Es gibt eine Feier des Filmemachers, die sein Werk zu verdrängen droht. Besonders bei den Helden des Arthouse-Kinos, und besonders natürlich in Frankreich, dem Mutterland der „politique des auteurs“. Dort läuft aktuell ein Trailer für „Mommy“, der nur wenige Bilder des Films zeigt – dafür aber umso mehr seinen Regisseur und Autor, Xavier Dolan.
„Mommy“ und Steve in Dolans neuem Film, für den er den Jurypreis in Cannes erhalten hat.
Man sieht, wie der 25-Jährige den Jurypreis in Cannes empfängt, seinem Vorbild Jane Campion huldigt und, den Tränen nahe, einen emotionalen Appell an „seine Generation“ richtet: „Die Welt muss verändert werden“. Oder Bilder der Vorpremiere in einem großen Pariser Kino: Die Zuschauer, vor allem ältere Frauen, stehen Schlange, sind begeistert, applaudieren. Dolan, so der Konsens hier, ist ein Genie. Ein Wunderknabe aus dem kanadischen Québec, der – wie eine gerührte Verehrerin berichtet – mit seinen fünf Spielfilmen ja schon „ein ganzes Werk“ geschaffen habe.
Und der Mann tut auch alles, um dem Label gerecht zu werden. Gleich am Anfang von „Mommy“ erinnert er daran, dass man in einem Dolan-Film ist. Da sieht man die „Mommy“ (Anne Dorval) beim Apfelpflücken. Die Kamera fährt über ihre langen Beine, dann über den Apfel, in Unschärfe, im goldgelben Gegenlicht. Macht Dolan hier einen auf Terrence Malick (auf „Genie“) oder doch nur auf geschmackvolle Werbung (für Kleider, Parfum oder einen neuen Film von Xavier Dolan)? Schaut, scheint er zu sagen, ich hab’ eine Idee, und noch eine, und seht nur, wie hübsch das Licht fällt! Aber frisch und roh muss das alles natürlich trotzdem wirken, weshalb der Film wie mit einem iPhone im eng abgeschnittenen Hochformat gedreht ist.
Nun hat die „Mommy“ einen Sohn, und zwar einen schwer erziehbaren. Steve (Antoine-Olivier Pilon) kommt am Anfang von einer Besserungsanstalt, die er halb abgefackelt hat. Er zieht wieder bei Mutter ein, kann vor Energie und Kraftausdrücken kaum an sich halten, manchmal wird er gewalttätig, aber er ist ein lieber Kerl, „ein Prinz“, wie seine Mutter sagt. Bald lernen sie die schüchterne Nachbarin kennen (Suzsanne Clément), und für einen Moment sieht es so aus, als würde sich das Leben nun für alle zum Besseren wenden.
Steve, der wilde Sonderling, erinnert an Dolan – an jenen Jungen, den Dolan selbst in seinem Erstling „Ich habe meine Mutter getötet“ spielt, wo ein Sechzehnjähriger ebenfalls Probleme mit seiner Mutter (auch Dorval) hat. Steve will Schauspieler werden, sich an der renommierten Juilliard School in New York bewerben. Dolan selbst war Schauspieler, bevor er mit neunzehn anfing, Filme zu machen, in denen er meist selbst mitspielte und die durch die Blume von ihm handeln: einem jungen, begabten Künstler mit Geschmack und Gefühl.
„Herzensbrecher“, angesiedelt in der Montrealer Hipster-Szene, war in dieser Hinsicht exemplarisch. Orangefarbene Kaschmirpullover für 455 Dollar, Audrey Hepburn, Michelangelo, Picasso und Wong Kar-Wai – eine große Modenschau im Vintage-Look. Und in „Laurence Anyways“ gab’s den netten transsexuellen David Bowie von nebenan. So ausgefallen, wie es scheint, ist Dolans Geschmack keineswegs.
