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In die Leere gegangen

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Den Stadtteil Oberschöneweide kennt man in der Hauptstadt vor allem dafür, dass er gerne „Oberschweineöde“ genannt wird, nicht ganz zu Unrecht. Weit draußen im Osten liegt dieser Flecken Berlins, dahinter ist die Stadt schon zu Ende. Sonst gibt es in Oberschöneweide Durchzugsstraßen und die Ruinen der Industrie, die hier mal angesiedelt war, mit einem Wort: Hierher kommt nur, wer muss. Etwa die Leute, die an der Hochschule für Technik und Wirtschaft studieren, die sich auf einem früheren Fabrikgelände befindet.



Ballett in der Cuvry-Brache: Ein Beispiel für die Nutzung der vielen freien Flächen in Berlin.

Doch bald könnte Oberschöneweide der Teil von Berlin sein, den man mit Bryan Adams verbindet, dem Rockstar, weltweit bekannt seit seinem Hit „Summer of ’69“. Adams hat in Oberschönweide eine alte Fabrikhalle gekauft und will sie nun in ein Kulturzentrum verwandeln. Mit Ateliers für sich und andere Künstler, die Redaktion der Zeitschrift Zoo Magazine, das er mitbegründet hat, soll auch dort einziehen. „Ich möchte ein Teil der Stadt sein“, sagte Adams der Berliner Zeitung, „ein winziges Sandkorn bei der Neugestaltung.“

Sand ist ein gutes Stichwort auf dem brachliegenden Areal. Bröckelnde gelb-braune Backsteingebäude mit hohen Toren, rundherum Schutt und Unkraut. Hier wurden früher Kabel verarbeitet, was etwa so lange her ist wie Bryan Adams’ erster Erfolg mit dem Album „Reckless“, 30 Jahre also. Doch im kommenden Jahr werde hier „ein drehender Kran“ stehen, sagt Thomas Niemeyer, der als Leiter des Regionalmanagements auf der Seite des Bezirks mit dem Verkauf zu tun hatte. Auch der chinesische Künstler Ai Wei Wei hatte 2011 Interesse an vier alten Hallen gezeigt, doch dann wurde er von den chinesischen Behörden unter Hausarrest gesetzt. Oberschöneweide, so Niemeyer, sei auf dem besten Weg, ein „neuer In-Stadtteil“ zu werden. Künstler und Studenten seien hergezogen, und auf den T-Shirts, die die jungen Frauen ironisch auf den Partys von Oberschöneweide tragen, stehe „Schöne Oberweide“. Warum? „Hier gibt es noch genügend Freiräume zum Entfalten“, sagt Niemeyer.

Was anderswo Strände, Wälder oder Seen sind, sind in Berlin die Brachen. Die Orte, an denen sich die Lebensqualität einer Stadt misst: Die Brachen stehen für den Platz, den man hat. Für Partys, Projekte, für Freizeit und das Gefühl von Freiheit, und alles mitten in der Stadt, einfach so.

Doch die Brachen ziehen längst nicht nur die Berliner an, sie sind inzwischen auch über die Hauptstadt hinaus nachgefragt. Bei Rockstars, aber auch bei internationalen Investoren. Berlins Brachen, ob verfallene Fabriken, leer stehende Verwaltungsgebäude oder aufgelassene Flughäfen, sind eine begehrte Ressource.

Die berühmteste Brache ist zugleich bestes Beispiel und Mahnmal für diese Entwicklung: das Kunsthaus Tacheles in Mitte. Die Ruine eines Kaufhauses wurde nach der Wende von Künstlern entdeckt und bezogen. Mit seinen Ateliers, Kinos und den vielen bunten Graffiti wurde das Tacheles über die Jahre zur Touristenattraktion. Als einer der letzten Orte, der den Veränderungen und Verschönerungen rundherum den rauen Charme der Neunziger entgegenzuhalten schien. Dann wurde das Tacheles an ein Immobilienunternehmen verkauft, das Gebäude nach langem Rechtsstreit geräumt. Vor einem Monat ging das Areal in bester Hauptstadtlage dann für 150 Millionen an eine internationale Private Equity Firma. Sie will Hotels, Gewerbe, Wohnungen und anderes hier ansiedeln. Was mit dem Tacheles passiert, ist unklar. „How long is now“ steht auf der berühmt gewordenen bemalten Feuermauer, und das ist tatsächlich die Frage: Wie lange wird es solche Leerstellen in Berlin noch geben?

