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Kommt in die Tüte

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Auch wenn irgendwann einmal all die menschlichen Rätsel von Krieg und Liebe aufgeklärt sein sollten, ein Rätsel wird wohl bleiben: das mit den Plastiktüten. Etwa 100 Milliarden davon werden jedes Jahr aus wertvollem Rohöl allein für die Europäer hergestellt, nur damit diese sie im Schnitt 20 Minuten benutzen. Die meisten Tüten enden dann in der Müllverbrennung, immerhin acht Milliarden Stück aber haben ein langes Leben vor sich. Sie landen in Flüssen, Meeren und in der Landschaft, wo sie noch Jahrhunderte zubringen, bevor sie abgebaut sind.



Man schätzt, dass weltweit bis zu einer Billion Plastiktüten pro Jahr produziert werden.

All das ahnt der durchschnittliche Konsument womöglich, doch wenn er an der Kasse steht, bleibt trotzdem die Frage: Wohin mit all dem Zeug? Sei es Bequemlichkeit oder der Zwang eines beschleunigten Alltags – den allerwenigsten gelingt es offenbar, ständig eine Einkaufstasche bei sich zu tragen.


Jetzt hat sich die EU der Sache angenommen. Sie will erreichen, dass künftig weniger Plastiktüten in Umlauf kommen. Unterhändler der 28 Mitgliedsländer, des Europaparlaments und der Brüsseler Kommission haben sich nach langem Streit auf einen Kompromiss geeinigt. Demnach soll der durchschnittliche Verbrauch von derzeit 200 Tüten je EU-Bürger und Jahr bis zum Jahr 2019 auf etwa 90 verringert werden. Bis 2025 sollen es dann nur noch 45Tüten sein. Der Einigung müssen die Botschafter der EU-Länder noch zustimmen. Dies könnte Ende der Woche geschehen. Die EU-Kommission zeigte sich in einer ersten Reaktion skeptisch. Eine Sprecherin erklärte, die Behörde unterstütze zwar das Ziel einer Minderung. Sie habe aber „Zweifel, was die Mittel angeht“.


Die EU–Länder sollen die Wahl zwischen zwei Methoden bekommen: Entweder sie machen dem Handel konkrete Zielvorgaben zur Reduzierung des Verbrauchs oder sie belegen jede Tüte von 2017 an mit einer Gebühr.


Die Unterstützer der Idee einer Abgabe haben derzeit ziemlich leichtes Spiel. Sie können auf das Beispiel Irland verweisen. Nachdem die Regierung dort 2002 eine Umweltsteuer von zunächst 15 und später 22 Cent je Tüte erhob, sank der Verbrauch um mehr als 90 Prozent. Heute ist Irland das Land in der EU mit dem geringsten Pro-Kopf-Verbrauch (siehe Grafik). Fischer und Meeresforscher finden seither deutlich weniger Tüten in der Nordsee.


Wie war das noch mit der Alternativlosigkeit an der Kasse? Ein paar Cent scheinen da schon viel zu bewirken. Denn von einem Tag auf den anderen schafften es die Iren ja offenbar, zum Einkaufen ein Behältnis mitzubringen. So, wie das die gesamte westliche Welt immer tat, bis das inzwischen untergegangene Kaufhaus Horten im rheinischen Neuss 1961 damit begann, die Einkäufe seiner Kunden in Plastik zu packen. Damals galt die Plastiktüte als Ausweis von Fortschrittlichkeit, heute ist sie vielen ein Symbol für die Wegwerfgesellschaft.


Und tatsächlich dreht sich die ganze Debatte zumindest in Europa größtenteils um Symbolik. Gehe es um Umweltbelastungen durch Kunststoffartikel, dann sei der Beitrag von Plastiktüten „aufgrund der geringen Gesamtmenge verhältnismäßig unbedeutend“, schreibt das Umweltbundesamt in einer Studie aus dem vergangenen Jahr. Gerade einmal 0,7 Prozent beträgt der Anteil von Plastiktüten am gesamten deutschen Kunststoffverbrauch.


In Irland habe sich allerdings gezeigt, argumentieren Umweltschützer, dass im selben Maße, wie die Tüte zurückgedrängt wurde, das Bewusstsein für die Müllproblematik gestiegen sei. Und natürlich ist da noch die Vorbildfunktion Europas.


Denn in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern ist das Problem mit der Tüte ein viel ernsteres. Nicht nur kommen dort viel mehr Tüten zum Einsatz, es werden oft auch viele kleine Tüten aus hauchdünnem Plastik benutzt. Die sind besonders gefährlich für die Umwelt, weil sie leicht von der Deponie geweht werden. Schlimmstenfalls ins Meer, wo die Plastikfetzen dann von Tieren für Nahrung gehalten werden. Bis zu 94 Prozent der Seevögel tragen in einigen Küstenregionen Plastikteile im Magen.


So flüchtig und so allgegenwärtig sind besonders die leichten Tüten, dass kein Mensch weiß, wie viele Plastiktüten auf der Welt insgesamt produziert werden. Von 500 Milliarden im Jahr reichen die Schätzungen, bis hin zu einer Billion.


Einige Länder, von denen man es nicht unbedingt vermuten würde, sind beim Kampf gegen den Plastikmüll erheblich weiter als Europa: China, Bangladesch, Ruanda und Papua Neuguinea etwa haben drastische Maßnahmen ergriffen, bis hin zum Totalverbot. Nicht immer ist Europa Vorreiter beim Umweltschutz.


Und noch so eine Öko-Gewissheit ist erschüttert: Der Jute- oder Baumwollbeutel, das Tasche gewordene gute Gewissen, hilft der Umwelt weniger, als von vielen gedacht. So viel Wasser und Energie verschlingt seine Herstellung, dass man ihn schon mehr als 130-mal benutzen muss, bis er in der Gesamtbilanz die Plastiktüte schlägt. Und die Papiertüte, die in Biosupermärkten meistens gleich neben der Stofftasche liegt? Auch nicht viel besser. Dreimal muss sie verwenden, wer gegenüber der Plastikvariante Energie und Rohstoffe sparen will. Der einzige Vorteil der Papiertüte: Gelangt sie in die Umwelt, entsteht kein großer Schaden.


Zumindest für alle, die nicht ständig einen Einkaufskorb mit sich herumschleppen wollen, ist die umweltverträglichste Lösung – viele werden es nicht gerne hören: feste Plastiktüten mit möglichst hohem Recycling-Anteil. Und diese dann möglichst oft wiederverwenden. Es bleibt also das alte Problem: Wer umweltbewusst einkaufen will, muss vorausplanen.




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