Erstaunlich dreist setzt er zum Beispiel Popschnulzen ein: In „Mommy“ liefern Dido, Lana Del Rey, Andrea Bocelli und Céline Dion die Untermalung für lange, clipartige Szenen: Steve, der wie wild einen Einkaufswagen auf einem Parkplatz kreisen lässt oder mit dem Skateboard durch die Straßen fährt. Einmal sieht er dabei aus wie Kate Winslet auf dem Bug der „Titanic“ – um dann mit ausgestreckten Armen die Ränder des engen Bildformats zur Seite zu schieben. Kurz befreit durchatmen, heißt das wohl, bis sich das Bild mit der Rückkehr der Tragödie wieder zusammenzieht. Was weniger innovativ als einfach nur symbolisch und naiv wirkt – fades, aber publikumswirksames Arthouse-Kino, das einem die Emotionen fertig vorserviert. Dolan-Fans können sicher sein, dass es bei ihm schon etwas „zu empfinden“ gibt, unabhängig von der konkreten Geschichte des Films.
„Die Skeptiker werden schon sehen“, sagt einmal die Löwenmutter zu einer Erzieherin, die Steve schon abgeschrieben hat. Skepsis ist unerwünscht, auch gegenüber Dolan selbst. Da liefern die Reaktionen in Frankreich dann wieder das beste Beispiel: Die intellektuell angezählten Cahiers du Cinéma haben Dolan längst zur Galionsfigur ihres neuen Leitbilds erhoben – eines Kinos der „Emotion“. Und die Sprachkünstler der Zeitschrift Les Inrocks treibt er zur erhöhten Oxymoron-Ausschüttung: Von einem „paradoxalen jungen Mann“ ist da die Rede, „reif und jung, schwer und leicht, arrogant und zerbrechlich“.
„Tarte ou crumble – Kuchen oder Streusel?“, fragt die Mutter gegen Ende die Nachbarin einmal. Auf Französisch heißt „tarte“ auch „Ohrfeige“. Dolans Kino will beides sein: Schlag ins Gesicht, aber auch lecker. Welche Kritik verdient er also – Ohrfeige oder Streuselkuchen? Weder noch. Dolan ist ein guter Macher, der im jungen Alter ebenso durchschnittliche Filme dreht wie andere im höheren. Das Paradox, das ihn am besten beschreiben würde, wäre: begabt und mittelmäßig.
„Mommy“ und Steve in Dolans neuem Film, für den er den Jurypreis in Cannes erhalten hat.
Man sieht, wie der 25-Jährige den Jurypreis in Cannes empfängt, seinem Vorbild Jane Campion huldigt und, den Tränen nahe, einen emotionalen Appell an „seine Generation“ richtet: „Die Welt muss verändert werden“. Oder Bilder der Vorpremiere in einem großen Pariser Kino: Die Zuschauer, vor allem ältere Frauen, stehen Schlange, sind begeistert, applaudieren. Dolan, so der Konsens hier, ist ein Genie. Ein Wunderknabe aus dem kanadischen Québec, der – wie eine gerührte Verehrerin berichtet – mit seinen fünf Spielfilmen ja schon „ein ganzes Werk“ geschaffen habe.
Und der Mann tut auch alles, um dem Label gerecht zu werden. Gleich am Anfang von „Mommy“ erinnert er daran, dass man in einem Dolan-Film ist. Da sieht man die „Mommy“ (Anne Dorval) beim Apfelpflücken. Die Kamera fährt über ihre langen Beine, dann über den Apfel, in Unschärfe, im goldgelben Gegenlicht. Macht Dolan hier einen auf Terrence Malick (auf „Genie“) oder doch nur auf geschmackvolle Werbung (für Kleider, Parfum oder einen neuen Film von Xavier Dolan)? Schaut, scheint er zu sagen, ich hab’ eine Idee, und noch eine, und seht nur, wie hübsch das Licht fällt! Aber frisch und roh muss das alles natürlich trotzdem wirken, weshalb der Film wie mit einem iPhone im eng abgeschnittenen Hochformat gedreht ist.
