parole, die 37 Jahre später, in einem Zeitungsartikel ehemaliger RAF-Mitglieder ihren Widerhall fand: „Wir machen keine Aussagen, weil wir keine Staatszeugen sind, damals nicht, heute nicht.“
Der ehemalige RAF-Ermittler Klaus Pflieger, bis vor Kurzem Stuttgarter Generalstaatsanwalt, wirbt daher seit geraumer Zeit dafür, den einstigen Terroristen den Weg zu einer Aussage zu ebnen: „Je länger eine Straftat zurückliegt, umso mehr erlangt das Interesse an der geschichtlichen Wahrheit gegenüber dem Interesse an der Strafverfolgung Gewicht“, schrieb er kürzlich. Deshalb müsse man es den ehemaligen RAF-Mitgliedern ermöglichen, sich zu offenbaren, „ohne sich selbst oder andere Gruppenangehörige einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen“. Das, so Pflieger, wäre ein Dienst vor allem an den Hinterbliebenen der Opfer. Michael Buback, Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, hatte im Becker-Verfahren zuvorderst interessiert, wer damals den Finger am Abzug hatte – eine Frage, die bis heute nicht mit Gewissheit beantwortet ist. Boock hatte zwar Stefan Wisniewski als möglichen Schützen genannt, doch konnte auch er keine zuverlässige Aussage machen.
Und der Mord an Buback gehört noch zu den Verbrechen, über die man vergleichsweise viel weiß. Die meisten RAF-Morde aus den 80er-Jahren sind noch nicht aufgeklärt.
In der Mehrzweickhalle in Stuttgart-Stammheim finden wichtige Prozesse des Oberlandesgerichts. Am Mittwoch hat hier ein Prozess gegen drei mutmaßliche RAF-Unterstützer begonnen.
Ein neues Ermittlungsverfahren, 37 Jahre nach dem Anschlag von Karlsruhe? Gegen ehemalige RAF-Mitglieder, die bereits einen großen Teil ihres Lebens hinter Gittern verbracht haben? Hofmann wurde 1999 nach 19 Jahren Haft entlassen, Heißler kam 2001 nach 22 Jahren frei und Adelheid Schulz wurde 1998 nach 16 Jahren Haft wegen einer schweren Krankheit begnadigt. Auch Angelika Speitel, 1979 wegen einer tödlichen Schießerei bei ihrer Festnahme zu lebenslang verurteilt, kam 1990 durch einen Gnadenerlass frei. Sie habe sich „nachhaltig vom Terrorismus abgewandt ... und ihre Tat aufrichtig bereut“, attestierte ihr der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Auch Boock, der ewige Kronzeuge, hat 18 Jahre verbüßt. Was könnte ein neues Urteil dem hinzufügen?
Die neuerlichen Ermittlungen sind letztlich eine Konsequenz des Stuttgarter Urteils gegen Verena Becker vom 6. Juli 2012. Im Sommer 1976, so hat das OLG festgestellt, hatte sich die RAF in Jemen unter Leitung von Siegfried Haag neu formiert; schon damals war von einem Anschlag auf Buback die Rede. Im Herbst wollte man die Sache bei einem Treffen im Harz in der Nähe von Goslar vorantreiben – doch kurz darauf wurde Haag, der Kopf der Bande, verhaftet. Der Plan musste neu diskutiert werden. Um den Neujahrstag 1977 fand man sich zum entscheidenden Vorbereitungstreffen im holländischen Katwijk zusammen, um die Mordpläne zu konkretisieren.
Verena Becker war in jeder Phase dabei, in Jemen, im Harz, in Holland. Vor allem beim letzten Treffen hat sie laut OLG zu jenen gehört, welche die Forderung der Stammheimer Häftlinge („Der General muss weg“) mit Nachdruck vertreten haben. Freilich war sie damals nicht die Einzige, die die Hand für Bubacks Ermordung gehoben hat. Als Peter-Jürgen Boock, der redselige RAF-Logistiker, damals gefragt wurde, ob Becker den Anschlagsplan „mit Vehemenz“ vertreten habe, antwortete er offenherzig: „So wie ich auch.“
Und wie die anderen, die dabei waren: Sieglinde Hofmann, Adelheid Schulz, Angelika Speitel, Rolf Heißler – sie alle waren in Katwijk, hat das OLG festgestellt. Nach der Logik des Becker-Urteils würde dies Beihilfe zum Mord bedeuten. Nur bei Boocks Ex-Frau Waltraud Liewald, die im Harz, nicht aber in Holland dabei war, wird man hier einige Abstriche machen müssen, sie saß Ende 1976 bereits im Gefängnis, festgenommen nach einem Banküberfall in Wien. Gegen sie wäre allenfalls der Vorwurf einer „Verabredung“ zum Mord denkbar.