Anderen Brachen steht Ähnliches bevor. Da ist zum Beispiel die ehemalige Eisfabrik am Spreeufer in Mitte, eine dieser imposanten Berliner Industrieruinen, die unter anderen Umständen vielleicht schon ein Technoclub oder ein Kulturzentrum wären. Doch das Gebäude steht seit Jahren leer, nur Touristen pilgern hierher, um einen Eindruck vom wilden, unfertigen Berlin zu bekommen. Für das Gebäude, das einem Unternehmer gehört, gibt es die unterschiedlichsten Pläne, vom Abriss bis hin zum Kunstort.
Oder das RAW-Gelände in Friedrichshain, eine der letzten Industriebrachen in der Innenstadt. Einst war hier das „Reichsbahnausbesserungswerk“, jetzt haben sich Clubs, Restaurants, eine Skate- und eine Konzerthalle angesiedelt, ein Musiksalon und Bars, die etwa „Zum schmutzigen Hobby“ heißen. Nachts ist hier so viel los, dass der lang gezogene Ort laut Stadtmagazin Tip im Berliner Partyjargon nur „Technostrich“ genannt wird. Doch auch diese Brache ist in den Händen unterschiedlicher Investoren, die sich nicht einig sind. In Berlin fragt man sich daher immer öfter, wie man solche Orte bewahren, das Improvisierte retten kann, so wie anderswo ein Naturschutzgebiet.

Vom viel befahrenen Moritzplatz führt zwischen Kreuzberger Häusern ein schmaler Durchgang in den Prinzessinnengarten. Aber was heißt: Garten. Es ist schon fast ein Wäldchen, das sich hier auftut. Robinien biegen sich im Wind, rundherum Büsche und eine Linde. Dazwischen unzählige Kisten, die als Beete dienen, Bienenstöcke und aus Holzpaletten gezimmerte Unterstände für ein Café. Der Prinzessinnengarten ist genau das, was ein richtiges Berliner Paradies ausmachen sollte: improvisierte Idylle.

Es ist ein milder Herbsttag, die letzte Ernte ist im Gang. Die Leute, die hier angebaut haben, pflücken Mangold, koreanische Minze, Salat, Liebstöckel oder Oregano. Ein paar Anwohner sind gekommen, um hier Mittag zu essen, eine französische Touristengruppe wuselt durch. An einem aus Getränkekästen gebastelten Tresen steht Marco Clausen. Clausen, eigentlich Historiker, der gemeinsam mit einem Filmemacher den Prinzessinnengarten seit 2009 betreibt, kann sich noch gut erinnern, was hier früher war. Lagerfläche, ein Parkplatz und sehr viel Geröll. Die beiden haben dann Mitstreiter für einen „mobilen Garten“ gesucht und die Brache in eine wahrlich blühende Landschaft verwandelt. Inzwischen zählen sie hier 70000 Besucher im Jahr und beschäftigen immerhin 20 Leute.

Marco Clausen sagt, Orte wie dieser seien die „Identität Berlins“. Doch solche Liegenschaften gehörten auch zu den wenigen Dingen, die das Land Berlin versilbern kann. Lange interessierten die Brachen keinen, der Einbruch der Immobilienpreise durch die Finanzkrise tat ein Übriges. Doch seit einigen Jahren ist die Hauptstadt begehrt, und die Preise ziehen an, besonders in Kreuzberg. Auch dem Prinzessinnengarten stand schon mal der Verkauf des Grundstücks bevor. Die Betreiber haben dann zu einem Protest aufgerufen, „Wachsen lassen“, hieß die Parole. Der Bezirk gab ihnen schließlich einen Mietvertrag, er läuft bis 2018. Dann wird wohl auch hier ein Investor kommen.

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