Nun hat die „Mommy“ einen Sohn, und zwar einen schwer erziehbaren. Steve (Antoine-Olivier Pilon) kommt am Anfang von einer Besserungsanstalt, die er halb abgefackelt hat. Er zieht wieder bei Mutter ein, kann vor Energie und Kraftausdrücken kaum an sich halten, manchmal wird er gewalttätig, aber er ist ein lieber Kerl, „ein Prinz“, wie seine Mutter sagt. Bald lernen sie die schüchterne Nachbarin kennen (Suzsanne Clément), und für einen Moment sieht es so aus, als würde sich das Leben nun für alle zum Besseren wenden.
Steve, der wilde Sonderling, erinnert an Dolan – an jenen Jungen, den Dolan selbst in seinem Erstling „Ich habe meine Mutter getötet“ spielt, wo ein Sechzehnjähriger ebenfalls Probleme mit seiner Mutter (auch Dorval) hat. Steve will Schauspieler werden, sich an der renommierten Juilliard School in New York bewerben. Dolan selbst war Schauspieler, bevor er mit neunzehn anfing, Filme zu machen, in denen er meist selbst mitspielte und die durch die Blume von ihm handeln: einem jungen, begabten Künstler mit Geschmack und Gefühl.
„Herzensbrecher“, angesiedelt in der Montrealer Hipster-Szene, war in dieser Hinsicht exemplarisch. Orangefarbene Kaschmirpullover für 455 Dollar, Audrey Hepburn, Michelangelo, Picasso und Wong Kar-Wai – eine große Modenschau im Vintage-Look. Und in „Laurence Anyways“ gab’s den netten transsexuellen David Bowie von nebenan. So ausgefallen, wie es scheint, ist Dolans Geschmack keineswegs.
Erstaunlich dreist setzt er zum Beispiel Popschnulzen ein: In „Mommy“ liefern Dido, Lana Del Rey, Andrea Bocelli und Céline Dion die Untermalung für lange, clipartige Szenen: Steve, der wie wild einen Einkaufswagen auf einem Parkplatz kreisen lässt oder mit dem Skateboard durch die Straßen fährt. Einmal sieht er dabei aus wie Kate Winslet auf dem Bug der „Titanic“ – um dann mit ausgestreckten Armen die Ränder des engen Bildformats zur Seite zu schieben. Kurz befreit durchatmen, heißt das wohl, bis sich das Bild mit der Rückkehr der Tragödie wieder zusammenzieht. Was weniger innovativ als einfach nur symbolisch und naiv wirkt – fades, aber publikumswirksames Arthouse-Kino, das einem die Emotionen fertig vorserviert. Dolan-Fans können sicher sein, dass es bei ihm schon etwas „zu empfinden“ gibt, unabhängig von der konkreten Geschichte des Films.
„Die Skeptiker werden schon sehen“, sagt einmal die Löwenmutter zu einer Erzieherin, die Steve schon abgeschrieben hat. Skepsis ist unerwünscht, auch gegenüber Dolan selbst. Da liefern die Reaktionen in Frankreich dann wieder das beste Beispiel: Die intellektuell angezählten Cahiers du Cinéma haben Dolan längst zur Galionsfigur ihres neuen Leitbilds erhoben – eines Kinos der „Emotion“. Und die Sprachkünstler der Zeitschrift Les Inrocks treibt er zur erhöhten Oxymoron-Ausschüttung: Von einem „paradoxalen jungen Mann“ ist da die Rede, „reif und jung, schwer und leicht, arrogant und zerbrechlich“.
„Tarte ou crumble – Kuchen oder Streusel?“, fragt die Mutter gegen Ende die Nachbarin einmal. Auf Französisch heißt „tarte“ auch „Ohrfeige“. Dolans Kino will beides sein: Schlag ins Gesicht, aber auch lecker. Welche Kritik verdient er also – Ohrfeige oder Streuselkuchen? Weder noch. Dolan ist ein guter Macher, der im jungen Alter ebenso durchschnittliche Filme dreht wie andere im höheren. Das Paradox, das ihn am besten beschreiben würde, wäre: begabt und mittelmäßig.