Wenn man die Sache mit der Brille des Formaljuristen betrachtet, wäre gegen die Ermittlungen also wenig einzuwenden – Mord verjährt nicht. Freilich hatte sich die Bundesanwaltschaft schon vor Jahrzehnten von solchen formalen Kategorien gelöst. Unter Generalbundesanwalt Kurt Rebmann galt die Regel: Kein neues Verfahren gegen RAF-Terroristen, gegen die bereits eine lebenslange Haftstrafe verhängt worden ist – es sei denn, jemand war eigenhändig und unmittelbar an dem Verbrechen beteiligt. Dass eine späte Anklage wegen Beihilfe den früheren Urteilen wenig hinzufügen kann, hat sich auch im Becker-Prozess gezeigt. Ins Gefängnis musste sie nicht mehr, denn ihre vierjährige Haftstrafe wurde teilweise mit früheren Verurteilungen verrechnet und im Übrigen zur Bewährung ausgesetzt. Der von Siegfried Bubacks Sohn Michael erhobene Vorwurf, sie sei die Todesschützin gewesen, hatte sich in Stuttgart nicht nachweisen lassen.
Ob die Ermittlungen je in eine Anklage münden, wird man daher mit einem großen Fragezeichen versehen müssen. Dass etwa Adelheid Schulz – sie war nahe an der Karlsruher Gruppe dran, die für den Anschlag auf Buback verantwortlich war – noch einmal vor Gericht muss, dürfte äußerst unwahrscheinlich sein. Sie sitzt schwer krank im Rollstuhl.
Hinzu kommt: Jedes neue Strafverfahren dürfte das eiserne Schweigen, das bis heute in den Reihen der Ex-Terroristen herrscht, eher noch undurchdringlicher machen. Ihr Auftritt im Stuttgarter Prozess war in dieser Hinsicht eine eindrucksvolle Demonstration, dass die Parole auch heute noch gilt, die 1973 in einem Brief an die RAF-Gefangenen vertreten worden war: „Keiner spricht mit den Bullen. Kein Wort!“ Eine Parole, die 37 Jahre später, in einem Zeitungsartikel ehemaliger RAF-Mitglieder ihren Widerhall fand: „Wir machen keine Aussagen, weil wir keine Staatszeugen sind, damals nicht, heute nicht.“
Der ehemalige RAF-Ermittler Klaus Pflieger, bis vor Kurzem Stuttgarter Generalstaatsanwalt, wirbt daher seit geraumer Zeit dafür, den einstigen Terroristen den Weg zu einer Aussage zu ebnen: „Je länger eine Straftat zurückliegt, umso mehr erlangt das Interesse an der geschichtlichen Wahrheit gegenüber dem Interesse an der Strafverfolgung Gewicht“, schrieb er kürzlich. Deshalb müsse man es den ehemaligen RAF-Mitgliedern ermöglichen, sich zu offenbaren, „ohne sich selbst oder andere Gruppenangehörige einer strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen“. Das, so Pflieger, wäre ein Dienst vor allem an den Hinterbliebenen der Opfer. Michael Buback, Sohn des ermordeten Generalbundesanwalts, hatte im Becker-Verfahren zuvorderst interessiert, wer damals den Finger am Abzug hatte – eine Frage, die bis heute nicht mit Gewissheit beantwortet ist. Boock hatte zwar Stefan Wisniewski als möglichen Schützen genannt, doch konnte auch er keine zuverlässige Aussage machen.
Und der Mord an Buback gehört noch zu den Verbrechen, über die man vergleichsweise viel weiß. Die meisten RAF-Morde aus den 80er-Jahren sind noch nicht aufgeklärt.