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Die weißen Flaggen der „Terroristen“

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Späte, überraschende Würdigung für eine Kunstaktion, die in New York immer noch als Verbrechen in den Fahndungsakten geführt wird; manche nannten es sogar einen „terroristischen Akt“. Diesen Sommer waren eines Nachts die US-Flaggen, die normalerweise hoch oben auf den Spitzen der Brooklyn Bridge wehen, auf mysteriöse Weise verschwunden und durch weiße Flaggen ersetzt worden.



Weiß statt Rot-Blau-Weiß - In New York sorgte die Aktion zweier Berliner Künstler für Aufsehen.

Die Aufregung war gewaltig. Eric Adams, der Präsident des Boroughs Brooklyn, lobte aus eigener Tasche ein Kopfgeld von 5000 Dollar auf die Attentäter aus. (Das war auch der Mann, der von einem terroristischen Angriff sprach.) Wenig später meldeten sich aus Berlin zwei junge Männer zu Wort, die sich als Künstlerkollektiv verstehen und auch diesen Fahnentausch als Kunstaktion verstanden wissen wollten: Mischa Leinkauf und Matthias Wermke hatten im Schutz der Dunkelheit die Höhen der Brückentürme erklommen, um „auf die Schönheit des öffentlichen Raums“ aufmerksam zu machen. Die amerikanischen Originalfahnen schickten sie, sauber nach militärischem Zeremoniell gefaltet, an die Stadt zurück.

New Yorks Polizei zeigt sich von den poetischen Aspekten der Sache weiterhin unbeeindruckt und hat über Interpol die Auslieferung der beiden Berliner beantragt. Aber als jetzt die Stadtzeitschrift Village Voice ihre jährliche „Best of NYC“-Liste veröffentlichte, fand sich in der Rubrik „Das Beste, was New York dieses Jahr passiert ist“ jedoch dies hier: „Weiße Flaggen auf der Brooklyn Bridge“. Ansonsten geht es da eher um beste Bars für erste und letzte Dates (Sycamore Flower Bar bzw. The Campbell Apartment). Die Kompetenz des Blattes liegt eher im Leben als in der Kunst, aber deshalb gefiel ihr die Fahnenaktion auch so. Bisschen Empörung tue immer gut, und es habe gezeigt, dass New York noch immer ein wilder Ort sein kann.

Das Erklimmen für die Öffentlichkeit unzugänglicher Stellen der Stadt wird hier sonst eher unter dem Stichwort „Place Hacking“ rubriziert. Cheftheoretiker des Place Hacking ist der Sozial- und Kulturgeograf Bradley Garrett. Sein Buch heißt „Explore Everything“. „Jon Krakauer meets Gilles Deleuze“, jubelte die Kritik. „Oder einen wirklich abenteuerlustigen W.G. Sebald.“

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